5. Dezember 2009

Liebes- und Kirchenroman


Ich sag's gleich vorab: "Imma" von Theo Stock (350 S., 27,80 €, ISBN 978-3-629-11209-5) ist das Buch, das ich gerne selber geschrieben hätte. Zu spät...

Der BWL-Student Chris kehrt mit Liebeskummer und gebrochenem Herzen für die Semesterferien in seinen Heimatort Orenbach zurück und begegnet nicht nur seiner Vergangenheit, sondern der 15 Jahre älteren, allein erziehenden, attraktiven Karen - was da recht harmlos als Liebesgeschichte beginnt, entwickelt sich schnell zu einer Bestandsaufnahme einer deutschen Provinzkindheit in den 90er Jahren - und zu einer Momentaufnahme der gleichen Provinz gute 20 Jahre später.

So weit, so gut und nicht weiter bemerkenswert. Denn - und hier wird es für diesen Blog interessant - Chris sucht nicht nur eine Frau für ein paar Stunden oder fürs Leben, sondern es brechen Fragen auf, die er spätestens mit seinem Kirchenaustritt bei Volljährigkeit beantwortet glaubte. Sein frommes, kirchlich engagiertes Elternhaus hat freilich alles andere zu tun als mit ihm über Gott, Welt, Glaube, Liebe zu diskutieren, und der Ortspfarrer, an den er sich in einer denkwürdigen Nachtszene wendet, noch weniger: Der sitzt nämlich auf gepackten Koffern und räumt den Platz für seinen ungeliebten Nachfolger. An dem wiederum haben sich die Emotionen entzündet und Orenbach gleicht einem Pulverfass: All die harmlosen, kleinbürgerlichen Christen sind bereit, auf ein verkehrtes Wort hin zu verbalen Waffen zu greifen und Intrigen zu spinnen, die bis ins erzbischöfliche Ordinariat und die Berliner Nuntiatur reichen.

Da steht er also, der junge Mann mit seinen existentiellen Fragen und einer neuen, nicht ganz hoffnungsvollen Liebe, der Idealfall eines Konvertiten quasi - und keinen kümmert's. "Danke sagen, das wär's jetzt!", aber da gibt es nichts zu danken: "Und die Tante schimpfte weiter auf den neuen Priester und auf seine Predigt. 'Wir sind auch nicht auf der Wassersuppe daher geschwommen, haben alles selber aufgebaut. Kollekte jeden Sonntag, Kirchgeld, von Oma 100 Mark, kurz vorm Tod. Und jetzt schicken die in X. uns den Neuen da. Will uns sagen, wo's lang geht, was wir glauben sollen. Alles wär verkehrt, die Prio-, also das, was wichtig wär, wär was anderes."

Kirche als Wirkstätte deutscher Heimwerker, das karikiert Stock sehr treffend, ohne in Klischees zu fallen: Denn auch der "Neue" tappt in die Falle, fährt zweigleisig: Der theologisch sauberen Predigt über die drei Stufen der Demut treten die eigenen Prioritäten auf die Fersen. Kirchenreform auf eigene Faust, die dreinschlägt und säubert, bis sich keine Widerrede mehr regt.

Stock hört auf, bevor es ein Happy-End für Chris gibt, und wie es in Orenbach weitergeht, bleibt offen. Doch das Brötchen, das Chris vor die Füße kugelt, als eine alte Betschwester auf der untersten Stufe der regennassen Kirchentreppe stürzt - es lässt hoffen.

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