14. August 2005

Katholizismus und Masse

"Das Mißtrauen gegen die Masse hat den Katholizismus seit langem nicht mehr verlassen, vielleicht schon seit den frühesten ketzerischen Bewegungen der Montanisten nicht, die sich mit entschiedener Respektlosigkeit gegen die Bischöfe wandten. Die Gefährlichkeit plötzlicher Ausbrüche, die Leichtigkeit, mit der sie weitertreiben, ihre Raschheit und Unberechenbarkeit, vor allem aber das Abheben der Distanzlasten, zu denen die Distanzen der kirchlichen Hierarchie in besonders hohem Maße zu rechnen sind - das alles hat die Kirche schon früh dazu bestimmt, in der offenen Masse ihren Hauptfeind zu sehen und sich auf jede mögliche Weise gegen sie zu stellen.

Alle ihre Glaubensinhalte, wie auch alle praktischen Formen ihrer Organisation, sind von dieser unerschütterlichen Erkenntnis gefärbt. Es hat bis jetzt keinen Staat auf der Erde gegeben, der sich auf so mannigfaltige Weise gegen die Masse zu wehren verstand. An der Kirche gemessen, erscheinen alle Machthaber wie traurige Stümper."

Auf vier Seiten in seinem Buch "Masse und Macht" geht Elias Canetti den Formen dieses Kampfes gegen die "Masse" nach: im Kult und seiner Gemessenheit und Anti-Ekstase; in der Vereinzelung des Gläubigen beim Empfang der Sakramente und im Stehen vor dem Priester als deren Spender; im Akt des Kommunionempfanges als Paradebeispiel; im Idealfall der "erlaubten Masse" der Engel und Seligen; in ihren Prozessionen und ihrem Akt der Verneigung vor dem Heiligsten; in den "Massenkristallen" von Klöstern und Orden und ihrer Beispielhaftigkeit für die, "die zwar Christen heißten, aber nicht wie Christen leben können". Auch wenn imho nicht alle Akzentsetzungen stimmen: interessante Lektüre in interessanten Zeiten.

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