19. Juli 2003

Pietistische Präsidentenlogik

Keiner wird wegen seiner logischen Fähigkeiten Bundespräsident. Illustriert hat das gestern Johannes Rau.

Wenn die Frankfurter Rundschau bzw. dpa richtig berichten, sagt er in einem ZDF-Interview: "Der ökumenische Kirchentag war gerade von den jungen Leuten her ein Zeichen dafür, dass sich Institutionen verändern. Um so schrecklicher ist für mich die Maßregelung eines Priesters, die ich als evangelischer Christ nicht verstehen kann, ohne da der katholischen Kirche ins Wort fallen zu wollen."

Sein Folgerung, daß die Suspendierung des Prof.em. GH schrecklich sei, trägt natürlich nur, wenn zur Feststellung sich ändernder Institutionen weitere Sätze dazukommen. Genau da wird es kritisch, und deshalb hat sie Rau wohl auch verschluckt.

a) Der ÖKT insgesamt und besonders die Art der Beteiligung junger Leute zeigt, daß sich Institutionen (hier: die Kirchen) verändern.
b) Diese Veränderung ist nicht nur ein historisches oder soziologisches Faktum, sondern eine Veränderung zu etwas Besserem, ein Fortschritt also im neuzeitlichen Sinn.
c) Daher darf diese Veränderung nicht nur festgestellt oder gar verlangsamt oder gestoppt, sondern muß gefördert und unterstützt werden.
d) Die Suspendierung eines Priesters aus kirchenrechtlichen Gründen oder wegen unerlaubter Abendmahlsgemeinschaft fördert diese Veränderung nicht.
e) Deshalb (und vielleicht wegen des zeitlichen und sachlichen Zusammenhangs mit dem ÖKT) ist sie schrecklich.

Ganz klar ist Satz b der Angelpunkt des Rauschen Arguments. Damit er gilt, muß aber entweder definiert sein, was einen Fortschritt, was eine Entwicklung zu etwas Gutem oder Besserem ausmacht. Das klingt bei J. Rau nicht einmal an und kann deshalb hier nicht einmal ansatzweise kritisiert werden.

Oder wir modifizieren Satz b: Eine Veränderung ist per se, unabhängig von ihrem Inhalt etwas Gutes, geht quasi automatisch in die richtige Richtung. (Voraussetzung mag je nachdem noch sein, daß sie von einer ausreichend großen Zahl von Menschen oder von der richtigen Gruppe wie z.B. der Jugend getragen wird.)

Dann erhebt sich natürlich das Problem der Prognose und des zeitlichen Horizonts: Wer gibt J. Rau die Sicherheit, daß die Prognose richtig ist und eben keine self-fulfilling prophecy, die propagandistisch wirken soll und wirkt? Wenn aber die Prognose richtig ist: Wie geht es nach Erreichen des nächsten Stadiums weiter? Gibt es evtl ein Rollback, ein Wiederaufgreifen früherer Zustände der veränderten Institutionen? Und wäre dieses Rollback nicht auch ein Fortschritt, da ja - s.o. - jede Veränderung per se gut ist? Wäre es dann nicht besser, wir würden gleich längerfristige Tendenzen stärken?

Bevor es zu kompliziert wird, höre ich auf - nicht ohne vorher noch zusammenfassend zustellen, daß für mich als katholischen Christ Johannes Raus Logik ziemlich schrecklich ist, ohne ihn allerdings kritisieren zu wollen. Wie das funktioniert, weiß er selbst am besten.



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