2. November 2009

Das Lieblingsdogma der Pfarrsekretärin

Nachdem ich meinen Glauben nicht nur von meinen Eltern oder Religionslehrern gelernt habe, sondern auch von Joseph Kentenich und seiner Schönstatt-Bewegung, ist es für mich die natürlichste Sache der katholischen Welt, daß es unterschiedliche Empfänglichkeiten für unterschiedliche Aspekte, Sätze und Wahrheiten des Glaubens gibt: Für den einen leuchtet das Geheimnis der Prädestination hell auf, für den anderen das Bündel von Wahrheiten hinter dem Allerseelentag, während die dritte - wie meine Schwiegeroma, GOtt hab sie selig - für den hl. Josef schwärmt und an seiner Hand betend vor den Thron GOttes tritt. Dem einen erleuchtet die Gottesmutter als Überwinderin aller Häresien den Pfad, während der nächste von Eucharistie zu Eucharistie lebt, bangt, betet, liebt. Der Himmel der katholischen Wahrheit ist voller Sterne, oder sagen wir besser: Monde und Planeten, die alle von der Sonne des Lebendigen Drei-Einen GOttes ihr Licht bekommen. Manche dieser Himmelskörper kreisen näher ums Zentrum des Universums, andere scheinen - oder sind tatsächlich - weiter und weit davon entfernt. In der jeweiligen Glaubensgeschichte muß diese Entfernung nicht unbedingt eine entscheidende Rolle spielen. Manchmal mag das vielleicht sogar so weit gehen, als sei zu bestimmten Zeiten in einem Leben nicht GOtt das Zentralgestirn, der Große Magnet, als habe er seine Attraktivität, seinen Charme, seine Verführungskraft an eines SEiner Geschöpfe oder an ein bestimmtes heilsgeschichtliches Ereignis übertragen.

Nennen wir diese Einsicht für jetzt einmal - in Anlehnung an Leonardo Boffs "Sakrament des Zigarrettenstummels" - das "Lieblingsdogma der Pfarrsekretärin". Wir sehen sie vor uns, wie sie zum Beispiel die Glaubenswahrheit, daß jeder Mensch einmalig, wertvoll und unersetzlich ist, wortwörtlich nimmt. Es strahlt das ungesprochene Credo von ihr aus: "Ich bin einmalig. Keiner vernachlässigt mich ungestraft. Ich bin von GOtt ins Vorzimmer gesetzt als Frau mit einer Mission. Ich oder keine."

Und feststehend in diesem Glauben, fühlt sie sich nicht als Fußabstreifer des Pfarrers, als Blitzableiter des Kirchenpflegers oder als Opfer ratschender Messbestellerinnen, sondern weiß, im Idealfall jedenfalls: "So, wie ich bin, hat mich GOtt geliebt und es gefügt, daß ich in diesem Büro sitze. Meine Talente - die einwandfreie Rechtschreibung, das Zuhören-können, das Organisationsvermögen eines "Hansdampf in allen Gassen" - sind es, die ER jetzt und hier von mir begehrt. Meine Schwächen - mein überbordendes Selbstwertgefühl, mein permanentes Mitredenwollen, mein mangelndes Glaubenswissen - dagegen werden zum Glück alle konterkariert [naja: "konterkariert" würde die durchschnittliche Pfarrsekretärin nicht sagen, aber Ihr versteht...] und ergänzt vom netten und geduldigen Pfarrer, dem Anbetungskreis und der schwerkranken Frau S., die vor Schmerzen zum HErrn schreit."

Die Pfarrsekretärin erschließt sich also im Idealfall von ihrem Lieblingsdogma aus die katholische Welt, erkennt das Geheimnis des erlösenden Leidens genauso wie den Wert der Mündigkeit des getauften Laien, empfängt das Allerheiligste als Stärkung und Tranquilizer und erwartet die neue Schöpfung am Ende der Tage als das Ende allen Telefongeklingels und den Beginn der wahren Ordnung auch der kleinen Dinge. Und irgendwann wächst in ihr vielleicht ein neues Lieblingsdogma. Nicht daß sie nicht mehr an ihre heilsgeschichtliche Sendung glauben würde, i wo! Aber sie entdeckt, sagen wir mal für jetzt, das Fräulein Therese Martin, jene "Heilige des Atomzeitalters" mit dem leicht frechen Lächeln und der entnervenden Kombination von Hartnäckigkeit und Demut. Und in dieser Schule bleibt sie - natürlich - nach wie vor unersetzlich und einmalig, aber sie weiß, fühlt, glaubt, lebt: "Nicht ich rette die Welt, die Kirche und die Pfarrei, sondern ER, der Herr Jesus Christus. Und meine Grammatikkenntnisse, mein handwerkliches Geschick, meine Einsatzbereitschaft finden ihre Vollendung nicht aus meinem Verdienst, sondern in Seiner Liebe, Seiner Hingabe am Kreuz und in Seinem liebenden, richtenden und verzeihenden Blick auf meine Schwächen, Fehler, Grenzen, Sünden."

So ähnlich also sieht sie aus, die Pädagogik des Katholischen. Alles erschließt sich von überall her. Nicht automatisch, nicht ohne Anstrengung, nicht in Isolation vom Leib Jesu Christi, der die Kirche ist. Vor allem nicht ohne die Gnade. Die Hierarchie der Wahrheiten, wie sie uns im Glauben der Kirche, in Credo, Katechismus, der Theologie begegnet, ist eine andere als die Hierarchie der Wahrheiten, wie sie im gelebten Leben des Einzelnen sich ereignet. Abgelegene Wahrheiten, die der Erwachsenenkatechismus in Kleindruck oder einer Anmerkung abhandelt, können große Geheimnisse erschließen.

Recht hat, wer mit seinem Blick, seinem theologischen Verstehen, seiner Liebe die Fülle umfasst, nein: zu umfassen sucht, sich von ihr bestimmen lässt statt von fixen Ideen. Es gilt also: auf die Stimme des Herzens zu hören, die eigenen Vorlieben zu erkennen und zu bejahen und von da aus dann vorzudringen in den ganzen unabsehbaren Rest des Glaubens und des vom Glauben getragenen und geformten Lebens. Genauso falsch wie das Lieblingsdogma absolut zu setzen - eine läßliche Sünde von Pfarrsekretärinnen angesichts ihrer zentralen Rolle in der alltäglichen Kirchenhierarchie - ist es, die eigene Liebe in eine Schema zu pressen. Damit nehmen wir ihr die Dynamik, das Herzblut. Wenn einer pressen darf, dann ER.

Wer also theologisch wie spirituell-lebensmäßig mit einem "sola", wer nur mit dem "nur", wer allein mit dem "allein", wer mit mit nichts als dem "nichts als" operiert, den überantworten wir der Barmherzigkeit GOttes statt ihn zum geistlichen Lehrer zu nehmen (oder gar zum Reformator der Una Sancta).

[Dieser Eintrag ist bis auf Weiteres ein posting in progress; es wird also noch weitergeschrieben und - hoffentlich! - verbessert. --- 14. November: Eintrag abgeschlossen. Möge er so stehen bleiben.]

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