29. November 2003

Die Mehr-als-Campbell-Suppe

Andy Warhol, Katholik.

"I'd like to recall a side of his character that he hid from all but his closest friends; his spiritual side. Those of you who knew him in circumstances that were the antithesis of spiritual may be surprised that such a side existed.

But exist it did, and it's key to the artist's psyche. Although Andy was perceived—with some justice—as a passive observer who never imposed his beliefs on other people, he could on occasion be an effective proselytizer.

To my certain knowledge, he was responsible for at least one conversion. He took considerable pride in financing his nephew's studies for the priesthood. And he regularly helped out at a shelter serving meals to the homeless and hungry. Trust Andy to have kept these activities in the dark. The knowledge of this secret piety inevitably changes our perception of an artist who fooled the world into believing that his only obsessions were money, fame, glamour, and that he could be cool to the point of callousness.

Never take Andy at face value...." (John Richardson)

27. November 2003

Nibelungen

Uns ist in alten mæren wnders vil geseit
von heleden lobebæren von grozer arebeit

Die Handschrift C des Nibelungenlieds digital bei der Badischen Landesbibliothek. Was die British Library kann, können die Karlsruher schon lange. (via Die Welt)
"Anathema sis!"

Big Innocent

Und erst der Werbetext (in freier Übersetzung):

"Stell diese Figur von Innozenz III. Deinen anderen Actionfiguren vor und staune, wie die spirituellen Funken fliegen! Mit der erschreckenden Macht der Exkommunikation und einer angsteinflößenden Schriftrolle bewaffnet, läßt dieser Papst bald all Deine anderen Actionfiguren vor dem Beichtstuhl anstehen! Auf der Rückseite der Packung wirst Du sehen, daß Innozenz eigentlich ein guter Kerl und Kunstmäzen war, für die Waisen sorgte, ein Krankenhaus baute und die Päpstlichen Lande vereinigte. Mit absetzbarer Tiara."
Google, vorkonziliar

Cur non guglere et frui linguae latinae?
Missarum Sollemnia

Das Deutsche Liturgische Institut bietet ab Dezember für 85,- € einen Reprographischen Nachdruck von J.A. Jungmanns Missarum Sollemnia an.

Interessant, wie Jungmann nach dem Konzil seine Arbeit und sein Buch sieht: "Ein Gedanke, der mich jetzt öfter beschäftigt: Hat Liturgiegeschichte eigentlich jetzt noch viel Bedeutung? Sie lockt mich nicht mehr, obwohl ich einige Themen in meinen Notizen finde, die ich bearbeiten könnte; ich habe ja bei meinen Studien fast immer den praktisch-pastoralen Zweck vor Augen gehabt; das ist nun im wesentlichen erfüllt und erreicht. Ich habe mich deswegen schon in der Commissio praeparatoria gegen den Vorschlag gewehrt, daß die Liturgik eine disciplina principalis werden soll (wie das in art. 16 der Liturgiekonstitution steht). Wenn die Liturgie reformiert ist, soll sie ja für sich selbst sprechen und braucht nicht mehr so viel Erklärung; es war ja beinahe der Sinn der Reform, daß geschichtliche Erklärungen überflüssig werden sollen. Darum kommt mir auch die Errichtung von Lehrstühlen für Liturgik an verschiedenen theologischen Fakultäten fast wie eine Ironie vor: Früher hätte man sie gebraucht, jetzt sind sie nicht gerade unnütz, aber unwichtig; die Geschichte ist nur mehr ein Stück kirchlicher Altertumskunde, immerhin anregend und insofern wertvoll, als diejenigen, die für neue Formen verantwortlich sind, sich am Vergangenen und besonders am Altertum schulen sollen; denn die Hauptarbeit der Liturgik wird nicht mehr sein: Erklärung des Überlieferten, sondern Verbesserung des Neuen." (1966, zit. nach Pacik)

Da klingen zwei Themen an, die inzwischen als Tremolo continuo meinereinem fast einen Tinnitus verursachen: Daß Liturgie transparent, durchsichtig sein solle und daß sie "semper optimanda", immer weiter zu optimieren sei. Aber daß soll nicht von Lektüre und Kauf abhalten. Vielleicht hat noch jemand einen Wunsch frei...
Cummings come

Endlich sind sie da, die "Complete Poems 1904 - 1962" von E. E. Cummings! Über 1000 Seiten Buchstaben-Bilder.

Ich fürchte oder verspreche - je nachdem -, daß meine werte Leserschaft jetzt noch öfter eines seiner Gedichte lesen oder überspringen darf. Je nachdem.

who are you,little i

(five or six years old)
peering from some high

window;at the gold

of november sunset

(and feeling:that if day
has to become night

this is a beautiful way)

(Collected Poems, S. 824)
Money - Not a Church's Best Friend

Zwei aktuelle Beiträge zu den unmittelbaren Folgen staatlicher und kirchlicher Sparsamkeit:

Gerhard Besier in der Welt zu den theologischen Fakultäten.
Stefan Meetschen in der Tagespost zur Lage im Schuldenbistum Berlin.

26. November 2003

Keiner da

Für wer Nemo sucht - da ist er.
Verfassungstreu? Nicht wirklich.

"Wir haben niemals behauptet, die ersten Christen seien im Sinne der Theologen Empörer gewesen; aber wir möchten darauf hinweisen dürfen, daß sie nach dem Urteil des Imperiums und der Beamten des Imperiums, nach der traditionellen gemäßigten Meinung im Imperium sehr wohl als solche galten.

Was wollt ihr? So entschlossen man sein mag, nicht von einem Extrem in das andere zu fallen, so ist es dennoch höchst unangenehm, gutmütige, wohlbeleibte Prälaten von der Bergpredigt wie von einem Manifest der Konservativen reden zu hören. Man hat den Eindruck, diese distinguierten Herren legten keinerlei Wert darauf, in der Öffentlichkeit, am Ende eines offiziellen Diners zum Beispiel, daran erinnert zu werden, daß die ersten zweiundzwanzig Päpste als Störer der Ordnung gerichtet, zum Tode verurteilt und exekutiert worden sind.

Wenn eine Institution, und mag sie die achtbarste aller bestehenden Mächte sein, in ihren Anfängen ein solches Verhältnis von Hingerichteten aufzuweisen hat, dürfte es wohl schwierig sein zu behaupten, daß sie bei den Professoren des Rechts und der staatsbürgerlichen Moral, den Eigentümern, den Gerichtsvollziehern oder Gendarmen sich einer besonderen Gunst erfreut habe."

(Georges Bernanos, Brief an die Engländer)
Der Stehrumchen-Gott

Mir ist bei den Diskussionen über den Gottesbezug in Verfassungen oder Kreuze in Klassenzimmern immer unbehaglich zumute, wenn ich Leuten meiner eigenen Fraktion zuhöre.

Ich halte die Gefahr für groß, vielleicht zu groß, daß GOtt zum Möbelstück im europäischen Wohnzimmer verkommt und wir statt einer bewußt christlichen Erziehung dem Kreuz einen religionspädagogischen Gnadenautomatismus zutrauen, den es nicht hat.

Christentum als Gesellschaftsstabilisator - das verändert auch das Christentum!

Kardinal Schönborn dazu bei kath.net.

25. November 2003

Klezmer meets Bluegrass

Klezmer Mountain Boys

Jewsweek stellt Margot Leverett und ihre Klezmer Mountain Boys vor. (via Relapsed Catholic)
Johnny of the Cross

Ein lesenswerter Artikel über Johnny Cash im Dezemberheft von First Things.

"Johnny Cash died in a way that demonstrated what it might mean to die well. Unlike those who die quickly, he was graced with the company of friends and loved ones, yet he never used his illness as a pretense or a front. His end was slow, painful, marked with tremendous accomplishments (even for a healthy person), but he drew near it honestly and unsentimentally. His spirit was scarred, busted, threadbare, but fearless, peaceable, witty and wise. In his living, playing, loving, and singing, he also sounded out the timbre of the Christian faith and showed how it ought to be lived: stammeringly, tunefully, with no overdubs and no effects. But most of all, with soul."
Reinkarnation a la Wilder Westen

Und weil ich grade bei den Buddhisten bin, hier ein nettes "Cowboy Poem" zum Thema "Reinkarnation":

Wallace McRae
Reincarnation

'What does Reincarnation mean?'
A cowpoke asked his friend.
His pal replied, 'It happens when
Yer life has reached its end.
They comb yer hair, and warsh yer neck,
And clean yer fingernails,
And lay you in a padded box
Away from life's travails.'

'The box and you goes in a hole,
That's been dug into the ground.
Reincarnation starts in when
Yore planted 'neath a mound.
Them clods melt down, just like yer box,
And you who is inside.
And then yore just beginnin' on
Yer transformation ride.'

'In a while, the grass'll grow
Upon yer rendered mound.
Till some day on yer moldered grave
A lonely flower is found.
And say a hoss should wander by
And graze upon this flower
That once wuz you, but now's become
Yer vegetative bower.'

'The posy that the hoss done ate
Up, with his other feed,
Makes bone, and fat, and muscle
Essential to the steed,
But some is left that he can't use
And so it passes through,
And finally lays upon the ground
This thing, that once wuz you.'

'Then say, by chance, I wanders by
And sees this upon the ground,
And I ponders, and I wonders at,
This object that I found.
I thinks of reincarnation,
Of life and death, and such,
And come away concludin': 'Slim,
You ain't changed, all that much.''

(aus: Wallace McRae: Cowboy Carmudgeon)

[Wer hätte das gedacht, daß die wilden Männer aus Montana, Texas und den Dakotas nicht nur wilde Pferde zähmen, am Feuer sitzen und eine Marlboro rauchen, sondern daß sie - dichten.]
No Zen, please! und Altbekanntes aus Paderborn

"Ich werde niemals in unserer Abtei Zen-Techniken zulassen, ganz gleich, welche es auch sein mögen. Diese sind einfach nicht zu trennen von ihrem religiös-philosophischen Hintergrund. Wenn man es doch versuchen würde, ginge langsam der Glaube verloren." So zitiert Klaus Berger in der FAZ den Abt der Trappistenabtei auf der japanischen Insel Hokkaido.

Anlaß des Zitates ist ein gnadenloser Verriß des Paderborner Platoniker-Bultmannisten-Jungianer-Markioniten E. Drewermann bzw. seines neuen Doppelwerkes über das Johannes-Evangelium. [Ich schätze, es ist im Großdruck geschrieben, denn die Drewermann-Leser sind doch auch schon alle älter. Oder kennt jemand einen unter 20?] Die Rezension ist polemisch und lesenswert - wer also Zugang zur FAZ vom 21. November hat, dem sei sie herzlich empfohlen.

(Danke, Erich, für den korrekten Link zum Kloster U.L.F. vom Leuchtturm!)

Die Rache ist mein, spricht - wer?

Man übersieht doch immer wieder was... Fono hat - nach dem Hinweis von mir - den "Großen Schweinfurter Segen" entdeckt, ein Glanzstück multireligiöser Apokalypse oder Apokatastasis oder Anakephalaiosis oder so. Na egal, das ist er:

"- Es segne uns Allah, der All-Barmherzige und All-Eine, zu dem die Muslime beten.

- Es segne uns Brahma, der Schöpfer, aus dem nach dem Glauben der Hindus alles geschaffen ist.

- Es segne uns Vishnu, der in diese Welt kommt, um ihren Lauf in Gang zu erhalten.

- Es segne uns Jahwe, der sich dem Volk Israel als der geoffenbart hat, der für die Menschen da ist.

- Es segnen uns die Muttergottheiten der Naturvölker, die alles Werden und Vergehen schützt [sic!], und aus dem Tod neues Leben bringt.

- Es segne uns Manitou, der große Geist der Indianer, der alles belebt.

- Es segne uns der dreifaltige Gott, in dem all die Gottheiten der Welt eins und aufgehoben sind, der Vater, der Sohn und der Heilige Geist."


Ich befürchte allerdings, daß sich manche der vergessenen Gottheiten ganz bitter rächen könnten - Montezuma zum Beispiel.

Eine leicht antisemitische Tendenz sehe ich übrigens in der recht wahllosen Einordnung von JHWH zwischen Vishnu und die Großen Mütter. Ob der gute alte JHWH sich da so wohl fühlt? Aber da kann er auf seine alten Tage noch ein bißchen 'was von angewandter Pluralistischer Theologie der Religionen lernen. Halten wir dem Verfasser zugute, daß JHWH aus kompositorischen Gründen dort zu stehen kommt: Am Beginn Allah, am Ende der christliche Gott und JHWH genau in der Mitte, als belebendes Zentrum, Konvergenzachse, integrierende Mitte etc.

Dubios ist weiter, daß ein katholischer Priester den christlichen Gott ans Ende stellt. Da fehlt die richtige Demut, und der Chauvinismus vergangener Jahrhunderte ist noch nicht ganz rausgewaschen. Um solchen Zweideutigkeiten aus dem Weg zu gehen, sollte die Reihenfolge jedes Mal neu per Zufallsgenerator festgelegt werden.

Manchmal sehnt man das Ende, den großen Tag Jahwes, Gepriesen Sei ER, herbei. Heute ist so ein Tag.

24. November 2003

Zypries-Klon

"Ethik muss immer offen sein für das Neue, Fremde und Selbstkritische."

Nein, nicht Zypries, sondern Reiche, Katherina Reiche. (Aus der SZ )
"Ich brauch' einen Glauben, der zu mir passt."

"Versuch's doch mal mit Mammon!" (Thanks to Mark Shea and Marianne Thompson)
Doch kein Liturgielabor

"Das Experiment in der Kirche ist aber ein Vorgang in der Kirche selbst, weil es da ja kein Labor gibt, in dem man neben der Kirche experimentieren könnte. Es wird, wenn auch 'ad experimentum', in einer bestimmten Weise real Liturgie gefeiert, unterrichtet, es werden andere Verwaltungspraxen gehandhabt usw.

Es wird im kirchlichen Experiment eben gar nicht nur experimentiert, sondern real kirchlich gehandelt und gelebt. Und der Vorbehalt, man höre damit auf, wenn es nicht gut geht, ändert an diesem Charakter des kirchlichen Experiments nichts, demzufolge im kirchlichen Experiment ernst gemeintes kirchliches Leben selber vollzogen wird, das bei der Einbahnigkeit der Geschichte als es selber nie mehr rückgängig gemacht werden kann.

Das kirchliche Experiment hat einen existentiellen Charakter, kann gar kein Sandkastenspiel, kein Manöver sein, bei dem nur mit Platzpatronen geschossen wird." (Karl Rahner: Chancen des Glaubens, S. 240 - Der Ehrlichkeit halber sei gesagt, daß KR das kirchliche Experiment für die Zukunft als "Dauerzustand" und als "die Weise" sieht, "in der sich die Übergabe an den unbegreiflichen, nicht manipulierbaren Herrn der Geschichte und die Pflicht zur Planung der Zukunft in einer seltsamen Weise einen". Ich möcht' wetten, das sieht er inzwischen auch anders. 1970 waren wir alle noch jünger.)
Remember to flush

Verpasst: World Toilet Day am 19. November.

23. November 2003

Die deutschen Bischöfe zur Liturgie

In einer einigermaßen stillen Stunde konnte ich mir gestern das neue Pastorale Schreiben der Deutschen Bischöfe "Mitte und Höhepunkt des ganzen Lebens der christlichen Gemeinde - Impule für eine lebendige Feier der Liturgie" zu Gemüte führen. (Die Seitenzahlen beziehen sich auf das pdf-Dokument.)

Das Unernste zu Beginn:

* Der Titel ist unförmig - da lobe ich mir die einprägsamen Namen der päpstlichen Schreiben und werde das hier zu behandelnde Schreiben im folgenden mit MUH abkürzen.

* Erfreulich ist, daß auch hier wieder mal in gut katholischer Tradition das Wort "sachgerecht" auftaucht, noch erfreulicher, daß es nicht wie sonst üblich im Bezug auf Personen gebraucht wird. Diesmal bezieht es sich auf die "Feierpraxis" (31).

* Die Seite 40 des Download-Dokuments ließ sich nicht anzeigen und ausdrucken.

* Was soll man von diesem Satz halten: "Schüler, Frauen, Senioren oder auch andere werden häufig nicht täglich an einem Gottesdienst teilnehmen können, könnten sich aber fragen, ob es ihnen nicht an einem bestimmten Wochentag möglich wäre." (37) Die "anderen" - und da bleiben nur Kinder bis 6 Jahre und Männer zwischen 18 und 60 - können die "häufig täglich" oder nur "nicht häufig nicht täglich" an einem Gottesdienst teilnehmen? Oder geht es ihnen wie den Schülern, Frauen und Senioren: Sie können "häufig nicht täglich", könnten sich aber nicht fragen??

Und damit zu sachgerechten Bemerkungen:

MUH will 40 Jahre nach Sacrosanctum Concilium (SC) nicht ein Resümee der liturgischen Erneuerung im deutschen Sprachraum ziehen, sondern beschränkt sich auf "einen theologisch-geistlichen Beitrag zur liturgischen Bildung" (W. Haunerland in seiner Einführung in den Text). "Grunddimensionen und Kernfragen unseres liturgischen Lebens und unserer gottesdienstlichen Praxis" werden bedacht.

Mit dem Konzil nimmt MUH als Ausgangspunkt ein Verständnis der Liturgie als "nicht primär unser Werk, sondern Gottes Handeln für uns" (12), als "Vollzug des Priesteramtes Christi" (16 - Zitat aus SC 7), der "selbst das erste und grundlegende Subjekt jeder liturgischen Feier" ist.

Dieser Ansatz wird konsistent durchgehalten: Das menschliche Tun muß sich an dem orientieren, was objektiv Liturgie ist. Das gilt für die liturgischen Vorgaben des Ritus, die äußeren Bedingungen vom Kirchenbau bis zur liturgischen Kleidung, für die innere Vorbereitung aller Feiernden, für die "Verortung" der Liturgie im "ekklesialen Selbstvollzug" und die Glaubenspraxis des einzelnen Christen.

Gründlich wehrt MUH an mehreren Stellen der pädagogischen oder ethischen Funktionalisierung des Gottesdienstes: "Wir betrügen uns um diese Dimension [des von GOtt geschenkten Wortes und SEiner Liebe], wenn wir unsere Gottesdienste funktionalisieren und vorwiegend zur Belehrung oder ethischen Motivierung missbrauchen." (13) "In der gottesdienstlichen Verkündigung steht dagegen nicht der Lernfortschritt im Vordergrund." (9)

Entsprechend differenziert sieht MUH den Alltagsbezug der Liturgie: "Wir dürfen unser Leben mit hinneinnehmen ... Wir sollen dort auch von dem sprechen, was uns im Alltag bewegt." (11) Als ausgezeichneten Ort dafür sieht MUH vor allem das Allgemeine Gebet der Gläubigen, die Fürbitten also. Statt einer "Verdoppelung unserer Alltagswelt" (12) soll GOttes Wirklichkeit aufscheinen.

Dazu gehört dann auch, daß die Feiernden "die eigenen Stimmungen und Glaubensäußerungen" nicht "zum alleinigen Inhalt der liturgischen Feier ... machen" (15) sollen/dürfen. Davor bewahren die liturgischen Ordnungen, die "die verbindliche Grundlage unserer Gottesdienste" sind" und "darum der Verfügbarkeit des Einzelnen entzogen" (16) sind. Das entlastet die Vorbereitenden und schützt "gegen Willkür und Beliebigkeit. Denn auch die frei gestaltete Feier kann ja immer nur das Produkt einiger weniger sein, denen die mitfeiernde Gemeinde dann wehrlos ausgesetzt ist." (17)

Theologisch, nämlich von der durch die Feier des Pascha-Mysteriums konstituierten Kirche/Gemeinde wird späterhin begründet, warum Sonntags eigentlich in jeder Gemeinde ein einziger, wirklich gemeinsamer Gottesdienst gefeiert werden sollte - eine Praxis, die durch die abnehmende Gemeindegröße vielfach wieder möglich wird. Hier sind es laut MUH vor allem unterschiedliche Lebensgewohnheiten, ein Anspruchs- und Konsumdenken und der Wunsch nach gruppenspezifischen Gottesdiensten, die dagegen stehen. Auch wenn "nur die geringere Zahl der Priester" zum Nachdenken darüber zwingt, wäre wichtiger, "über den Sinn der sonntäglichen Eucharistiefeier für die einzelne Pfarrgemeinde nachzudenken und von daher nach der angemessenen Ordnung und Zahl zu fragen." (33) Ein frommer Wunsch ...

So viel einmal zu den m.E. wichtigen und interessanten Inhalten von MUH.

An vielen Stellen von MUH scheint durch, daß die Bischöfe die liturgische Praxis vieler Gemeinden 40 Jahre nach SC in einer Krise sehen. Aber gerade da, wo die Analyse nötig und schmerzlich wäre, herrscht ein versönlicher Tonfall vor: "Nicht alles, was versucht wurde, hat sich dabei als sinnvoll erwiesen." (S. 3) "Die große Nüchternheit, die in der Nachkonzilszeit an manchen Orten eingekehrt ist, darf nicht das letzte Wort behalten."(S. 10) oder noch eieriger die Passage zur unvorbereiteten Dauerkommunion: "Natürlich gibt es Gelegenheiten, bei denen der Eindruck entsteht, dies geschehe heute aus einem Automatismus ... Sieht man jedoch von diesen möglichen Fehlentwicklungen ab, ..." (S. 30)

MUH hat sich für einen sachlichen und einladend-offenen Stil entschieden - und genau den werden die üblichen Verdächtigen überhören. Ein Augenöffner ist der Hauptartikel von Guido Fuchs im Liturgie-Special des Rheinischen Merkur: Die Liturgietheologie dieses Liturgikdozenten ist gegenüber der von MUH schwach und dünn - er würde wohl sagen: menschenfreundlich, zeitgemäß und Fernstehende einholend. Erfahren, erleben, spüren, ansprechen, anrühren - das sind die Verben, die im Zusammenhang mit der Liturgie auftauchen: "Es gilt den Gottesdienst so zu gestalten, dass Jesus Christus selbst den Gläubigen erfahrbar und erlebbar wird, in seinem Wort, in seinen Zeichen, in der Gemeinschaft. (...) Die Liturgie der Kirche will in ihren Ritualen mehr als kurzfristige und individuelle Befriedigung schenken, sondern letzten Sinn und Halt in Gott im Erleben einer Gemeinschaft." Hier wird fröhlich drauflos funktionalisiert, und daß der Gottesdienst eine "Dimension des Mysteriums" hat, ist durch ein "auch" abgeschwächt und wirkt letztlich aufgesetzt und wie durch immer lautere Bedürfnisse ausgehungerter Christen und Noch-nicht-Glaubender erzwungen.

Liturgische Dauerexperimente haben vielerorts einen Scherbenhaufen hinterlassen - und zusätzlich im allgemeinen Glaubensbewußtsein den gut begründeten Eindruck, daß Liturgie Menschenwerk ist: Revidierbar, bastelfähig, beliebig, banal.

MUH versucht so etwas wie die theozentrische Wende in der Liturgie - aber wenn auf Seiten der Bischöfe dahinter nicht die Bereitschaft steckt, Energie, Kreativität, Willenskraft in diese liturgische Erneuerung zu stecken, waren die schönen Worte wieder mal umsonst. Dazu gehört auch, daß die Bischöfe Mißbräuche nicht nur anprangern, sondern sie auch konfliktbereit angehen und abstellen. Ein konkretes Beispiel: Die schönen Worte zum Hochgebet, dem "vornehmsten und wichtigsten Amtsgebet" (28f), werden von den wöchentlich neuen Versionen, die Roland Breitenbach offensichtlich seiner begeisterten Personalgemeinde vorsetzt, konstant ignoriert. Was gehen die Bischöfe mit dieser und ähnlicher "Sch... drauf"-Liturgiepraxis um?

Man darf gespannt sein.
Poor Scots

Schon gewußt: Den besten Scotch gibt es in Japan (National Post)
Aufklärung für Frau Zypries

Noch einer, der seinen Mund - GOtt sei Dank - nicht halten kann und - der ZEIT sei Dank - nicht halten muß: Robert Spaemann.

Er seziert die Bundesjustizministerin:

"Vom Lebensrecht eines Wesens kann aber nur dann die Rede sein, wenn diesem Wesen „Würde“ zuerkannt wird. Die Zuerkennung von Würde kann nämlich, soweit es sich um die Rechtssphäre handelt, gar nichts anderes bedeuten, als dass der Träger der Würde, um mit Kant zu reden, 'Selbstzweck' ist, dass also alles, was ihm von anderen Menschen geschieht, ihm gegenüber gerechtfertigt werden muss. Er hat den Status eines Subjektes von Rechten, nicht nur eines Mittels für die Zwecke anderer. Und auch nicht eines bloßen Objektes der Fürsorge, wie sie die Tierschutzgesetze vorschreiben. (...)

Wenn Frau Zypries menschlichen Embryonen Lebensrecht zuerkennt, dann hat sie ihnen bereits Menschenwürde zuerkannt, nämlich den Anspruch, von anderen nicht als gegen andere Werte abzuwägender Wert betrachtet, sondern als Subjekt von Rechten anerkannt zu werden. Auch das Verfassungsgericht sollte mit dem Wertbegriff vorsichtig umgehen und mit Bezug auf das Lebensrecht nicht von einem 'Höchstwert' sprechen. Dass das Leben nicht der höchste Wert ist, steht schon in Schillers berühmtem Trauerspiel Die Braut von Messina: 'Das Leben ist der Güter höchstes nicht.'

Aber darauf kommt es auch gar nicht an. Worauf es ankommt, ist, ob dort, wo es um die Existenz eines Wesens geht, die Perspektive dieses Wesens selbst zählt, ob es also zur Gemeinschaft der Personen gehört oder nicht. Ein Mensch kann freiwillig sein Interesse dem Interesse anderer unterordnen. Er kann 'sterben für seine Freunde', wie Epikur und Jesus lehren. Aber mit gutem Grund hat der Gesetzgeber es untersagt, fremddienliche medizinische Experimente mit Debilen zu machen, die selbst ihre Zustimmung nicht geben können. Der Embryo ist noch nicht so weit, sein Leben 'opfern' zu können. Keinem Menschen gegenüber aber können wir es rechtfertigen, dass wir versucht haben, ihn, als er noch von uns abhängig war, umzubringen."

Europäischer Embryonenschutz

Lieber Alexander Kissler, lassen Sie sich doch von Gero von Randow ermahnen und nennen Sie fürderhin Schwarz nicht Schwarz, sondern am besten Weiß, mindestens aber Hellgrau. Sätze wie den, daß sich seit vergangenem Mittwoch Embryonen in der EU am besten schützen lassen, indem man sie vernichtet, reißen Gräben auf und sind so gar nicht integrativ.

Also am besten: Embryos totschweigen - wortwörtlich.

20. November 2003

Liturgieschreiben der DBK

Der Wortlaut des Textes "Mitte und Höhepunkt des ganzen Lebens der Christlichen Gemeinde" (pdf, 139 kB) und der Kommentar von Winfried Haunerland.

Mehr nach Lektüre.
Sachen gibt's!

Aus einem Interview“ mit Prof. Dr. Haunerland im Würzburger Katholischen Sonntagsblatt:

"POW: Mit dem aktuellen Pastoralen Schreiben rückt die Deutsche Bischofskonferenz (DBK) die Liturgie in den Mittelpunkt. Ist das eine Antwort auf die Vorgänge im Umfeld des Ökumenischen Kirchentags?

Professor Dr. Winfried Haunerland: Ganz im Gegenteil. Bereits beim zurückliegenden jährlichen Studientag hatte die DBK ein solches Schreiben verabredet. Und zwar als Versuch, positiv zu beschrieben, was Gottesdienst in den Gemeinden bedeutet. Der Text ist bewusst so gehalten, dass er als Einladung zur sachgerechten Feier ermuntert."

Da kann mir bestimmt der Sachausschuß Liturgie weiterhelfen, um zu verstehen, was sachgerechte Feier ist.
Nicht "Das Wichtige tun" (SPD), sondern: "Das Richtige glauben"

Geht es diesem unserem Land vielleicht deshalb wirtschaftlich so mies, weil die Deutschen nicht mehr an die Hölle glauben? Die beiden Harvard-Wirtschaftswissenschaftler Robert Barro und Rachel McCleary scheinen den Einfluß des Höllenglaubens auf das volkswirtschaftliche Wohlergehen laut einer Story des Economist empirisch festgestellt zu haben. Der Kirchgang hingegen scheint keine förderliche Wirkung auf das Bruttoinlands- und ähnliche Produkte zu haben - im Gegenteil: Der return on investment ist negativ: "The 'religion sector', as they call it, can consume more [und zwar time und ressources] than it yields."

So haben Gerhard Schröder und die katholische Kirche ein gemeinsames Problem: Wie bringen wir die Leute wieder dazu, an das ewig lodernde Feuer zu glauben?

(Mehr direkt beim National Bureau of Economic Research, wo es die Studie für USD 5.00 auch im Volltext gibt.)
Zurücklehnen, umblättern und genießen

Die British Library hat im Rahmen ihres "Turning the Pages"-Projekts vier Kostbarkeiten ins Netz gestellt: Leonardo da Vincis Notizbuch, das Lindisfarne-Evangeliar, den Koran von Sultan Baybar und das Sherborne-Missale. (Shockwave erforderlich!)

Sehr sachlich

Vom "Sachausschuß Jugend" war letzthin wieder irgendwo in einer Pfarrei, halt! in einer Gemeinde die Rede. Vermutlich gibt es dort auch Sachausschüsse für Senioren, Frauen und ähnliche Sachen, und wahrscheinlich hält man sich mit der Bezeichnung nur an die diözesane Satzung für Pfarrgemeinderäte.

Herr, erneuere Deine Kirche und fange bei der Sprache an!

18. November 2003

Flecken und mehr als Flecken

Peter Gauweiler zitiert Thomas Mann:
"Darum ist es für einen deutschgeborenen Geist auch so unmöglich, das böse, schuldbeladene Deutschland ganz zu verleugnen und zu erklären: 'Ich bin das gute, das edle, das gerechte Deutschland im weißen Kleid, das Böse überlasse ich euch zur Ausrottung.'" (Ethik und Heuchelei - sueddeutsche.de - Feuilleton)

Martin Hohmann wird nicht der letzte Hohmann sein, den wir erleben. Im Gegenteil: Je weiter die Große Katastrophe und das Große Verbrechen am Horizont verschwindet, desto mehr Normaldeutsche werden nach weißen (oder wenigstens frischgewaschenen bunten) Kleidern fragen.

Die Flecken des Großen Verbrechens werden nie mehr verschwinden, auch wenn sie vielleicht mit den Jahrzehnten blasser werden. Hohmanns Fehler war, daß er auf - eingebildete oder reale, das kümmert nicht - Flecken hinwies, auf die schon die Großen Verbrecher deuteten, und daß er dadurch die eigenen Flecken relativierte. Ich nehme es ihm ab, wenn er schreibt: "Der Kernsatz der Rede lautet: 'Weder die Deutschen noch die Juden sind ein Tätervolk.'"

Das Problem ist, daß das deutsche "Nicht-Tätervolk-Sein" vom jüdischen "Nicht-Tätervolk-Sein" qualitativ unterschieden ist.
Servus!

Ein herzliches Willkommen dem neuen Leser G.F. aus G.! Verliert man eigentlich Freiheitsgrade beim Schreiben, wenn zu viele Leute aus dem wirklichen Leben this here blog kennen und besuchen?

17. November 2003

Unearthed

Die Fans wissen es längst: Am 25. November kommt "Unearthed", die 5-CD-Box mit großteils unveröffentlichten American Recordings von Johnny Cash auf den Markt. Vielleicht hat ja noch jemand einen großen Wunsch frei.

Einen Vorgeschmack gibt es hier, mehr Infos da.
November 22, 1963 - Trauma Room 1

Leider nur für zahlende Leser zugänglich: der erste Bericht über das Kennedy-Attentat aus der Sicht eines der beiden Neurochirurgen, die Präsident JFK damals behandelten:

Sullivan D et al: The Assassination of President John F. Kennedy: A Neuroforensic Analysis Part 1: A Neurosurgeon's Previously Undocumented Eyewitness Account of the Events of November 22, 1963.- Neurosurgery 2003; 53(5): 1019-1027

15. November 2003

Spirituell korrekt

In seiner Kolumne "Spiritually Incorrect" beantwortet Dan Wakefield die Frage, ob das Essen eines Steaks spirituell korrekt ist, zu meiner vollen Zufriedenheit. Und deshalb wird er hier auch verlinkt.

14. November 2003

Nie war sie so klein wie heute

Die CDU "sollte offensiv erklären, was sie unter konservativ versteht, statt sich im Hohmann-Unglück wegzuducken". (Herbert Kremp in der Welt) Das überlassen Angela und Laurenz doch gerne Leuten wie Heiner und Rita, oder?

13. November 2003

Ökumene-Interview

Fono hat uns das Interview von Radio Vatikan mit Kardinal Kasper anempfohlen und ich habe seinen Rat treulich befolgt.

Gestöhnt habe ich nicht. Daß der Ökumene-Kardinal überaus diplomatisch sein muß, gehört zu seinem Job. O-Ton:

"RV: Dennoch sieht Kasper auch neue Schwierigkeiten in der Ökumene auftauchen:
WK: Vor allem in den moralischen Fragen gehen die Ansichten der Kirchen teilweise auseinander. Dann gibt es auch wieder ethnische und politische Konflikte, die dann auch spaltend wirken können zwischen den Kirchen."

Gene Robinson gegen Peter Akinola, ECUSA gegen die Anglikanische Communion und gegen eine ganze Menge anderer Kirchen und kirchlicher Gemeinschaften - das ist mehr als ein ethnischer Konflikt, da geht es schon ums Ganze. Aber wie es scheint, haben JPII und Walter Kardinal Kasper mit Rowan Williams unter vier Augen recht offen gesprochen.

Klar: Seine Betonung des Gebetes - füreinander und miteinander - fand ich erwartungsgemäß sehr gut und richtig.

[Nachtrag: Kardinal Kasper dürfte mit ethnisch und politisch vor allem auf die Beziehungen zu den orthodoxen Kirchen angespielt haben - habe ich gestern mit meiner deutsch-katholischen Brille nicht gesehen, die vor allem in Richtung der evangelischen Kirchen/kirchlichen Gemeinschaften blickt, und weniger nach Osten wie Rom.]
Ich bin O.K. - und du?

Keiner aus meiner geneigten Leserschaft erwartet, daß ich mit Dingen wie dem "Bibel-Code" etwas anfangen könnte. GOtt mag ein Mathematiker sein, damit aus Nichts Schönheit werde. Er ist aber garantiert kein Mathe-Pauker, der uns in dicken Büchern irgendwelche verschlüsselten Botschaften hinterlässt, die 1. banal sind im Vergleich zum Text, der sie versteckt und 2. die nur lösbar sind für - ja: Mathematiker eben. Ich hätte erwartet, daß vor allem Heilige - solche, die am ehesten in SEine Gedanken hineinschlüpfen und -schauen - sie verstehen.

Aber egal: Wir werden das alles noch früh genug erfahren. Bis dahin ist der Gematriculator ganz ergötzlich. Über garantiert hochspezialisierte Sprachanalyse und Text-in-Zahl-Konvertierungs-Algorithmen errechnet er uns Webloggern die ethische Güte unserer Blogs. Kommt irgendjemand auf bessere Werte als ich? Bei mir steht es 61: 39 für das Gute.

Wehe, der Obermathematiker nimmt das - so ER will und ich die durchschnittliche Lebenserwartung habe - in ca. 33 Jahren nicht zur Kenntnis!
Die Kirche und der Holocaust

The Holocaust: What Was Not Said - ein Artikel von Martin Rhonheimer im aktuellen First Things.

"Christians and Jews belong together. They are both part of the one, though still divided, Israel. This is why Pope John Paul II has called Jews, in exemplary fashion, our 'elder brothers.' Brotherhood includes, however, the ability to speak openly about past failures and shortcomings. This is true, of course, for both sides. But in view of all that Christians have done to Jews in history, it is Christians who should take the lead in the purification of memory and conscience."
Der verflogene Glanz der Basis

Jan Roß nutzt die Installierung von Wolfgang Huber in der Zeit zu einer kleinen, aber prägnanten Bestandsaufnahme:

"Was und wie Kirche ist, wird freilich nicht oben entschieden. Hat 'die Basis' überhaupt Lust auf ein selbstbewussteres, unabhängigeres Christentum, jenseits von Gruppenwohlgefühl und politisch korrektem Engagement? Lehmann hat den Berliner Ökumenischen Kirchentag dieses Jahres gegen die glaubensstrenge Nörgelei der Kardinäle Ratzinger und Meisner verteidigt, die da nur Spiritualitätskirmes und lehrmäßige Unklarheit sehen wollten. Aber im Nachhinein zeigt er sich doch etwas enttäuscht von der Veranstaltung, von ihrer geringen missionarischen Strahlkraft.

Die Kirche hat ein Aktivistenproblem: Nicht dass es einfach zu wenige wären; die Rührigen stecken vor allem noch sehr in den achtziger Jahren, finden „Sozialabbau“ verwerflich und den Dalai Lama sympathischer als den Papst. Mit Diakonie und Caritas, so segensreich sie wirken, sind die Kirchen zugleich eng mit dem abbröckelnden Wohlfahrtsstaat verknüpft. Der 'engagierte Laie', die Wunschfigur jedes Bischofs und Pfarrers, kann auch zur Last werden, zur Bastion der fortschrittlichen Mentalitäten von gestern. Lehmann und Huber haben zwei harte Nüsse zu knacken. Die eine ist die Religionsferne der Mehrheitsgesellschaft. Die andere sind die falschen Gewissheiten des kirchennahen Milieus."
I'm a Lap Cat!
Die Lap Cat wäre eine Alternative, wenn Fonos Kater mal die Leben ausgehen. Mit dem Mäusefangen wäre es vielleicht anfangs schwierig und den individuellen Katzencharakter gibt es vermutlich auch erst mit version 3.0, aber schnurren kann er schon.
Wer bin ich?

Ein Blogger-Panoptikum bei runtimeerror.
Steine, die schweigen statt zu schreien

In der Welt beschreibt Thomas Kielinger das aktuelle Anglikanische Dilemma als vollendetes Aggiornamiento:

"Der Konflikt ist jetzt da, Gene Robinson und seine Anhänger haben es so gewollt. Es geht um die Frage, ob eine ohnehin progressive Kirche auch noch auf ein letztes Kernstück ihrer Theologie - nein, ihrer Anthropologie verzichten muss, welches sie vor definitorischer Beliebigkeit schützt. Robinson in seiner anrührenden Fröhlichkeit, wie sie nicht untypisch ist, wenn man sich auf der Welle des Fortschritts wähnt, lieferte unlängst in einer Versammlung in New Hampshire ein höchst aufschlussreiches Bild des neuen Denkens ab. Er tat es mit einer historischen Anekdote. Als die große Elizabeth I. - der Bruch mit Rom war unter ihrem Vater, Heinrich VIII., vollzogen - einmal gefragt wurde, ob die Leute sich weiter nach Art der Katholiken zu bekreuzigen hätten, gab sie zur Antwort: 'Alle können, keiner muss, aber einige sollten.' (All may, none must, but some ought).

Gibt es eine bessere Definition von Beliebigkeit, eine bessere Charakteristik des modernen Dilemmas? Alle können, keiner muss, aber einige sollten - so die Antwort im Jahr 2003 auf ein Thema von brennender ethischer Relevanz. Mehr als die Gefahr eines Schismas steht hier im Raum. Geradezu paradigmatisch wirft die Krise im Anglikanismus die Frage auf, was 'Kirche' überhaupt noch bedeutet, wenn ethische Grundsatzfragen weiter ins Belieben abdriften und an ihrer Stelle ein zweifellos bedeutsames Thema wie die Bürgerrechte zur Leitlinie der Selbstbeschreibung wird. Sollte man dann lieber nicht von 'Kirche' reden, eher von einer Konkurrenz-Agentur der Gesellschaftspolitik?"

[Bei der Welt ist seit neuestem eine - noch? - kostenlose Registrierung notwendig, um den Volltext lesen zu können.]
Und wieder einer mehr...

Schön, daß wir mit www.jochenscherzer.de ein neues, verheißungsvolles, ästhetisch ansprechendes katholisches Weblog bekommen haben! Und auch noch aus der Hauptstadt.

Ich bin gespannt.

12. November 2003

Fettnäpfchen

Die Fettnäpfchen stehen dieser Tage überall. So würdigte unser wohlmeinender Bürgermeister in seiner Rede zur Verleihung der Ehrenbürgerwürde an Fred Schönfeld, den einzigen Überlebenden der Goldbacher Juden, daß dieser - angestoßen von seiner katholischen Frau - "den größten christlichen Akt - die Vergebung -" vollzogen habe.
Antisemitismus der antifaschistischen Linken

Der Perlentaucher referiert und zitiert ein Interview von Jürg Altwegg mit Alain Finkielkraut.

"Es ist den Altermondialisten gelungen, den kritischen Diskurs über die Globalisierung zu monopolisieren. Ich halte das für die große Katastrophe unserer Zeit. Sie akzeptieren einen Antisemitismus, von dem sie glauben, dass er die neuen Verdammten dieser Erde verteidigt. (...) Sie sind die ersten, die laut protestieren, wenn es um Antisemitismus geht, der von der neofaschistischen Rechten kommt. Der rechtsextreme Antisemitismus, der rassistische Antisemitismus hat in Europa keine Zukunft. (...) Gefährlich ist der Antisemitismus der Wachsamen, der Antifaschisten. Er hat, so fürchte ich, bei den Globalisierungsgegnern eine große Zukunft vor sich. Sie haben den Judenstern durch das Gleichheitszeichen zwischen Hakenkreuz und Davidsstern ersetzt." Das Interview gibt es nicht online, also noch heute abend an der Tankstelle eine FAZ kaufen.

Starker Tobak, aber wie der Tüncher so schön sagte: Die Zukunft wird's weisen.
Jung, männlich, fröhlich: der Biertrinker

Der "Gastgewerbe Gedankensplitter"-Weblog verweist auf eine kanadische Studie, die feststellt, daß Biertrinker extrovertierter sind als Weintrinker. Über die Ursachen dafür und die Folgen davon kann jetzt trefflich spekuliert werden. (Vgl. auch realbeer.com)
Schnellsegen in 6 Geschmackssorten

Für die MiPau oder den kleinen Hunger zwischendurch: http://blessed-bandwidth.net

Frieden, Sicherheit, Loslösung, Erleuchtung für jeden Geschmack. "Do not panic you. Are being watched"

(Heiliges Kabel - sueddeutsche.de)

11. November 2003

EE Cummings: if you like my poems let them...

if you like my poems let them
walk in the evening,a little behind you

then people will say
'Along this road i saw a princess pass
on her way to meet her lover(it was
toward nightfall)with tall and ignorant servants.'

(Dieses und über 140 weitere Gedichte von EE Cummings bei Plagiarist.com)

10. November 2003

Freut Euch auf Ulm!

Hoffnung und Aufbruch für Deutschland: Wer aus "Gottes Kraft" lebt, ist hübsch, neugierig, aufgeschlossen, positiv, lebenslustig. Vor uns die schöne neue Welt, das Reich Gottes und die Apokatastasis. Alles gleichzeitig.

Ein Freundin gab vor ein paar Tagen den Kommentar ihres 14jährigen Sohnes zu den glücklichen Christen weiter, mit denen er anscheinend zu häufig zu tun hat: "Ich hasse diese fröhlichen Gesichter!" Ganz meinerseits.

Ulm-Plakat

(Wen die anderen 4 Plakatmotive noch interessieren, findet sie hier.)
The Meatrix

9. November 2003

Posse, keine Affäre

Ich folge der ganzen Hohmann-Nitsche-usw.-Affäre nur aus der Ferne. Gespensterdebatten beizuwohnen ist mir meine Zeit zu schade. Die Rollen sind klar verteilt, und jeder spielt die seine eifrig. Hier das kleine Häuflein nationalbewußter und vergangenheitsbewältigungsüberdrüssiger Provokateure, dort drüben die Medien, rot-grüne Politiker und die Intelligentsia, dazwischen die Parteifreunde, die widerwillig Führungsstärke zeigen. Mutig wirft sich jeder ins Getümmel: im Namen der deutschen Nation, der Opfer, der historischen Wahrheit, der abgeschlossenen oder nie abschließbaren Aufarbeitung. Jeder ganz uneigennützig, und sogar wer betroffen schweigt, lässt sich am besten noch fotografieren und filmen. Das Timing passt, und die Skripte der vergangenen Affairen müssen nur leicht überarbeitet werden.

Am sinnvollsten scheint mir dabei noch, nonkonformistischen jüdischen Stimmen zuzuhören: Sonia Margolina (im Interview mit der - of all papers! - Jungen Freiheit) zum Beispiel.
Warnung

Ich bin nur deswegen so ironisch, weil ich dem authentischen, gefühlsunmittelbaren Ton nicht mehr traue. Auch nicht dem eigenen. Außer dem GottMenschen, den Sohn-Gottes-im-Fleisch Jesus von Nazareth und seiner Mutter, Maria, die nach dem Glauben der Kirche von aller Schuld frei ins Leben trat - so wie sie von Gott gewollt und ins Leben geliebt war - sind wir alle lächerlich. Nicht in allem, nicht durchgängig und immer, aber doch so, daß wir uns nicht einfachhin für bare Münze nehmen sollten.

Nicht das ist wichtig, was hier gesagt/geschrieben ist, sondern das, was ungesagt/ungeschrieben bleibt.
Papstwahlschlüsselkriterium

JPII-Biograph Martin Posselt: "Beim Nachfolger von Johannes Paul II. wird es weniger um die zweitrangigen Fragen gehen: Wie alt soll er sein? Aus welchem Erdteil? Wie steht er zum Zölibat? Da sind sich die Kardinäle relativ einig. Es wird primär um die Frage gehen: Wer hält das Amt aus? Das war auch schon der Hauptansatzpunkt bei der Wahl Karol Wojtylas."

Vernünftig und lässt Raum für den Heiligen Geist. (Interview mit Martin Posselt im Münchner Merkur)
"Getting converted has never been so easy!"

Mit eingebautem Konversionsbeschleuniger kommt der Christian Kit. Aber die anderen Pakete - die jüdischen, buddhistischen, muslimischen und hinduistischen - haben den auch.

Wieder keinen Vorsprung. (via Fr. Bryce's Saintly Salmagundi)

8. November 2003

Donum Apologiae

Das Leben manchmal, eine Entschuldigung immer - das ist von "Donum Vitae" zu bekommen. Wenn die richtigen Deutsch-Katholiken einen Beratungsschein ausstellen, dann ist das vielleicht doch ein kleine Absolution.

Hubert Windisch, Pastoraltheologe in Freiburg, ist der wenigen, die klare Worte finden. Viele andere - Episkopoi inclusive - eiern nur rum.

"Christliche Widerstandskultur für das Leben bedeutet vor diesem Hintergrund daher, den Widerstand zu bejahen. Dieser Widerstand weist dabei zunächst auf die innere Logik des Tötens im Bewusstsein unserer Gesellschaft hin. Wenn nämlich die Tötung ungeborenen Lebens letztlich in straffreier Eigenverantwortung von Frauen erfolgen kann, gesteht man sich – ob bewusst und akzeptierend oder hilflos und resignierend – ein, dass Tötung ein annehmbarer gesellschaftlicher Weg zur Konfliktlösung sein kann."

Das Schlimme ist, daß wir ruhig schlafen, ich, meine Pfarrgemeinde, die Pfarrers, Lehmann & Co. Und wenn wir nachts schweißgebadet aufwachen, dann hat das entweder andere Gründe oder keine Folgen. Die Apokatastasis wird immer unwahrscheinlicher.

Christliches Lebens-Zeugnis muss widerständig sein - Tagespost
Unsere Besten, Platz 17

Da war'n die Schönstätter aber eifrig: P. Joseph Kentenich auf Platz 17 zwischen dem unaussprechlichen Teenieschwarm mit Brille und Albert Schweitzer. Ich stimme voll zu, aber es glaube doch keiner, daß das auch nur irgendwie repräsentativ sei. (ZDF.de)
Klonverbot - ach, lieber nicht.

Was anderes war nicht zu erwarten: "Da mag der Bundestag noch so oft gegen 'Klonen' und verbrauchende Embryonenforschung votieren, da mögen Gesetzeslage und Bundesverfassungsgericht noch so unmissverständlich die Menschenwürde mit dem Beginn des menschlichen Lebens gegeben sehen – Bundeskanzler Schröder zollt den Parlamentsbeschlüssen 'Respekt' und ignoriert sie: Mit 80 zu 79 Stimmen hat der Rechtsausschuss der Vereinten Nationen beschlossen, die Verhandlungen über ein Klon-Verbot bis zum Jahr 2005 auszusetzen. Auch die deutsche Delegation hat dem Antrag der Organisation islamischer Staaten (OIC) zugestimmt. Hätte das Auswärtige Amt dem Willen des Bundestags genüge getan, wäre das Thema auf der Agenda geblieben. Bei einer Abstimmung, die dank des deutschen Votums verhindert wurde, hätten die Befürworter des Totalverbots wohl einen Sieg davongetragen."

Und Gründe finden sich immer...

(In den Sackgassen von New York - sueddeutsche.de - Feuilleton)

7. November 2003

"So bright - I gotta wear shades" (Timbuk 3)

Wie nennen wir denn am besten Menschen, die nicht an Gott glauben: Atheisten, Agnostiker, Skeptiker, Gottlose, Ungläubige, Heiden, Gottfreie, Noch-nicht-Glaubende, Anonyme Christen? Echt schwierig.

Daniel Dennett, Richard Dawkins et al. schlagen als Selbstbezeichnung "Brights" vor, die Hellen, Erleuchteten, Schlauen also. Wäre es da nicht politisch korrekt, das dann auch als Fremdbezeichnung einzuführen? Wir sagen doch auch Inuit statt Eskimo?

(Die Zeit 46 / 2003 - Drösser: Gottlose auf Namenssuche)
Menschenwürde als Ur-Norm

Robert Leicht in der Zeit über Frau Zypries, die Menschenwürde und den Konflikt des stärkeren gegen das schwächere Leben. Wie verhält sich der Lebensschutz, den Gesellschaft und Verfassung ja tatsächlich nicht absolut sehen, zur Menschenwürde? Gilt diese absolut? Oder kann/darf/muß sie mit anderen Grundrechten vermittelt werden?

Leicht: "Wenn man – verkürzt ausgedrückt: nach Herdegen – im Schutz der Menschenwürde ein selbstständiges Grundrecht sieht, bekommt man angesichts der Petrischale möglicherweise Probleme mit der Anschaulichkeit. Dient aber der Schutz der Menschenwürde – so Dürig – als Fundamentalnorm für alle übrigen Grundrechte, so hilft der Artikel 1 bei der Auslegung von Artikel 2, scharf zu unterscheiden zwischen einer Einschränkung des Lebensschutzes aus ultimativer Unausweichlichkeit und einer Verweigerung des Lebensschutzes aus utopischer Zweckmäßigkeit. Von Immanuel Kant stammt der Satz, wir dürften niemals einen Menschen (oder hier: menschliches Leben in einer seiner Entwicklungsstufen) nur als Mittel zum Zweck benutzen. Wer aber einen Embryo in vitro zu Forschungszwecken 'verbraucht' (also tötet), der benutzt ihn nur noch als Mittel zum Zweck. Das aber ist gerade die Würde jedes menschlichen Lebens, dass es niemals nur Mittel zum Zweck sein darf. Genau an dieser Stelle zeigt es sich, dass der Lebensschutz des Artikels 2 des Grundgesetzes nur vollständig richtig verstanden werden kann, wenn man ihn im Lichte der Menschenwürde (und von Kants Diktum) liest; und es zeigt sich, dass der Schutz der Menschenwürde erst darin plastisch werden kann, dass er ein anderes Grundrecht verbindlich ausleuchtet."

6. November 2003

Flannery O'Connors Version von Dostojewski

"'Jesus was the only One that ever raised the dead,' The Misfit continued, 'and He shouldn't have done it. He thown everything off balance. If He did what He said, then it's nothing for you to do but thow away everything and follow Him, and if He didn't, then it's nothing for you to do but enjoy the few minutes you got left the best way you can - by killing somebody or burning down his house or doing some other meanness to him. No pleasure but meanness,' he said and his voice had become almost a snarl.

'Maybe He didn't raise the dead,' the old lady mumbled, not knowing what she was saying ..." (aus FOCs Geschichte "A Good Man Is Hard To Find"

5. November 2003

Ratzingerer als Ratzinger?

Der evangelische Lehmann namens Huber ist ein "... machtbewusster Kirchenpolitiker, kühl bis ans Herz. Diese Kühle, manche sagen: Arroganz ...". Darf der das? Der darf das. Daß der das darf! (Aus der Welt)
Entnazifizierung 2003

"Sozialdemokraten verlangen von Merkel, alle CDU/CSU-Parlamentarier auf antisemitische Gesinnung zu überprüfen." (SZ) Ach Du Sch...

Spätestens das ist Hysterie. Oder Berechnung.
Zwei zuviel.

Es scheint, Teil 3 ist wie Teil 2: Nicht sehenswert. (Oktopusse in Gruftopia: "Matrix Revolutions" in der FAZ)
Dana Gioia: Litanei

This is a litany of lost things,
a canon of possessions dispossessed,
a photograph, an old address, a key.
It is a list of words to memorize
or to forget – of amo, amas, amat,
the conjugations of a dead tongue
in which the final sentence has been spoken.

(...)

This is a litany to earth and ashes,
to the dust of roads and vacant rooms,
to the fine silt circling in a shaft of sun,
settling indifferently on books and beds.
This is a prayer to praise what we become,
"Dust thou art, to dust thou shalt return."
Savor its taste - the bitterness of earth and ashes.

(...)

[Zwei wichtige Essays von Dana Gioia, "Why Poetry Matters" (Atlantic Monthly, 1991) und "Disappearing Ink: Poetry at the End of Print Culture" (Hudson Review, 2003) gibt es online.]
Hey Chel, we was wild then

Überrascht war ich schon, als ich auf der Website von Image: A Journal of the Arts and Religion las, daß Michelle Shocked im Rahmen der Image-Konferenz "A Narratable World" (Seattle, Nov 6-9) auftritt.

Mit ihrer bunten Biographie schien sie mir nicht ganz in den christlich-literarischen Rahmen zu passen: in einer streng mormonischen Familie aufgewachsen, mit 16 raus von daheim, als Friedens-, Umwelt-, Politaktivistin weltweit unterwegs, Arrest- und Mental Institution-erfahren, in Townes' Nachfolge wandernde Sängerin, zufällig mit ihren Texas Campfire Takes entdeckt, anschließend im Dauerclinch mit ihren Plattenfirmen...

Captain Swing ist das letzte Album, das ich von ihr kenne - aber danach hat "Sister Shocked" wohl u.a. ihre christlichen-gospeligen-spirituellen Roots entdeckt. Nachzulesen sind sie in den Lyrics ihres neuesten Albums "Deep Natural" (mit einigen Soundbites) und in einem eigenen Message Board "Michelle's Spirituality".

[Randbemerkung: Erstaunlich, daß in der musikalischen Landkarte von Texarkana/East Texas unter all den anderen Landessöhnen wie Lightnin' Hopkins, Leadbelly, Lefty Frizzell, Willie Nelson, Blind Willie Johnson etc. Townes van Zandt fehlt. Muß ein Versehen sein.]

4. November 2003

Die Eine Starke Stimme

Wo das Geld fehlt, hört die "Vielheit in der Einheit" ganz schnell auf. Wie man hört, rechnet die EKD mit 10 Prozent weniger Kirchensteuer für das kommende Jahr. "Wer Schwierigkeiten hat, die Seelsorge aufrecht zu erhalten, kann sich keine Doppelverwaltung leisten." Also sollen die historischen Zweige im deutschen Protestantismus verschwinden.

Übrig bleibt dann von Lutheranern, Reformierten und Unierten "nur noch ein Gremium der 24 Landeskirchen: die EKD", die "als die eine starke Stimme des Protestantismus in Deutschland Lutherischen, Reformierten und Unierten nützt." (Schluss mit der Kleinstaaterei - SZ vom 4.11.2003)

Nur Schelme sehen darin ein ökumenisches Modell.

3. November 2003

Balthasar und Metz zum Leiden Jesu

Ralf fragte in seinem Kommentar zum Post Aktuelle Communio, wie Hans Urs von Balthasar (HUvB) und Johann Baptist Metz (JBM) zum Glaubenssatz stehen, daß die "göttliche Natur Jesu am Kreuz nicht gelitten habe".

Ich weiß nicht, ob HUvB irgendwo direkt sagt, daß die göttliche Natur Jesu am Kreuz gelitten oder nicht gelitten habe. In der "Theologie der drei Tage"(TddT) und in der "Theodramatik"(TD) finde ich jedenfalls keine entsprechenden Sätze. Er geht vielmehr den Ereignissen der Heiligen Drei Tage nach und sieht in ihnen das Ereignis und die endgültige Offenbarung der Liebe Gottes und ebenso den Ort, wo Jesus Christus an unserer Stelle Leiden und Tod auf sich nimmt, die Weltschuld und unsere Sünde sühnt und damit Erlösung und Versöhnung bewirkt.

Aus seiner Sicht von Passion und Kreuz folgt für ihn: "mit den Verlorenen solidarisch werden heißt mehr als nur äußerlich-stellvertretend für sie sterben, ... mehr auch als nur ihr gemeinsames unvermeidliches Todesschicksal auf sich nehmen, mehr auch als bloß den allem Sünderleben seit Adam je schon konstitutiv-immanenten Tod bewußt auf sich laden und ihn personal zu einem Akt des Gehorsams und der Hingabe an Gott verantwortlich gestalten ... Es geht über all dies ... hinaus um ein völlig einmaliges Tragen der Gesamtschuld der Welt durch den völlig einmaligen Sohn des Vaters ..."(TddT, 133f). Nicht nur ein vorbildlicher Gehorsam, sondern ein Gehorsam, der in den Schmerz, den Tod, die Gottverlassenheit geht. Nicht nur Hingabe an Gottes Willen, sondern eine Hingabe, die sich von menschlicher Empörung, menschlichem Unverständnis, menschlicher Sünde töten und quälen läßt. Ohne Rückbehalt. Aber so, daß in seinem Leiden alles menschliche Leiden, in seinem Tod aller menschliche Tod "einbehalten" sind.

Dabei schließt er sich Ferdinand Ulrich an: "Nur weil Schmerz und Tod Gott selbst innerlich sind, und zwar als flüssige Form der Liebe, kann er Tod und Schmerz durch seinen Tod und seine Auferstehung besiegen ... Schmerz und Tod sind nicht kraft einer ewigen Gleich-Gültigkeit seines Wesens überholt, sondern deshalb, weil sie von Gott her, kraft seiner absoluten Freiwilligkeit, ewig Sprache (bis zum Todesschrei, Verstummen, Totsein) seiner Herrlichkeit sind." (TD IV, 221f)

HUVB prüft sehr genau die verschiedenen theologischen Entwürfe der Kirchenväter und der Neuzeit, und versucht, den heilsökonomischen Schmerz Gottes trinitätsimmanent grundzulegen: im vollen Bewußtsein der Analogie menschlichen Sprechens ("Ähnlichkeit bei immer größerer Unähnlichkeit"); festhaltend an der Unveränderlichkeit Gottes, die er allerdings mit den Vätern als unveränderliche Liebe versteht, eine Liebe, die so unveränderlich ist, daß sie sich nicht zurückzieht vor dem Leiden. (Origenes: "Also ist der Vater selbst nicht leidensunfähig. Wenn man ihn bittet, erbarmt er sich und leidet mit. Er leidet an der Liebe und begibt sich in Empfindungen, welche er gemäß der Größe seiner Natur an sich nicht haben kann, und erträgt wegen uns menschliche Affekte."(Hom. in Ez., 6, 6))

"Fragt man aber, ob Leiden in Gott sei, so lautet die Antwort: in Gott ist der Ansatzpunkt für das, was Leiden werden kann, wenn die Vorsichtslosigkeit, mit der der Vater sich (und alles Seinige) weggibt - was zur wesenhaft göttlichen Vorsichtlosigkeit der totalen Selbstverdankung und des Sich-verschwenden-lassens des Sohnes und zu der des ihm mitgegebenen Geistes führt - auf eine Freiheit stößßt, die diese Vorsichtslosigkeit nicht beantwortet, sondern in die Vorsicht des Bei-sich-selber-beginnen-Wollens verwandelt."(TD III, 305)

JBM kenne ich zu wenig, um wirklich seine Meinung darstellen zu können. Aber die Bemerkungen und Zitate im Communio-Heft und das, was ich kenne, geben mir folgendes Bild:

Erstens scheut er als Rahner-Schüler, der er ist, vor jeder Spekulation über das Innenleben Gottes zurück. Zweitens befragt er die theologische Rede vom leidenden Gott auf ihre Beruhigungs-, Alibi-, Verharmlosungsfunktion hin (z.B. im Plädoyer für mehr Theodizee-Empfindlichkeit in der Theologie. In: W. Oelmüller (Hrsg.): Worüber man nicht schweigen kann).

Und dann erst kommt der dritte Schritt: "Wie aber kann ohne Rede vom leidenden Gott die Theologie vom Schöpfegott angesichts der himmelschreienden Zustände seiner Schöpfung den Apathieverdacht fernhalten? Steht nicht bei Johannes lapidar: 'Gott ist Liebe'? Wie wäre diesem biblischen Satz anders Rechnung zu tragen als mit der Rede von einem leidenden, von einem mit seiner vom Leid durchkreuzten Schöpfung leidenden Gott?"(ebd., 136)

Das sind keine rhetorischen Fragen, denn er antwortet mit einem Aufschub, mit dem Hinweis auf den Verheißungsvermerk, den "alle Gottesprädikate in den biblischen Traditionen ... tragen ... Videbimus." (ebd., 136f.)
Ein Zellhaufen namens Brigitte

Kein Bild soll es hier von jenem "Zellhaufen" geben, der damals zufällig eine "austragungsbereite Frau" fand, jetzt das Gehalt einer Bundesjustizministerin bezieht und laut der aktuellen "kulturellen Festlegung über den in der betreffenden Kultur vorherrschend gültigen Sprachgebrauch" (Hubert Markl) Brigitte Zypries heißt.

Außer bei 5 % der Bundesbürger hat sie sich jetzt auch bei ihrem Chef Gerhard S. wieder in Erinnerung gebracht.

Was bin ich froh, daß ich geboren bin und keiner mehr an meiner Menschenwürde zweifelt.
Nicole und die Kanaaniter

Nicole Then

Die deutsche Weinkönigin heißt dieses Jahr Nicole Then , ist "jung, hübsch, charmant, intelligent", "kompetent und attraktiv" und qualifiziert sich durch ihre Herkunft - Sommerach am Main - und ihre Religion - katholisch - ganz klar für ein Portrait im zuständigen Bistumsblatt und für eine Erwähnung in diesem Weblog.

Im wirklichen Leben war sie Ministrantin und "Dreikönig" (wie es bei uns heißt) und betätigt sich immer noch als Lektorin in ihrer Heimatpfarrei St. Eucherius. Als solche trägt sie ja nicht das Evangelium vor, weshalb ihr - nicht aber der zuständigen Redakteurin - der Standardlapsus zum 1. Wunder Jesu verziehen sei: "Die Hochzeit zu Kanaan ist wohl das berühmteste Beispiel für Wein in der Bibel, abgesehen vom Abendmahl." Ja, ja, die Kanaaniter.
Allerheiligen, auf dem Friedhof

Hoher grauer Himmel, ein Flecken schwächelndes Blau. Zwei schwarze Punkte weit hinten - Bussarde spähen nach Beute.

Das Grab der Großeltern ordentlich. Frag mich nicht nach den Blumen. Erika jedenfalls, weiß und rot. Die freie Erde in lockeren Krümeln. Die Marmorplatte unterm Licht eingesunken in den Boden.

Was denkt der Vater neben mir? Großvater war 77, als er starb.

Das Schlußstück der Blasmusiker plagiiert "Ihr Kinderlein kommet". Als das Publikum aufmerkt, versinkt es in passendere Töne.

Die Cousine am Onkelgrab, schon immer blond. Doch jetzt mit einem aschgrauen Schimmer.

Rings halblaute Gespräche. Man strömt zurück ins Land der Lebenden. Ein Satz aus ungezählten Beerdigungen hallt in mir: "Lasst uns beten für denjenigen aus unserer Mitte, der als nächstes ..." Das Mal an der Stirn. Finale Gerechtigkeit.

Alle tragen Blässe heute. Die Mittelnaht des Jacketts wird aufgetrennt, damit es sich besser anziehen lässt. Der teure Mantel hängt im Schrank. Flügelhemden sind angesagt.

Wird er mich erschrecken, der Tod? Werde ich hinsinken? Oder liegen bleiben? Kein eigner Tod, sondern einer von der Stange. Sie kennen ja meine Größe, Herr T.
"Und schuf Martin Luther nach seinem Bild..."

- das meint jedenfalls Gerhard Besier in der Welt (Er war ein Fundamentalist, kein Befreier):

"Seine unerbittliche Abgrenzung gegenüber dem radikalen Flügel der Reformation und die scharfe Verurteilung ehemaliger Mitkämpfer konterkarieren förmlich, was im Abspann behauptet wird - nämlich Luther sei ein Vorkämpfer für die Religionsfreiheit gewesen. Nicht um ein modernes Freiheitsrecht ging es dem Reformator, sondern um ein vormodernes Verständnis der christlichen Wahrheit. Diese hat er in Erwartung des unmittelbar bevorstehenden Jüngsten Tages so intransigent vertreten, dass man ihn heute wohl den 'Fundamentalisten' zurechnen würde. Martin Luther rannte nicht in neuprotestantischer Manier gegen Dogmen schlechthin an, sondern nur gegen solche, die nach seiner Überzeugung nicht der evangelischen Wahrheit entsprachen.

Immerhin ist Eric Tillers Film unterhaltsam. Er wird für einige Zeit ein Lutherbild fixieren, das zwar der historischen Überprüfung nicht standhält, aber den Bedürfnissen einer an Vorbildern so armen Welt entspricht."

2. November 2003

Bernanos über die Heiligen

[Wer unökumenische Töne heraushört, liest am besten darüber weg. Darauf kommt es GB und mir nicht an.]

"Die Stunde der Heiligen ist immer am Kommen. Unsere Kirche ist die Kirche der Heiligen.

Wer ihr mit Mißtrauen naht, glaubt geschlossene Türen, Schranken und Schalter zu finden, eine Art geistlicher Polizei. Aber unsere Kirche ist die Kirche der Heiligen.

Welcher Bischof gäbe nicht seinen Ring, seine Mitra, seinen Stab, welcher Kardinal nicht seinen Purpur, welcher Papst nicht seinen weißen Rock, seine Camerieri, seine Schweizer und all sein Zeitliches dahin, um ein Heiliger zu sein? Wer möchte nicht die Kraft haben, dies wunderbare Abenteuer zu bestehen?

Denn die Heiligkeit ist ein Abenteuer, sogar das einzige, das es gibt. Wer das einmal verstanden hat, ist ins Herz des katholischen Glaubens eingetreten, hat in seinem sterblichen Fleisch einen anderen Schreck verspürt als den des Todes: eine übermenschliche Hoffnung. Unsere Kirche ist die Kirche der Heiligen. Aber wer kümmert sich um die Heiligen? Man sähe sie gern als Greise voll Erfahrung und Politik, aber die meisten von ihnen sind Kinder, und die Kindheit steht immer allein gegen alle. Die Schlauen zucken die Achseln, lächeln: welcher Heilige hat den Leuten der Kirche viel zu danken gehabt? He, was gehen uns hier die Leute der Kirche an? (...)

Gott hat die Kirche nicht gemacht für den Wohlstand der Heiligen, sondern daß die Kirche ihr Andenken lebendig erhalte, damit nicht, mit dem göttlichen Wunder zusammen, ein Strom von Ehre und Poesie zerrinne. Es soll eine andere Kirche ihre Heiligen vorweisen! Die unsere ist die Kirche der Heiligen. Wem wolltet ihr diese Here von Engeln zu weiden geben? Schon die bloße Geschichte mit ihrem summarischen Verfahren, ihrem sturen und harten Realismus hätte sie zerbrochen.

Unsere katholische Tradition trägt sie davon, ohne sie zu verletzen, in ihrem umfassenden Rhythmus. Benedikt mit seinem Raben, Franz mit seiner Laute und seine provenzalischen Versen, Jeanne mit ihrem Schwert, Vinzenz mit seiner verschlissenen Soutane, und die Letztgekommene, die Fremde, Geheime, von den Geschäftemachern und Bestechlichen auf die Folter gespannt, mit ihrem unbegreiflichen Lächeln - Therese vom Kinde Jesu. (...) Wir respektieren die Dienste der Verwaltungsbehörden, der Profossen, des Generalstabs und der Kartographen, aber unser Herz ist mit den Männern der Front, unser Herz ist mit denen, die sich umbringen lassen." (zit. nach Hans Urs von Balthasar: Gelebte Kirche - Georges Bernanos.- 3. Aufl.- Einsiedeln: Johannes, 1988, S. 234f.)