Georges Bernanos lässt am Fest der hl. Therese predigen, was sich aber auch an jedem beliebigen Sonntag des Kirchenjahres mit Nutzen lesen und bedenken lässt:
Andächtige Christen!
Ich teile euere Überzeugungen nicht. Aber die Kirchengeschichte ist mir wahrscheinlich vertrauter als euch, ich habe sie gelesen und nicht viele Pfarrangehörige können von sich das gleiche sagen. Sollte ich mich irren, so mögen die, die sich davon betroffen fühlen, die Hand heben! Andächtige Christen! Ich kann euch nur zustimmen, daß ihr das Lob der Heiligen feiert, und bin glücklich, daß der Herr Pfarrer mir gestattet, mich euerem Lobpreis beizugesellen.
Die Heiligen gehören euch mehr als mir, denn ihr betet denselben Herrn an wie sie. Ich finde es demnach sehr verständlich, daß ihr euch gegenseitig zu der Glorie beglückwünscht, die sie durch ein erhabenes Leben errungen haben. Doch - verzeiht mir diese Bemerkung! - ich kann mir nicht gut denken, daß sie so viel gekämpft und gelitten haben, nur um euch Freuden zu verschaffen, an denen Tausende von armen Teufeln nicht teilhaben können, weil sie von diesen Helden nie haben reden hören und, wenn sie sie kennenlernen wollten, einzig auf euch angewiesen sind. Zwar bringt die Postbehörde jedes Jahr Kalender in Umlauf, wo neben den Mondphasen auch ihre Namen verzeichnet sind. Aber diese großartigen Verschwender haben alles hingegeben, sogar ihre Namen, die nun eine andere wachsame Behörde, das Standesamt, dem ersten besten, ob er gläubig ist oder ungläubig, zur Verfügung stellt, daß sie für die neugeborenen Staatsbürger als Registernummer dienen.
Wir, wir kennen die Heiligen nicht, doch es scheint, daß ihr sie ebenso wenig kennt. Wer von euch wäre imstande, zwanzig Zeilen über seinen Namensheiligen zu schreiben? Früher hätte mich diese Unkenntnis sprachlos gemacht, jetzt scheint sie mir fast ebenso selbstverständlich wie euch. Ich weiß, ihr kümmert euch kaum um das, was Leute meiner Art denken. Die frommsten euerer Brüder vermeiden sogar jede Auseinandersetzung mit den Ungläubigen, um nicht den Glauben zu verlieren, wie sie sagen. Wir können nicht umhin, daraus zu folgern, daß dieser Glaube auf sehr schwachen Füßen steht. Wir fragen uns, wie dann wohl der Glaube der Lauen und Mittelmäßigen beschaffen sein muß. Wir behandeln diese Unglücklichen gewöhnlich als Simulanten und Heuchler. Für uns ist das eine ziemlich traurige Feststellung.
Ihr interessiert euch nicht für die Ungläubigen, aber die Ungläubigen interessieren sich außerordentlich für euch. Es gibt wenig Ungläubige, die sich nicht in einer bestimmten Epoche ihres Lebens euch heimlich genähert hätten, und wäre es auch mit einem Wort der Beleidigung auf den Lippen. Versetzt euch in unsere Lage. Bestände nur eine Chance, eine kleine Chance, eine winzig kleine Chance, daß ihr recht habt, so würde uns der Tod eine furchtbare Überraschung vorbehalten. Ist die Versuchung da nicht groß, euch von nahem zu beobachten, euch unter die Lupe zu nehmen? Denn schließlich nimmt man doch von euch an, daß ihr an die Hölle glaubt. Verrät der kameradschaftliche Blick, den ihr zuweilen auf uns werft, nicht ein wenig Mitleid, das ihr einem Verdammten dieser Erde sicher versagen würdet.
O gewiß! Wir erwarten keine lächerlichen Beweise, aber schließlich, schließlich und endlich, allein die Vorstellung, daß einige von den Kameraden, mit denen man getanzt hat, Ski gelaufen ist, Bridge gespielt hat, vielleicht für alle Ewigkeit Gott verfluchen und mit den Zähnen knirschen werden, müßte doch eigentlich einen Menschen ändern! Kurz, wir halten euch für interessant.
Doch siehe da, ihr seid gar nicht sonderlich interessant, und diese Enttäuschung schmerzt uns. Es schmerzt uns vor allem die Demütigung, daß wir auf euch gebaut haben, d. h. aber, daß wir an uns, an unserem Unglauben gezweifelt haben.
Die meisten meiner Gesinnungsgenossen halten sich an diese erste Erfahrung. Doch sie löst das Problem noch keineswegs. Denn selbstverständlich findet man unter euch auch falsche Fromme, deren einziger Antrieb der Eigennutz ist. Aber es gibt auch die anderen. Wer sie betrachtet, muß unweigerlich bemerken, daß der Glaube, den sie bekennen, an ihrem Leben zwar nicht viel ändert, da sie wie wir, wenn auch in bescheidenerer Dosierung, sechs von den sieben Hauptsünden begehen, durch die außerordentliche Wichtigkeit, die sie der siebenten, die als Todsünde gilt, beilegen, alle ihre traurigen Sinnenfreuden vergiften.
Meine lieben Brüder, nicht bloß der fehlende Heroismus, ohne den, nach der Meinung Leon Bloys, der Christ nur ein Schwein ist, sondern schon euere Ängstlichkeit in der Unzucht macht euch unter allen ändern kenntlich. Es ist also wahr, ihr glaubt wirklich an die Hölle. Ihr fürchtet sie für euch, die Gläubigen, ihr erhofft sie für uns. Es ist unerhört, daß euch unter diesen Voraussetzungen jedes Gefühl für Tragik abgeht.
(Aus Bernanos' Großen Friedhöfen unter dem Mond, hier zitiert aus Die Vorhut der Christenheit)
22. Juni 2008
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