Der nahe Papst aus dem fernen Land
Mein Papst und ich - eine Beziehung über die Ferne, 26 Jahre lang.
1978 war ich 18 Jahre und hatte während des Pontifikats Pauls VI. in nicht wenigen Religionsstunden freiwillig meinen Kopf "für Papst und Kirche" hingehalten. Mit Johannes Paul II. fiel das leichter: der Papst aus dem fernen Land war anfangs tabu, und im Windschatten des attraktiven, dynamischen Mannes in weiß machte das Katholischsein auch öffentlich durchaus Spaß. Spätestens im Dezember 1979 änderte sich das, als Hans Küng seine Lehrerlaubnis entzogen bekam. Aber da war die Schulzeit schon vorbei.
Mit Freunden einer "neuen geistlichen Gemeinschaft" (die man damals noch nicht so nannte) fuhr ich 1979 nach Rom - ohne den Papst zu sehen. Denn der war in Polen.
Seine erste Enzyklika und seine Fastenexerzitien "Zeichen des Widerspruchs" legte ich mir bald nach Erscheinen zu - und habe beide bis heute nicht gelesen. Es waren ästhetische, stilistische Gründe, nicht inhaltliche. Hans Urs von Balthasar - einer der Lieblingstheologen von Johannes Paul - hatte mich tief beeindruckt - und er war der intellektuell bei weitem reizvollere, fand ich.
Vor ein paar Tagen brachte HR3 Bilder vom Besuch des Papstes in Fulda am 17. November 1980 - meine einzige Begegnung mit JPII. Jung war er damals - das hatte ich vergessen. Bei aller Begeisterung ging es würdig zu, schließlich waren es Priester, Theologen und Seminaristen, die an diesem Tag eingeladen waren.
Nicht vergessen habe ich den Bericht eines Priesters über eine persönliche Begegnung mit dem Papst in diesen Jahren. Selber ein vorbildlicher Priester, war er tief beeindruckt von der Menschlichkeit und der Offenheit des Papstes für seine Besucher, von der Einfachheit seines Lebens und von seiner tiefen Frömmigkeit.
Die 80er Jahre wurden eher ungemütlich. Ich verbrachte sie anfangs im Exil mitten unter jungen, aufgeschlossenen, zeitgemäßen Christen, und dort war JPII absolut uncool. Einer, der Leonardo Boff stillschweigen lässt, die Befreiungstheologie verbietet, die Ökumene sabotiert und in puncto Feminismus auf der misogynen Pauluslinie liegt.
Später dann fand ich mich an der deutsch-katholischen Normalbasis: Prinzipiell war man gut-katholisch, aber mit der Zeit wurde der Papst immer peinlicher. Denn er hatte die vielen alltäglichen Fortschritte nicht mitvollzogen, die das Christenleben inzwischen leichter machten. Pilgerfahrten nach Rom standen trotzdem auf dem Programm, aber daß der Papst ein eigenes Programm der Erneuerung und Reform hatte, daß er zu motivieren und zu mobilisieren versuchte - das interessierte keinen, den Ortspfarrer noch am wenigsten.
Eher erstaunt stellte ich in den 90ern fest, daß sich in einer jüngeren Generation eine neue, unbefangene Begeisterung für den Papst entwickelte, die den "Kirchentreuen" meines Alters unmöglich war.
Meine persönliche Wiederentdeckung von Johannes Paul II. kam mit seinen großen Enzykliken Fides et Ratio, Veritatis Splendor und Evangelium Vitae, mit dem Weltkatechismus - und mit den Biographien von George Weigel und Jan Roß. Die Welt hatte sich 1989 verändert, nur einer stand nach dem Ende der Geschichte immer noch unerschüttert und unverändert. Die Wahrheit hatte ein Gesicht und eine Stimme - nicht zuerst eine unfehlbare, immer aber eine unüberhörbare.
Und als sie schwächer, brüchiger, stockender wurde, wurde sie auch für mich umso lauter. Das neue Millenium hatte begonnen und JPII hatte es uns als Heilszeit vorgestellt. Ein Endzeitprophet war er gut katholisch nur in dem Sinn, daß mit jedem Eintreten Gottes ins menschliche Leben die letzten, die entscheidenden Stunden anbrechen.
Über seinen Satz "Der Mensch ist der Weg der Kirche" habe ich oft nachgedacht - aber die Millionen, die unterwegs nach Rom sind, interpretieren ihn auf ihre Art. Diese so verschiedenen Pilger haben nämlich entdeckt, daß in Menschen wie ihm das Geheimnis der Kirche und das Geheimnis des Christseins sichtbar wird. Der Weg der Kirche wird durch Menschen abgesteckt, die wie er ganze Sache machen im Glauben. Und wir anderen fühlen uns wohl in ihrer Nähe - wohl und herausgefordert, vielleicht doch endlich einmal ernst zu machen.
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