22. Juli 2003

Jesus aber sprach zu seinen Mitarbeitern

"Über die Vergänglichkeit der Bibel" ist der Untertitel des Essays "Thron und Altar" von Hanno Helbling in der Neuen Zürcher Zeitung vom 19. 7. 2003. Aber nicht die Vergänglichkeit der Bibel, sondern ihrer Interpretationen und Zähmungen durch die Jahrhundert ist eigentlich sein Thema.

Beginnend beim Predigtvers für den Gedächtnisgottesdienst für Friedrich den Großen 1786 über den Alltagsgebrauch von Bibelworten und Büchmanns Zitatenschatz bis zum Aufbegehren gegen Milieu- und Bildungschristentum des 20. Jahrhunderts zeigt er an vielen Beispielen, wie wir alle die Bibel inkulturieren, indem wir sie für unsere Zwecke und für unsere Ideologien in Dienst nehmen.

Vielleicht ist das fast unvermeidlich; jedenfalls aber unterliegen auch all die einem Irrtum, die meinen, mit Verheutigung und Vereinfachung die Bibel dem "modernen Menschen" (wer auch immer das ist) näher bringen zu können. Denn das Heutige ist immer auch banal, und das Fremde der Bibel ist nie mühelos zu erkennen und zu akzeptieren.

Helbling: "Die Inhalte der Verkündigung werden von dem frommen Zungenschlag freigehalten, der nicht mehr als «zeitgemäss» gilt - was er schon früher nicht war, nur hatte man das von einer religiösen Ausdrucksweise auch nicht erwartet. An die Stelle der «Sprache Kanaans» tritt eine Alltagssprache, deren Echtheit oft zweifelhaft bleibt, die aber der Enttabuisierung dient, den Zugang zum Evangelium - zu der «guten Nachricht», wie es nun heissen kann - leicht macht, zugleich allerdings auch lenkt; denn die zeitgemässe Rede erfasst vorzugsweise diejenigen Aspekte der Lehre Jesu, die sich als «heutig», als aktuell im Sinn ideologischer Vorgaben deuten lassen.

Die sprachliche Aufbereitung bezieht den Text der Heiligen Schrift mit ein. Wenn das Wort «Evangelium» mit «gute Nachricht» übersetzt wird, soll das einer Leserschaft entgegenkommen, von der man - jetzt erst - feststellt, dass sie weder die griechische noch die latinisierte Vokabel gelernt hat und sie nur sozusagen empirisch versteht. Eine «Nachricht» und nicht etwa eine «Botschaft» muss es aber deshalb sein, weil «Botschaft» schon zu feierlich, zu wenig alltäglich klingt. Eine Nachricht, und dazu noch eine gute Nachricht erzeugt keine «Schwellenangst», nimmt niemandem den Atem - es sei denn, die erzählten Ereignisse hätten trotzdem etwas Beunruhigendes an sich. Und die Beunruhigung, oder die Betroffenheit, durch das Gelesene oder Gehörte lässt sich dadurch gewiss auch erhöhen, dass die Geschichte nicht altvertraut wirkt, sondern durch einen fürs Erste noch ungewohnten, verfremdeten Wortlaut die Aufmerksamkeit auf sich zieht.

Nun steckt in jeder Neufassung eine Polemik gegen den alten Text; das gilt für die katholische Liturgiereform so gut wie für die modernen Bibelübersetzungen. Und die Polemik richtet sich über den Text hinaus auch gegen (profan gesprochen) sein Stammpublikum. Wenn nun zum Beispiel steht: «Jesus aber sprach zu seinen Mitarbeitern», und diese Formulierung wird damit begründet, dass man heutigen Menschen nicht zumuten könne, zu wissen, was ein Jünger sei, so ist das zwar ausnehmend töricht, aber gerade deshalb aufschlussreich. Denn darauf, was ein Jünger ist, haben schon gestrige Menschen nur kommen können, indem sie ein Kapitel eines Evangeliums lasen; erst wenn das Wort in dem Text nicht mehr vorkommt, verliert sich die Kenntnis. Und eben das soll sie auch. Die «gute Nachricht» soll sich durch keine Sonderterminologie auf eine Vorverständigung beziehen, nicht an ein Bescheidwissen appellieren, das einem kirchlich-bildungsbürgerlichen Traditionsverband den Vortritt zum Altar gewährt."

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