Rüdiger Safranski writes again, diesmal über die Romantik und ihren Kampf gegen das große Gähnen:
"Über lange Zeit hin brauchte das Geheimnis keine besondere Verteidigung. Man war, solange die empirische Erforschung der äußeren Wirklichkeit noch nicht so weit entwickelt war, vom Unerklärlichen, Dunklen, Numinosen geradezu eingehüllt. Solange die Versicherungssysteme durch Wissen, Technik und Organisation noch rudimentär waren, kam es vor allem darauf an, soviel vom Geheimnis zu lüften wie möglich, im übrigen aber sich das Geheimnisvoll-Göttliche irgendwie gewogen zu machen. Wenn in der modernen Gesellschaft für die Sicherheit besser gesorgt ist, wird naturgemäß die religiöse Bindung schwächer. Dann erst kann das Bedürfnis aufkommen, das Geheimnis verteidigen zu wollen, aus dem einfachen Grunde, weil es nicht mehr so bedrohlich ist. In dieser Situation wird etwas anderes bedrohlich, nämlich die Sinnlosigkeitsgefühle und die Langeweile angesichts eines vermeintlich taghell ausgeleuchteten, versicherten und reglementierten Lebens. Dann ist nicht mehr der Gott für die Sicherheit, sondern ein Gott gegen die Langeweile gefragt.Christlicher Glaube ist dann konsequenterweise die Liebeserklärung an den "Realis", die einzig richtige Antwort auf die Epiphanie des "Tatsächlich", des Factum, des Verbum-Caro-Factum.
Dieser Gott gegen die Langeweile ist der romantische. Die Romantiker brauchen einen ästhetischen Gott. Nicht so sehr einen Gott, der hilft und schützt und die Moral begründet, sondern einen Gott, der die Welt wieder ins Geheimnis hüllt. Nur so lässt sich das große Gähnen angesichts der bis zum Nihilismus entzauberten Welt vermeiden. (...)
Das Romantisieren ist eine Liebeserklärung an den Irrealis, eine Epiphanie des Als-Ob, wie in dem wunderbaren Mondnacht-Gedicht Eichendorffs: 'Es war als hätte der Himmel/ Die Erde still geküsst / Dass sie im Blütenschimmer / Von ihr nun träumen müsst.'
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