31. Dezember 2009

Lyrik-Mem

Bei Dylan (more last than star) habe ich mir ein Lyrik-Mem geschnappt, als kleine Übung in Selbstvergewisserung bzw. -verungewisserung...

1. Das erste Gedicht, an das ich mich erinnere:
Warum nicht am Anfang anfangen, und sei er noch so klein? Kinderreime, vor allem die hiesigen, mundartlichen, die gereimten Tisch- und Abendgebete, bald die Kirchenlieder. Das mag alles keine große Lyrik gewesen sein, aber Gereimtes und Gedichtetes war damit Teil des Kinderalltags.

Das erste "richtige" Gedicht, das mich später wirklich und wahrhaftig getroffen hat - sozusagen das Erweckungserlebnis - war Stefan Georges "aus purpurgluten sprach des himmels zorn". Die Schlußzeile mit ihrem "und aller rest ist nacht und nichts" hat schon was mit ihrem apodiktisch-apokalyptischen Duktus. Doch lang ist's her...

2. Auswendig gelernte Gedichte:
Auch in Bayern gab es eine Zeit, in der Schüler vergleichsweise wenige Gedichte auswendig lernen mussten, und ich befürchte, das war die Zeit, in der ich groß wurde. Meine Erinnerung beschänkt sich auf den "Zauberlehrling", "Belsazar" und die "Bürgschaft".

3. Ich lese (keine) Gedichte, weil...
Doch, ich lese Gedichte, weil in einem guten Gedicht Form/Stil und Inhalt, Überraschung und verstehende Einsicht, Theorie und Bild, in einem Moment, auf kleinstem Raum zusammen gehen, eins sind, aufblitzen. Weil der Autor - auch der versteckteste, ironischste, scherzendste - spricht, sieht, singt.

4. Ein Gedicht, das mir einfällt, wenn man mich nach meinem Lieblingsgedicht fragt:
Joseph Brodskys "24. Mai 1980" oder E.E.Cummings' "i thank you God for most this amazing day". Und bei den Langgedichten: "Fredy Neptune" von Les Murray und David Jones' "Anathemata".

5. Ich schreibe (keine) Gedichte, aber ...
Außer ein paar üblichen Reimereien zu Familienfeiern habe ich mich eher selten an eigenen Gedichten versucht. Mir fehlt die Geduld, die Ausdauer, die Bereitschaft, immer und immer wieder heranzugehen, zu feilen, zu warten, bis sich das richtige Wort oder die rechte Sicht auftut.

6. Meine Erfahrung, wenn ich Lyrik lese, unterscheidet sich von der beim Lesen anderer Arten von Literatur?
Das kommt auf die andere Literatur an. Es gibt Prosa, die liest sich wie ein Gedicht. Zum Beispiel Moby Dick, die Pickwick Papers oder auch Handkes Versuche. Von Balthasars "Herz der Welt" sowieso.

7. Ich finde, Dichtung ist ...
... wie essen, schlafen und beten: lebensnotwendig. Und immer ein Geschenk.

8. Das letzte Mal, als ich Lyrik gehört habe, war ...
... wahrscheinlich bei einem der Appetitanreger des Lyrikstimmen-Projekts. Nelly Sachs?

9. Dichtung ist wie ...
... wiedergefundene Muttersprache.

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