9. August 2005

Ruhig ruhig angehen lassen

Über die Religion der Deutschen läßt sich vieles ganz nebenher erfahren. In der Lokalzeitung z.B. lese ich die Themenartikel zum Weltjugendtag oder zu den ersten hundert Tagen des Papstes nur mit Vorbehalt, da sie oft nicht informieren, sondern aufklärend, pädagogisch, mit einer hidden agenda geschrieben sind.

Dafür gibt es an anderen Stellen kleine enthüllende Bemerkungen, heute morgen etwa im Bericht über ein Gospelkonzert in einer katholischen Kirche im näheren Umkreis (ca. 75 % der Einwohner sind getaufte Katholiken):

"Etwas ungläubiges Kopfschütteln allerdings rief die Beichte einer gerade erst 30-jährigen Sängerin aus dem deutschsprachigen Raum hervor. Sie erzählte nach bestem US-amerikanischen Show-Vorbild vom Lotterleben, das sie vor der Entdeckung ihrer 'persönlichen Beziehung' zu Jesus Christus geführt habe. Im März 2004 habe sie dann angefangen mit Jesus zu reden, habe sich in der Bibel Nahrung geholt. Die junge Frau forderte die Zuhörer auf, es ihr gleichzutun: 'Ich verspreche Ihnen, es werden Wunder geschehen.'

Dass man in manchen europäischen Regionen, vor allem auf dem Land, den Glauben etwas ruhiger angeht, dass dort viele Menschen ganz selbstverständlich in ihn hineinwachsen können statt über den Umweg von Exzessen zu ihm finden zu müssen, konnte die nach eigenen Angaben 'nach 28 Jahren ohne Jesus' Bekehrte vielleicht bei ihrem Aufenthalt in Kleinostheim erfahren."
Man muß öffentliche Zeugnisse für Jesus im Rahmen von Konzerten nicht gut finden, um folgendes zu bemerken:

  • Was ist so sonderbar daran, daß eine "gerade erst 30-Jährige" sich bekehrt? Gibt es etwa eine Häufung von Bekehrungen in höherem Alter?

  • "Den Glauben etwas ruhiger angehen" - das scheint mir das Ideal vieler Christen zu sein. Zu den ersten urkundlich erwähnten dürften die Mitglieder einer obskuren Pfarrei in Laodizea gehören.

  • Erstaunlich ist auch die Umkehrung einer bekannten Lehrerzählung Jesu: Nicht die 99 Schafe sollen sich freuen über das eine, einst verlorene und jetzt aus den Dornen gerettete!

  • Glaube als irgendwie kirchlich-christliche Sozialisation, die ganz "selbstverständlich" akzeptiert und übernommen wird - das dürfte auch in Kleinostheim nicht mehr selbstverständlich sein. Aber hervorholen kann man diesen Gemeinplatz immer noch, um Zumutungen abzuwehren wie das "Reden-mit- Jesus", das "Sich-in-der-Bibel-Nahrung-holen", oder gar das "Wunder-an-sich-geschehen-lassen".

8 Kommentare:

Dr. Matthias O. Will hat gesagt…
Der Kommentar wurde von einem Blog-Administrator entfernt.
Petra hat gesagt…

Möglicherweise wird er dann für einen Spinner gehalten.

Das traurigste ist ja, dass diese Einschätzung öfters auch von sog. "engagierten Christen" kommt...

Das ist übrigens genau das, was ich bereits hier beschrieben habe.

Anonym hat gesagt…

...konnte die nach eigenen Angaben 'nach 28 Jahren ohne Jesus' Bekehrte vielleicht bei ihrem Aufenthalt in Kleinostheim erfahren.

Wenn sie es denn erfahren hat, wird das vermutlich eher eine Erfahrung der miefigen Art gewesen sein ;-)

Anonym hat gesagt…

jaja... der Glaube, für die einen eine Torheit, für die anderen ein Ärgernis, so sieht es mal aus! Gerade in "wir brauchen keine Identität"-schreienden Deutschland.

Das einzige, was die reaktion vielleicht erklären könnte (aber immer noch keine volle Verteidigung wär), wäre, wenn die gute neu-bekehrte bei ihren Aufrufen, Jesus zu folgen, in ihrem Eifer etwas zu moralisch wird... wie so ein christlicher Metaller, der Zigarettenschachteln und Sexvideos in einem Atemzug als sündig erwähnte.
Außerdem können Zeugnisse wirklich Stereotyp wirken (ich war ein kind, daß nur Drogen nahm und wild rumhurte, dann wurde ich traurig, schrie auf, Jesus öffnete sich mir und mein leben wurde anders), was einen wundern kann, aber... wenn es stimmt?
Sowas kann dann natürlich ärgern, aber trotzdem soll die Dame den Glauben keineswegs ruhiger angehen.

P.S.: ich wurde schon mit 16 bekehrt. Wenn auch weitaus banaler, und deshalb nicht wert, auf irgendwelchen Podien dieser Welt als Glaubenszeugnis erzählt zu werden (gekifft hab ich leider später, tu ich aber nicht mehr) .Ist das nun nach meinung der Schreiberlinge schlimm?

Scipio hat gesagt…

Ideal ist sicher bei Dir, FingO, wenn und daß Du kein Aufhebens machst. Deine Jugendsünden - ob vor oder nach der Bekehrung - werden nur dann schlimm, wenn Du sagst, daß Du davon mit Hilfe GOttes und Jesu losgekommen bist. Solange Du kiffst, rumhurst etc., dann kann das durchaus unter "Zwar nicht erwünscht, aber auch nicht verboten, weil Ausdruck gesunden Individualismus" laufen...

Fool hat gesagt…

Hi Scipio,

was meinst du mit deinem letzten Satz?

"Aber hervorholen kann man diesen Gemeinplatz immer noch, um Zumutungen abzuwehren wie das "Reden-mit-Jesus", das "Sich-in-der-Bibel-Nahrung-holen", oder gar das "Wunder-an-sich-geschehen-lassen"."

Vielleicht meinst du das nicht so, aber warum mit Jesus sprechen eine Zumutung sein soll, will mir nicht eingehen.

Scipio hat gesagt…

@ Alban:

Der Gemeinplatz: "Katholisch ist, wer kindergetauft wurde, in einer irgendwie christlich geprägten Familie und Umgebung groß und sozialisiert wurde und wer dieser seiner Herkunft nicht explizit abgeschworen hat."

Normalerweise wird diese Phrase nicht mehr ernst genommen. Im Zusammenhang dieses Artikels aber plötzlich schon: Weil sie nämlich ideal geeignet ist, Dinge abzuwehren, die als "Zumutung" empfunden werden (nicht von mir!).

Ein anderes Beispiel gefällig? Bei einer Hüttenwanderung vor über 20 Jahren hatte ein ca. 14-jähriger Junge Langeweile. Ich hatte leider nur ein Neues Testament dabei, das ich ihm ausleihen konnte. Irgendwelche predigtähnliche Worte sparte ich mir dabei. Ein paar Wochen später hörte ich, daß die Mutter des Jungen sich schrecklich über diese "Zumutung" aufgeregt hatte. "Gibt der dem doch einfach eine Bibel! Will der ihn bekehren, oder was?" Mutter und Sohn gehörten damals zu den aktiven 20 Prozent unserer Pfarrei...

Fool hat gesagt…

Ja, das kann ich bestätigen. Sich mit Jesus zu identifizieren, oder nur von ihm zu sprechen, war für mich von Jugend an und später lange Zeit mit einem großen Unbehagen, oder gar Scham verbunden. Niemand stellt sich dem gerne. Deshalb die Abwehr, ja, auch wenn es überhaupt nichts ändert. Später musste ich zugeben, dass ich selbst wütend und zornig auf Jesus war, weil ich mich von ihm im Stich gelassen fühlte oder in meinen Hoffnungen betrogen. Auch deshalb, weil sein Weg so demütigend in dieser Welt ist. Wie die Welt Demut versteht, ist genau das Gegenteil dessen, was Jesus damit meint. Mir ging es lange um konkrete Veränderungen und Verbesserungen hier in der Welt, wie wohl damals den Zeloten oder ähnlichen. Jesus hat sich einfach wehrlos kreuzigen lassen. Das habe ich nicht akzeptieren wollen. Wohl, und vorallem auch aus Schuld. Das hat sich für mich geändert. Heute verstehe ich die Mission von Jesus völlig anders, ja, ich habe sie bisher nie verstanden. Als ich zum ersten Mal von selbst im Neuen Testament las, war ich sehr erstaunt darüber, was ich darin fand. Entweder habe ich früher in der Kirche immer geschlafen, oder es kam tatsächlich nie zu Wort. Ich bin jedenfalls dankbar, mit Jesus einen Freund zu haben, der immer bei mir ist, und der mein vollkommenes, ewiges Glück will und mir zeigt, wie ich es wiederfinde, auch wenn es in diesem "Prozess" mitunter gar nicht so aussieht und ich alles hasse und nicht mehr lachen will, weil ich mich wieder einmal in irgendeiner Schuld-Opfer-Verbindung sehe.