27. September 2005

Revolution durch Einklammerung

Nach dem leisen Abschied vom Naturrecht wittert Christian Geyer in der Begegnung B16 - Küng eine weitere Revolution auf Katzenpfoten:

"Tatsächlich ist das Treffen des Papstes mit Küng ein historisches Ereignis, was immer daraus noch folgen wird. Revolutionen sind in der Kirche stets auf leisen Sohlen gekommen. Die stillschweigende Einklammerung, nicht der laute Widerruf ist die Art und Weise, wie dieses Traditionsunternehmen seine Tradition selektiert. In diesem Sinne könnte man aus der vatikanischen Erklärung noch eine weitere Botschaft heraushören.

Der Papst habe, so heißt es, das Bemühen Küngs gewürdigt, 'im Dialog der Religionen wie in der Begegnung mit der säkularen Vernunft zu einer erneuerten Anerkennung der wesentlichen moralischen Werte der Menschheit beizutragen'. Der Akzent liegt hier nicht länger darauf, daß erst der Glaube die Vernunft zu sich selbst bringt - sondern die Vernunft trägt viele Gesichter: Auch eine säkulare Vernunft ist für die kirchliche Orthodoxie vernünftig'. Das Faktum des Pluralismus wird nicht nur wissenssoziologisch anerkannt, sondern mit ihm kann offenbar auch theologisch argumentiert werden. Wenn es aber nicht mehr den einen Höchstbegriff von 'Vernunft' gibt, dann kann es auch einen solchen von 'Natur' nicht geben, einem weiteren Klassiker katholischer Argumentationsfiguren.

Die Einklammerung des Naturbegriffs liegt jedenfalls ganz auf der Linie dessen, was Kardinal Ratzinger schon bei seiner Begegnung mit Jürgen Habermas sagte: Das Naturrecht sei als Argumentationsfigur 'leider stumpf geworden, und ich möchte mich daher in diesem Gespräch nicht darauf stützen. Die Idee des Naturrechts setzte einen Begriff von Natur voraus, in dem Natur und Vernunft ineinander greifen, die Natur selbst vernünftig ist. Diese Sicht von Natur ist mit dem Sieg der Evolutionstheorie zu Bruch gegangen.' Nun ist die Evolution des Wissens auch in Castel Gandolfo angekommen und hat dort einiges zu Bruch gehen lassen. Ratzinger und Küng sind sich einig: Auf einer Wirklichkeit diesseits der Hermeneutik, einer Wirklichkeit, die mit Ausrufezeichen vom Himmel fällt, ruht heute kein päpstlicher Segen mehr. Der weite Magen der Kirche wird es verdauen." (FAZ von morgen)

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