29. Oktober 2005

"Hat man sich früher eher begeistert an der Suche nach 'Zeichen der Zeit' beteiligt, so wollen heute viele die tatsächlich nicht selten inflationär verbrauchte und missbrauchte Rede von den 'Zeichen der Zeit' kaum mehr hören. Dennoch ist die damit verbundene Aufgabe unverzichtbar. Sie gehört zum zentralen Vermächtnis des Zweiten Vatikanischen Konzils. Wir müssen nochmals neu damit beginnen." (Kardinal Lehmann am 23. 9.2005)

Als Beitrag zu diesem neuen Anfang der Entwurf eines Kapitels für das noch zu schreibende Werk "Zeichen der Zeit: Ein erstes Hilf-Dir-Selbst-Buch", das sich zugegebenermaßen an Walker Percys "Loch im Kosmos" anlehnt:

Zeichen der Zeit: Die Gleichberechtigung der Frau

Stellen Sie sich vor, Sie erhalten ein Anschreiben Ihrer lokalen Ortsgruppe der KAB, zu der Sie seit 30 Jahren gehören. Der Übersicht über die Termine des nächsten Halbjahres - ein Weinabend, eine Adventfeier, eine Besichtigungstour durch das neue Seniorenstift, ein Lichtbildvortrag über die Naturschönheiten Kroatiens - hat der Vorstand die Anrede "Liebe Mitglieder/innen" vorangesetzt. Sie stutzen, lesen nochmals, stutzen wieder, zweifeln und beschließen, daß es sich um ein Zeichen der Zeit handeln muß. Sie suchen zu verstehen.

Frage: Was bedeutet es, wenn ein KAB-Ortsverband die Anrede "Liebe Mitglieder/innen" gebraucht?

a) Es handelt sich um den gutgemeinten Versuch einer sprachlichen Gleichbehandlung der männlichen und weiblichen Mitglieder, der leider wegen mangelnden Sprachgefühls mißglückt ist. Ganz banal, vielleicht erklärbar mit einer immer noch existenten Kulturferne des deutschen Katholizismus, der mit der beruflichen Tätigkeit des KAB-Vorsitzenden (u.a. Verfassen von behördlichen Anschreiben mit geschlechtsneutraler Anrede) eine unheilvolle Paarung einging.

b) 40 Jahre nach dem Ende des II. Vatikanischen Konzils beginnt sein Geist endlich auf Pfarreiebene Frucht zu bringen: "Die Stunde kommt, die Stunde ist schon da, in der sich die Berufung der Frau voll entfaltet, die Stunde, in der die Frau in der Gesellschaft einen Einfluß, eine Ausstrahlung, eine bisher noch nie erreichte Stellung erlangt. In einer Zeit, in welcher die Menschheit einen so tiefgreifenden Wandel erfährt, können deshalb die vom Geist des Evangeliums erleuchteten Frauen der Menschheit tatkräftig dabei helfen, daß sie nicht in Verfall gerät." (Botschaft des Konzils an die Frauen, 8. 12. 1965) Nachdem das Kirchenleben auch ihrer Pfarrgemeinde de facto zu 80 % von Frauen verantwortet, getragen, gestaltet wird, ist es mehr als recht und billig, daß sie sprachlich entsprechend berücksichtigt werden. Ein eventueller Sprachverfall ist demgegenüber sekundär und fällt in der säkularen Umwelt nicht weiter auf.

c) Es ist um den katholischen Feminismus ruhig geworden, und Sie fragen sich, warum es in den letzten Jahren keine Auseinandersetzungen um abgelehnte Lehrstuhlbewerberinnen und die Priesterweihe der Frau mehr gab. Sie erkennen, daß die Anrede ein Zeichen dafür ist, daß der katholische Feminismus seinen Marsch durch die Institutionen angetreten hat und inzwischen im letzten Winkel katholischen Lebens angekommen ist. Gemeindereferentinnen, Sozialarbeiterinnen, Erzieherinnen, Bildungshausleiterinnen, Seelsorgerinnen, Ordensschwestern - alle tun sie das Ihre, um Bewußtsein für die reale, sprachliche, gesellschaftliche und kirchliche Benachteiligung der Frau zu schärfen und eine neue, befreite Praxis aus dem Geist Jesu und seiner Apostolinnen einzuüben.

d) Der Versuch, den Vorfall in irgendeinen kirchengeschichtlichen Kontext einzuordnen, ist überflüssig wie ein Kropf. Es ist die Praxis, die zählt. Die Bedeutung dieses "Zeichens der Zeit" liegt darin, Sie zu den nächsten Schritten einer sprachlichen Gleichberechtigung von Frau und Mann aufzufordern. Sie sollten sich die Zeit nehmen, andere kirchenübliche Substantive zusammenzutragen, die wie "Mitglied" neutralen Geschlechts sind und sie übungshalber mit femininen Formen auszustatten: Weihwasse, Evangeliam, Lektionarin, Taufbecke, Kommunionkinderin, Kruzifixa... Sie überlegen sich im Sinne eines mentalen Trainings, wann Sie diese Worte demnächst in Ihrer Pfarrei einsetzen wollen.

Wählen Sie.

1 Kommentar:

Dr. Matthias O. Will hat gesagt…
Der Kommentar wurde von einem Blog-Administrator entfernt.