15. April 2003

Post-Saddam-Zahltag

Überall wird in diesen Tagen Bilanz gezogen über die Toten und Verletzten beider Seiten, die Kosten, die kulturellen Verluste, das verletzte Völkerrecht, die gescheiterte Friedensbewegung.

Mit gewohnter Verve tut das heute in der FAZ Hans Magnus Enzensberger, der noch nie großen Wert auf stromlinienförmige Anpassung legte und das In-die-Ecke-Gestellt-werden geradezu herausfordert. Die Stationen seiner "Nachschrift zum Irak-Krieg", die er "Blinder Frieden" betitelt:

- Triumphale Freude: "Die triumphale Freude, die man empfindet, wenn wieder eine dieser Figuren [wie Saddam, Hitler, Stalin etc.] krepiert, beruht darauf, daß man sie überlebt hat. (...) Insofern haftet selbst diesem wunderbaren Gefühl noch etwas Barbarisches an, obwohl es sich gegen die Feinde der Menschheit richtet."

- Blamage der Unheilspropheten wie Jürgen Trittin, den HME zitiert mit dem Satz: "Der Bundesregierung liegen verschiedene Studien vor, darunter UN-Dokumente. Danach wird mit 40 000 bis 200 000 Opfern von militärischen Aktionen gerechnet. Es wird befürchtet, daß bis zu 200 000 weitere Menschen an den mittelbaren Folgen des Krieges sterben."

- Relative Unblutigkeit des Irakkrieges: "Fest steht aber, daß noch nie ein Krieg von solcher Dimension so wenige Opfer gefordert hat wie dieser. Noch nie wurden diese Opfer mit so großer Emphase in allen Weltmedien, die der Sieger eingeschlossen, gezeigt. Dieses Mitgefühl steht in einem eigentümlichen Kontrast zur Ausblendung
anderer Tatsachen: Während des Irak-Konflikts sind im Kongo mindestens tausend Zivilisten in sogenannten Stammeskriegen ermordet worden - für die großen Medien ein Fait divers."

- Moralkeule und Täuschung über die eigenen politischen, unmoralischen Gründe für Kriegsablehnung: "Was die "Achse" Paris-Berlin-Moskau angeht, so werden zwar den Amerikanern niedrige, materielle, gewinnsüchtige Motive unterstellt, die eigenen bleiben jedoch ausgeblendet. Rußland und Frankreich haben enorme ökonomische Interessen im Irak, nicht zuletzt im Öl- und im Waffengeschäft, und die Bundesrepublik hat sich mit Rüstungsexporten in den Irak jahrzehntelang hervorgetan."

- Die an allen Folgen Schuldigen sind Amis und Briten: "Es gibt aber nichts, was einer Gesellschaft teurer zu stehen käme als ein totalitäres System. Der Terror, den es übt, ist nicht nur physischer Art; er beschränkt sich nicht auf Folter und Mord. Eine derartige Herrschaft führt nämlich Verluste an menschlicher Substanz herbei, die noch jahrzehntelang nach ihrem Ende spürbar sind. (...) Erst nach dem Zusammenbruch solcher Regimes zeigen sich diese langfristigen Schäden. Die Resozialisierung ganzer Völker ist, was gerade den Deutschen nicht entgangen sein dürfte, ein äußert langwieriger und komplizierter Prozeß. Man kann fest damit rechnen, daß jedes Problem, das in solchen Fällen auftaucht, denen angelastet wird, die das Regime beseitigt haben. Selbst wenn die Amerikaner und die Briten im Irak Wunder bewirken würden, gälte
dies nur als ein weiterer Beweis für ihre Hinterlist."

- Deutscher Gedächtnisverlust und Langzeiterinnerung an das "Ami go home". "Dankbarkeit ist keine politische Kategorie. Die Tatsache, daß Deutschland von den Westalliierten gerettet worden ist und daß ohne sie die Mauer heute noch stünde, läßt infolgedessen keinerlei Dank erwarten. Allerdings überrascht der Gedächtnisverlust, der sich hier zeigt."

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