23. April 2005

Rüttgers ist seinen Kritikern richtig überlegen!

Nachdem ein dafür auch noch bezahlter Idiot in meiner Lokalzeitung schon einen "Kreuzzug" befürchtet und die politisch-korrekten Hysteriker und Meinungskastrierer loslegen, sei das Interview Friedman - Rüttgers auch hier 1. dokumentiert und 2. kommentiert:

Friedman: Zum gleichberechtigten Respekt aller Kirchen sagt Benedikt XVI: "Die katholische Kirche ist allen anderen Kirchen überlegen." Hat er Recht?

Rüttgers: Er sagt, dass das, was er glaubt, und das, was seine Kirche glaubt, das Richtige ist. Und ich finde, das darf er auch.

Friedman: Ich sage noch einmal: Die katholische Kirche sei allen anderen Kirchen überlegen.

Rüttgers: Ich hab das schon verstanden. Er sagt, das ist das Richtige, und wenn's das Richtige ist, dann muss er zwangsläufig sagen, dass das andere nicht richtig ist.

Friedman: Und was sagen Sie?

Rüttgers: Ich glaube, dass wir wieder lernen müssen, dazu zu stehen, dass wir wieder etwas für wahr und etwas für unwahr halten. Ich bin Katholik und ich glaube, dass unser christliches Menschenbild das Richtige ist und nicht vergleichbar ist mit den anderen Menschenbildern, die es anderswo auf der Welt gibt.

Friedman: Aber wir sprechen von dem Begriff "überlegen". Ist die katholische Kirche und ihr Menschenbild anderen Religionen überlegen?

Rüttgers: Ich glaube, dass es das Richtige ist, wenn Sie wollen auch "überlegen".

Friedman: Was bedeutet das denn eigentlich für einen Protestanten, einen Juden oder einen Moslem, wenn Sie sagen, die katholische Religion ist den anderen überlegen?

Rüttgers: Das bedeutet, dass er von seiner genauso überzeugt sein kann und dass man auf der Basis dann anfängt miteinander zu reden. (übernommen von Martins Katholischem Notizbuch)
Zuerst einmal müsste doch eigentlich Michel Friedman eins auf die Mütze kriegen - dafür daß er einen differenziert denkenden und argumentierenden Theologen wie Benedikt XVI. (B16) auf einen Knüppelsatz zusammenschnurren läßt.

In seiner ersten Antwort meint Jürgen Rüttgers, daß B16 das Recht zustehe, diese Meinung zu haben und sie auch sagen zu dürfen. Nichts verwerflich daran, oder?

Friedman will natürlich, daß Rüttgers den Satz inhaltlich verwirft oder korrigiert (und damit direkt oder indirekt B16 an den Karren geht: die CDU contra den Papst - heißa!) oder ihm inhaltlich zustimmt - die Berufung von Rüttgers auf die päpstliche Meinungs- und Redefreiheit reicht ihm nicht.

Rüttgers versucht es mit Logik - umsonst: Wenn die Feststellung A ("die katholische Kirche ist anderen christlichen Kirchen oder kirchlichen Gemeinschaften aus bestimmten Gründen") nicht das gleiche meint wie die Feststellung B ("die katholische Kirche ist anderen christlichen Kirchen oder kirchlichen Gemeinschaften nicht überlegen, sondern gleichwertig oder unterlegen"), dann ist B16, wenn er Feststellung A zustimmt, gezwungen, er kann und darf gar nicht anders, ja er wäre ein Lügner, wenn er öffentlich Feststellung A ablehnen und Feststellung B zustimmen würde.

Friedman lässt nicht locker und stellt die ultimative Frage: "Du aber, was glaubst Du? Nicht ausweichen, Jürgen: Sag mir, wo Du stehst?"

Und jetzt beginnt Rüttgers mit einem einschränkenden "Ich glaube", an das er dann eine allgemeine Forderung anschließt: daß wir nämlich für das einstehen sollten, das wir für wahr oder richtig (oder wenigstens, ergänze ich: für wahrer oder richtiger im Vergleich zu anderem) halten. Und praktiziert genau das selbst: Er steht für das ein, was er glaubt. (Selten genug bei Politikern, und zwar ganz unabhängig von dem was sie glauben...)

Friedman macht aus dem "richtig" ein "überlegen" - "Ist das, was Du für richtig hältst, auch dem, was Du für falsch oder für teilrichtig hältst, überlegen?" - Erst das komparative überlegen riecht nach Skandal, und Friedman säße auf dem verkehrten Stuhl, würde er jetzt nicht weiterfragen.

Rüttgers scheint es egal zu sein, ob er "anbeißt", und praktiziert weiter simple Logik: Wenn es richtig ist, ist es dem Falschen oder Teilrichtigen in puncto Wahrheit überlegen. "2 + 2 = 4" ist "2 + 2 = 3,9" überlegen - weil es richtig ist und die andere Rechnung zwar nahe dran, aber eben doch nur das. Würde Rüttgers "2 +2 = 3,9" für richtig halten, sollte er uns auf jeden Fall seine Lösung als die richtige Lösung präsentieren - mindestens so lange, als er von ihrer Richtigkeit überzeugt ist. Wir anderen könnten dann feststellen, ob er rechnen kann oder nicht.

Und wir können dann, wenn Rüttgers uns seine Rechnung mitsamt Begründung vorstellt, auch die verschiedenen Ergebnisse und Rechenwege vergleichen, uns gegenseitig überzeugen, vielleicht auch im Dissens auseinandergehen. Genau das also, was Rüttgers (und Ratzinger a.k. Benedikt XVI.) als die Voraussetzung eines sinnvollen Gesprächs definieren.

Was die Rüttgers-Kritiker fordern, ist der Verzicht, irgendetwas öffentlich für wahr zu halten, und Wahrheitsüberzeugungen stattdessen auf einen privaten Raum zu begrenzen - den es in Wahrheit (halt, das darf ich ja jetzt nicht mehr sagen...) nicht gibt. Es ist die Forderung, Religion nicht mehr als Weg der Wahrheitserkenntnis zu sehen und zu praktizieren, sondern alle indikativen Sätze einer Religion zu relativieren, menschheits-, gesellschafts- oder individualgeschichtlich zu historisieren. Es ist die Forderung nach dem Tod von Religion, wie wir sie kennen, und nach ihrer Auferstehung als Therapeutikum - "Hauptsache, es hilft und ich fühl' mich besser"-, als Meinung mit dem Radius Null, als neuronale Abläufe ohne Bezug zur Außenwelt: Denn der liesse sich ja schon wieder als richtig oder falsch, als adäquat oder "daneben", als wahr oder unwahr qualifizieren...

Die Liste derer, die Jürgen Rüttgers laut Spiegel kritisieren, sollte man sich merken: Es sind entweder Feiglinge, Kurzdenker oder Narren.

[Mit kleinen Ergänzungen und Korrekturen versehen am 24.4.05 - scipio]

4 Kommentare:

Petra hat gesagt…

Tolle Analyse! (Werd ich gleich verlinken...)

Es ist wirklich was faul im Hause Deutschland... Und über die Medienberichterstattung ärgere (und schäme) ich mich übrigens maßlos. Da wird ein Wort ("überlegen") aus dem Kontext genommen und - auch noch in verfälschtem Zusammenhang - in den Titel gestellt; und wenn Rüttgers noch einmal erklärt, was er gemeint hat, heißt es dann: "Rüttgers macht Rückzieher!" Da kann man wirklich nur mehr den Kopf schütteln...

Wobei ich nicht wüsste, was in Österreich in so einem Fall wäre. Aber vermutlich etwas weniger Hysterie, da es hier etwas normaler ist, sich zu seinem Christentum zu bekennen - auch wenn das manche (z. B. Nationalratspräsident Andreas Khol, der sich ständig mit irgendwelchen Kreuzen im Vorder- oder Hintergrund fotografieren lässt *g*) etwas inflationär praktizieren oder lediglich als Lippenbekenntnis.

Immerhin ist hierzulande aber der SPÖ-Chef (Alfred Gusenbauer) bekanntermaßen ein gläubiger Katholik. Ich habe dann auch von einem Augenzeugen gehört, dass er bei der Totenmesse für JP2 einer der wenigen Politiker war, die sich beim Hinausgehen aus dem Wiener Stephansdom mit dem Weihwasser bekreuzigt haben - während all die schicken ÖVP-Heinis (eigtl. ja die "christliche Partei") ohne sich zu bekreuzigen hinausgestürmt sind...

Anonym hat gesagt…

Lieber Scipio,
ich möchte hier etwas anmerken... nach einigem Zögern.

Ich kenne den Politiker nicht, den Interviewer nicht und den Zusammenhang nicht. Ich bin auch sehr für Menschen, die Stellung beziehen und klar sagen, was sie für richtig halten. Wer einen festen Standpunkt hat, vergibt sich nichts, wenn er sich mit anderen in Dialog begibt, alles richtig.

Doch will mir scheinen, daß es eine relativ einfache Übung ist, das Eigene als das Überlegene zu empfinden. So wie die eigene Hausputztechnik, die eigenen Kinder und der eigene Kleidergeschmack von jedermann und jederfrau automatisch als Maßstab angelegt wird - alles andere ist Putzhysterie oder Schlamperei, alle anderen Kinder verdummt oder altklug, alle anderen Klamotten poplig oder protzig... cum grano salis.

Ich meine, die wahre Größe beginnt, wo man aus der Sicherheit des Eigenen das Andere anerkennen kann. Im An-Erkennen liegt das Wort kennen, fällt mir gerade auf! Ich weiß nicht, ob besagter Herr das gemeint hat oder ob man ihn in die Ecke gedrängt hat oder sonstwas. Es ist auch egal. Diese Diskussion und der Wirbel, den sie auslösen, sind symptomatisch.

Ich möchte nur meinen, daß ein Mann, der vollmundig das Eigene als das Beste verkündet, eigentlich nur ausspricht, was jeder denkt. Damit in die eine oder andere Richtung stilisiert zu werden, ob Lichtgestalt, ob Finsterling, scheint mir seltsam.

Ging das Gespräch denn noch weiter? Denn mir scheint, es wurde da abgebrochen, wo es über Selbstverständlichkeiten hätte hinausgehen können. Wo es vielleicht interessant geworden wäre. Wo es über das Banale hinausgegangen wäre. Denn so erscheint mir das Ganze wirklich banal.

Lila

Scipio hat gesagt…

Ich kenne nur den Ausschnitt der Talkshow, den der Spiegel dokumentiert hat. (Der durchschnittliche Zeitungsartikel dazu gibt uns davon ca. 10 % dieses Ausschnittes wieder ...)

Ja, der Ausschnitt (und wahrscheinlich das Gespräch) hört da auf, wo die Banalität aufhört und das Interessante begänne - z.B. der Dialog zwischen dem Juden Michel Friedman und dem Katholiken Jürgen Rüttgers über das richtige, bessere ... Menschenbild.

Aber genau dieser Abschnitt, in dem Rüttgers sich - übrigens imho ganz typisch für ihn - nur vorsichtig, fast widerwillig zu seinen Statements drängen lässt: die paar Banalitäten reichen hierzulande für einen neuen Sturm im Wasserglas - der verändert zwar nicht die Welt, zeigt aber doch an, welches Mikroklima herrscht.

Wir erlauben zwar die "Tyrannei des guten Geschmacks", aber unsere wichtigen Entscheidungen und Antworten - die sind wiederum Geschmackssache? Nur wenn sie keine Geschmackssachen sind, können wir darüber reden - in unserer beiden Fall über die 90-95 % Übereinstimmung ;-)

Anonym hat gesagt…

Ja, mich würde zum Beispiel interessieren, wie viel Rüttgers (oder auch Friedman) über das Menschenbild des jeweils Anderen wissen. Denn mir scheint, daß sich die Menschenbilder sehr ähneln, mir fiele im Moment kein wirklich gravierender Unterschied ein. Das christliche Weltbild basiert auf dem jüdischen, und trotz verschiedener Bewertung von Enthaltsamkeit ist sich das Menschenbild, die daraus folgende moralische Haltung und die Einstellung zu Gott grundlegend sehr ähnlich. "Liebe deinen Nächsten" steht schon in der Bibel, das Shma Yisrael, die Psalmen kann jeder Christ mitbeten, und die Unterschiede fangen erst an, wo es um Christus geht. Aber das Menschenbild und die daraus folgende Moral? Die sind praktisch identisch. Der Mensch braucht Gnade.

Sagen wir mal so: hätte Friedman Rüttgern festnageln wollen, worin denn nun eigentlich die Überlegenheit des Katholizismus besteht, wäre R. entweder ins Schwimmen gekommen oder hätte mal ganz scharf nachdenken müssen. Und es wäre eine sachliche, reflektive und interessante Diskussion geworden.

Aus dem Menschenbild ergibt sich die Ethik. Was die Leute geärgert hat, und da ist vielleicht wirklich das Interview unfair beschnitten worden, war wohl die mitschwingende Schlussfolgerung: --- und wir, die Katholiken, sind die moralischeren Menschen. Das gab den Mißklang und die Empfindlichkeit der Reaktionen, soweit ich es verstehe.

Soweit ich erkennen kann, ist ein protestantischer, jüdischer oder auch atheistischer Mensch, der sich an die Zehn Gebote hält und wertebewußt lebt, seinen katholischen Nachbarn weder unter- noch überlegen. Wo es um das Menschenbild geht, geht es um Lebensführung, um Ethik.

Und gerade da muß ja Ökumene als gegenseitige Anerkennung, eben nicht im Sinne von Verwischung der Unterschiede oder Missionierung, ansetzen: bei der gemeinsamen Wertebasis, mit der sich auch Ungläubige identifizieren können, bei dem Menschenbild, das die westliche Welt geprägt hat. Da geht es nicht um Überlegenheit oder auch nur um Unterschiede, sondern ich würde gerade im Menschenbild die große Gemeinsamkeit sehen. Und zwar im Gegensatz zu anderen Menschenbildern, die damit konkurrieren: zum Beispiel das kapitalistische Menschenbild der unbegrenzten Gewinnmaximierung auch auf Kosten anderer.

Da stehen Katholiken, Protestanten, Juden und viele andere zusammen mit ihrem Gegenentwurf einer Verpflichtung dem Mitmenschen gegenüber.

So sehe ich es, nachdem ich wirklich einiges dazu gelesen habe. Und ich sehe es ganz von außen, ohne Kenntnis der involvierten Menschen. Ich finde es schade, daß die Diskussion dieser Diskussion entlang den bekannten Gräben verläuft. Katholiken bejubeln Rüttgers, alle anderen sind beleidigt. Schade. Wann kommt es schon mal zur Chance eines Gesprächs über derartige Themen? Für meinen Geschmack viel zu selten.

Lila