Da ich derzeit öfters unterwegs als zuhause bin, kam ich nicht dazu, am 1. Oktober, dem Fest des hl. Fräulein Thérèse Martin, einen Text zu bloggen, der aus einem Interview stammt, das George Weigel 1997 mit dem damaligen Kardinal Joseph Ratzinger führte. Das hole ich jetzt nach:
"Wir kennen ganz unterschiedliche Kirchenlehrer, noch vor Antonius von Padua. Auf der einen Seite die großen scholastischen Lehrer, Bonaventura und Thomas von Aquin, die Professoren, Akademiker und große Lehrer im wissenschaftlichen Sinn waren, in der patristischen Phase große Prediger, die die Glaubenslehre nicht im theologischen Diskurs, sondern im Predigtwort entfalteten, daneben Ephräm, der seine Theologie wesentlich in Hymnen und Musik ausprägte. In diesen Zeiten nun gibt es neue Formen von Lehrern und es ist wichtig, den Reichtum unterschiedlicher Lehrweisen in der Kirche zu heben. Da haben wir nun Teresa von Avila mit ihren mystischen Erfahrungen und ihren Auslegungen der Präsenz Gottes in mystischer Erfahrung. Wir haben Katharina von Siena mit einer Erfahrungstheologie. Und nun haben wir Thérèse von Lisieux mit einer anderen Art von Erfahrungstheologie.
In unserer wissenschaftlichen Gesellschaft ist die Botschaft von einer einfachen und tiefen Gottesbeziehung ebenso wichtig wie die Lehre, wie einfach es ist, eine Heilige, ein Heiliger zu sein: In dieser Zeit, die so auf Wirkung aus ist, zu lehren, daß es nicht unbedingt von großen Taten abhängt, ein Heiliger zu sein, sondern daß es darin besteht, den Herrn in uns arbeiten zu lassen.
Das ist auch für den ökumenischen Dialog interessant. Anlaß zu Luthers Rechtfertigungslehre war seine Schwierigkeit, sich selbst so zu denken, als sei er gerechtfertigt und erlöst durch die komplexen Strukturen der mittelalterlichen Kirche. Gnade erreichte seine Seele nicht und wir müssen in diesem Zusammenhang den Aufbruch des sola fide verstehen; daß Luther schließlich selbst entdeckte, man müsse dem Herrn nur fiducia, Glauben, schenken, sich selbst in die Hände des Herrn geben - und ich bin erlöst. Ich denke, auf eine sehr katholische Weise kehrt das mit Thérèse von Lisieux wieder: Wir müssen nichts Großes tun. Ich bin arm, spirituell und materiell, und es ist genug, mich in die Hände Jesu zu begeben. Das ist eine wahre Auslegung davon, was es heißt, erlöst zu sein. Wir müssen nichts Großes tun, wir müssen zuversichtlich glauben. In der Freiheit solchen Glaubens können wir Jesus nachfolgen und ein christliches Leben führen. Das ist nicht nur ein wichtiger Beitrag zum ökumenischen Dialog, sondern zu unserer gemeinsamen Frage: Wie kann ich erlöst werden, wie bin ich gerecht? Der 'Kleine Weg' ist eine sehr tief reichende Wiederentdeckung der Mitte christlichen Glaubens.
Die andere Konzeption ist es, daß man vom Kloster aus, in Weltabgeschiedenheit, viel für die Welt tun kann. Gemeinschaft mit Christus ist Christen auf der ganzen Welt gegenwärtig. Jeder kann 'wirksam' für die allgemeine Kirche sein - das ist eine neue Definition der 'Wirksamkeit' in der Kirche. Es gibt so viel Aktion, und wir müssen entdecken, daß´'Wirksamkeit' bei der Gemeinschaft mit Christus beginnt. Die Vorstellung, daß das Herz der Kirche in allen ihren Gliedern gegenwärtig ist, ist eine wichtige Korrektur einer rein pragmatischen Kirche, einer 'wirksamen' Kirche im äußerlichen Sinn. Sie ist eine Wiederentdeckung der Wurzeln allen christlichen Humanismus." (Das Projekt Benedikt.- München: Pattloch, 2006, S. 318f)
1 Kommentar:
hab "das Projekt" auch gerade begonnen; scheint recht ordentlich zu sein, auf jeden Fall um vieles anspruchsvoller und aufschlussreicher als die meisten der z.Z. boomenden Benedikt-bücher (ich meine natürlich ausschließlich die Sekundärliteratur, nicht die Ratzingerschriften, logo...)
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