3. März 2007

Die Qualität des Alltäglichen

Aus dem Brief Albino Lucianis an Franz von Sales:
"Wir sollen also mehr auf die Qualität unseres Tuns achten als auf Bedeutung und Quantität. Habt Ihr gelesen, was Rabelais schreibt, fast ein Zeitgenosse von Euch, über die Frömmigkeitsübungen, die der junge Gargantua lernte? 'Jeden Tag sechsundzwanzig oder dreißig Messen hören, eine Serie Kyrie eleison beten, die ausreichend wären für sechzehn Einsiedler!' Sofern Ihr es gelesen habt, habt Ihr auch darauf die Antwort gegeben, wenn Ihr Eure Schwestern lehrtet:

'Es ist gut, weiterkommen zu wollen, aber nicht durch die Menge der frommen Übungen, sondern durch größere Vollkommenheit. Letztes Jahr habt ihr dreimal die Woche gefastet, dieses Jahr möchtet ihr es doppelt so oft tun. Die Wochentage reichen gerade noch aus. Aber im nächsten Jahr? Werdet ihr da wieder verdoppeln wollen und neun Tage in der Woche fasten oder zweimal am Tag? Nehmt Euch also in acht! Es ist töricht, in Indien den Märtyrertod erleiden zu wollen und dabei die eigenen täglichen Pflichten zu vernachlässigen!'

Mit anderen Worten: Es geht nicht so sehr darum, Frömmigkeitsübungen zu machen, sondern darum, die Tugend der Frömmigkeit zu besitzen. Die Seele ist keine Zisterne, die aufgefüllt werden will, sondern eine Quelle, die wir zum Sprudeln bringen müssen."
Und ein Stück weiter:
"Die Konsequenz daraus ist ein Ideal der Gottesliebe mitten in der Welt: Diese Frauen und Männer sollen gleichsam Flügel haben, um durch liebendes Gebet zu Gott zu liegen; sie sollen Füße haben, um in aufmerksamer Liebe mit den anderen Menschen zu gehen. Sie sollen keine finsteren Mienen machen, sondern ihr Gesicht soll vor Freude strahlen in dem Bewußtsein, unterwegs zu sein zum Vaterhaus."

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