Der Deutsche sitzt in seinem Wohnzimmer und staunt vor dem Fernseher. Ein normaler Donnerstag nachmittag im 21. Jahrhundert - und einer nach dem andern treten Jugendliche aus aller Herren Länder zu der kleinen weißhaarigen Figur auf dem Oberdeck des Rheinschiffes, knien sich vor den alten Mann hin, berühren scheu seine Hand, lassen sich von ihm segnen und treten ergriffen beiseite, um dem nächsten Platz zu machen. Papstverehrung, Personenkult. Zum Glück lässt sich das als uralte Magie abhaken, als Götzendienst gar oder als völliges Gegenteil zu dem, was Jesus gewollt habe.
Eine Zumutung, sonst schamhaft vollzogen in römischen Audienzsälen, jetzt eine Antwort erzwingend von den Katholiken, die damit aufgezogen werden.
Textbausteine gefällig?
Schauen wir ins Neue Testament - dort heilt der Glaube, dort heilt aber auch die Berührung, sogar die verdeckte, von hinten kommende eines Mantelzipfels, dort heilt ein Schlammbrei. "If I could just touch the hem of his garment", formulierte später der Gospel diesen biblischen Materialismus.
Lesen wir einen aktuellen Bestseller, den Bericht des Satirikers Tony Hendra über seine Begegnung und lange Freundschaft mit Father Joe, einem - laut Anselm Grün OSB - "Engel in Menschengestalt". Ein ergreifender Bericht, an dessen Ende Hendra schreibt:
"Father Joe war viel mehr Gott für mich als all diese idealisierten Statuen, viel mehr als hässliche, überladene deutsche Glasmalerei, mehr als alle Worte oder Glaubenslehren, die durch diese Mauern hallten. (...) Das Göttliche ist unverstellbar ohne einen menschlichen Körper als Medium, etwas, woran wir uns klammern können, das das Unvorstellbare berührt hat."
Schlagen wir nach bei einem Befreiungstheologen, dem Herrn Leonardo Boff, dem nicht nur der Stummel der letzten Zigarette des Vaters vor seinem Tod zum Sakrament wurde, sondern der vom "Sakrament des Grundschullehrers" spricht: Herr Mansueto, Dorflehrer im Süden Brasiliens, war für die, die ihn kannten, "sakramentales Symbol menschlicher Grundwerte (...), Symbol für den Typ eines Menschen, der bis zur Selbstaufgabe für die Mitmenschen da ist". Die "Mansuetologie", die sich nach seinem Tod als "gedeutete Erinnerung an sein Leben" entwickelte, fand ihren sinnlichen Ausdruck um sein Grab, in Blumen und Votivtafeln.
Überlegen wir, daß der Mann auf dem Schiff auf dem Rhein den Auftrag Jesu Christi verwirklicht: "Auf diesem Felsen will ich meine Kirche gründen." Die Jugendlichen, die hintreten stellvertretend für all die anderen am Ufer und in der Stadt, sie berühren den Stellvertreter des "Rock of Ages", den Nachfolger des Petrus. Sie leben mit Seele und Leib, und deshalb berühren sie mit Seele und Leib. Unsichtbar und sichtbar. Und treten vielleicht innerlich verwandelt weg, sodaß sie auch äußerlich verwandeln.
Ihnen allen ist klar, daß Joseph Ratzinger nach dem 19. April nicht plötzlich heiliger geworden ist, heilig im Sinne einer vollkommenen Antwort auf die vollkommene Liebe GOttes. Aber dieser gleiche Mensch wird jetzt zum Zeichen, zum berührbaren Zeichen.
Nicht zum einzigen Zeichen - der katholische Kosmos ist voll von bunten, alten, neuen Zeichen, bunt und vielfältig wie die Schöpfung. Dieser Tage steht das eine Zeichen im Vordergrund, so daß die weniger erfahrene Öffentlichkeit die anderen kaum wahrnimmt. Es, nein: er wird sich wieder einordnen in diesen Kosmos und die anderen Zeichen treten in den Vordergrund, am Montagmorgen z.B. die mit den Zeichen von Wasser, Chrisam, Kreuz in das neue Leben mit Christus aufgenommenen.
21. August 2005
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