"Sie, Herr Papst, werden diese Zeilen gewiß nicht zu lesen bekomme. Ihr geistliches Berufsbeamtenheer beschützt Sie vor solchen Reden und beraubt Sie damit des lebendigen Kontakts mit denen, deren Hirte Sie sein wollen.
Ein Hirte, von seinen Schafen getrennt durch theologische Aufpasser, kugelsicheres Glas und schwer bewaffnete Polizisten. Ein Hirte, den man vor seinen Schafen schützen muß, ein Hirte, der seine treuen Schafe für Wölfe hält und die echten Wölfe zu Verbündeten wählt. (...) Keiner Ihrer Vorgänger in diesem Jahrhundert brauchte ein derartiges Aufgebot an Polizei wie Sie. Daran ist nicht nur und nicht vordringlich die verschärfte politische Weltlage schuld. Daran sind Sie selber schuld mit Ihren [sic! Scipio] undifferenzierten Antikommunismus, geboren aus dem alten politischen Ressentiment gegen Rußland, dieses Ihnen verständlicherweise hartnäckig anhaftende Relikt aus Ihrer polnischen Jugend, das Ihnen den echten Dialog mit dem Osten und den Linken verbietet, den Ihr großer Vorgänger Papst Johannes XXIII. eröffnete - in prophetischer Voraussicht auf das Notwendige: auf den Abbau des Feindbildes vom bösen Linken, von der absoluten Unvereinbarkeit zwischen Christentum und Marxismus. (...)
Wer hier so zu Ihnen spricht, auch wenn Sie nicht hören, ist eine Frau Ihrer Generation, älter als Sie, die in der Nazizeit, gleich Ihnen, Hitler Widerstand leistete, deren Bücher auch in Ihrem Vaterland gedruckt, in Ihrer polnischen Muttersprache gelesen und geschätzt werden, die nicht wie ihre Schriftstellerkollegen Ihre Kirche verließ, sondern in ihr aushält, obgleich sie diese Kirche kaum mehr ertragen kann (...)
Warum bleibt die Ruferin dennoch Glied dieser Kirche, obgleich sie deren Grenzen erkannt und überstiegen hat?"
Wer weiterlesen mag, was die legendäre "Ruferin" Luise Rinser am 31. Mai 1984 in "Publik-Forum" an Papst Johannes Paul II. schrieb, der kann das gerne hier tun.
Heute, zu ihrem 100. Geburtstag, steht die 2002 verstorbene Luise Rinser, "des großen Führers verschwiegene Gesandte" (LR) ziemlich armselig da: Ihre Bücher kaum noch bekannt, ihre Dikatorenfreunde geächtet und gehasst, ihre "prophetische Voraussicht auf das Notwendige" als gutmenschlich-naive Fata Morgana endgültig widerlegt.
Der angefeindete "Herr Papst" wird morgen, ganz ohne Papamobil und kugelsicheres Glas, dafür aber unter weltweiter Anteilnahme und Akklamation des Kirchenvolkes zum "santo subito", zum Seligen erklärt.
So kann es gehen mit dem "Wehen des Heiligen Geistes, ... das Menschen treibt, die Kirche nach vorne zu öffnen und eine Menschenkirche zu werden" (LR) statt eine Kirche nach Menschengeschmack.
Lasst uns also beten für unsere verstorbene Schwester Luise Rinser: Daß auf die Fürbitte des seligen Karol Woityła ihre irdische Sehnsucht gestillt werde und sie ins himmlische Reich GOttes gelange.
Lesehinweis: Nie sollst Du mich befragen (Rezension der neuen Rinser-Biographie in der FAZ vom 8. Aril 2011)
30. April 2011
Himmlische Ironie: Luise Rinser zum 100. Geburtstag
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