31. August 2007

Sentimentalität als anschlußfähige Religion

Immer diese Gleichzeitigkeiten...

Da liest man ein etwas älteres Interview des neo-katholischen Religionspädagogen und modernen Kirchenlehrers Hubertus Halbfas, der da sagt:

"Das kirchlich gelehrte, gefeierte und gebetete Christentum ist entschieden christologisch geprägt. Aber man muss bedenken, dass sich aus der Christologie alles machen lässt, wenn sie die direkte Verbindung zum historischen Jesus verliert oder aufgibt. Jesus war Jude, und er glaubte in jüdischer Weise an Gott. Eine Christologie darf an diesem unbezweifelbaren Befund nicht vorbeigehen. Eine Christologie, in die dieser Gottesglaube Jesu nicht eingebracht wird, ist eine Christologie ohne Jesus. Sie macht aus Jesus eine Kunstfigur. (...)

...und damit ist wahrscheinlich die entscheidende Umbaustelle benannt. Eine Baustelle, die mehrere Engpässe hat. Die Ostkirche betont stark die Erlösung auf Grund der Menschwerdung Gottes. Die Westkirche sagt: »... denn durch dein heiliges Kreuz und Leid hast du die Welt erlöst« und fokussiert so das Ganze auf den Tod Jesu hin. Aber an die biologischen Eckdaten eines Lebens - Geburt und Tod - das Erlösungsverständnis zu knüpfen ist ein problematischer Ansatz. Letztlich ist Erlösung theologisch, nicht christologisch zu verstehen: Der durch Jesus vermittelte Gott ist ein Gott der Liebe. Dieser Gott war immer schon Liebe, nicht erst seit Jesus. Und die Liebe Gottes ist das eigentlich Erlösende. In Jesu Verständnis muss diese Erlösung sich immer neu ereignen. Als gelebte Liebe, als Ermöglichung des Lebens.

(...) Dennoch müssen wir den Begriff Erlösung nicht aufgeben. Wir können sie als Befreiung verstehen und uns daran erinnern, dass auch die Märchen von Erlösung sprechen. Dort wird immer aus einer Gestalt der Uneigentlichkeit befreit. Jemand ist in ein Tier, eine Hexe oder einen Stein verwandelt. Aber die uneigennützige Liebe eines anderen kann ihn erlösen. Da begegnen sich christliche und allgemein menschliche Erfahrung.


Und kurz danach findet man in der Online-Ausgabe des "Merkur" einen lesenswerten Aufsatz von Norbert Bolz, der ganz direkt darauf antwortet - nicht als kirchlich, dogmatisch gebundener konservativer Katholik, sondern als Medientheoretiker:

"Die Religion des Letzten Menschen setzt die Auflösung und Rekombination der religiösen Traditionen voraus. Auflösung und Rekombination wohlgemerkt, denn nur Religion kann Religion ersetzen. Andere Äquivalente ignorieren entweder das Jenseits (so klassisch der Marxismus) oder das Diesseits (so täglich der Drogenrausch). Die religiöse Kombinatorik gerät um so überzeugender, je weniger dogmatischen Ballast sie mit sich schleppt; ihren Grenzwert markiert Émile Durkheims Paradoxie »Religion ohne Religion«.

Das Christentum ist hier nicht anschlußfähig; jedenfalls nicht in seiner kirchlichen Dogmatik. Deshalb ersetzt es den Skandal des Gekreuzigten zunehmend durch einen neutralen Kult der Menschheit. Der Humanismus der Kirchen kompensiert, daß sie die Themen Kreuz, Erlösung und Gnade aufgegeben haben. Was bleibt, ist Sentimentalität als letzter Aggregatzustand des christlichen Geistes."

6 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

Sehe ich nicht so. Das muss auch keine Aufgabe sein, sondern im Gegenteil - eine massive Erweiterung. Wer das als Sentimentalität begreift, der benutzt auch Worte wie "Gutmensch".

Anonym hat gesagt…

Sehe ich nicht so. Das muss auch keine Aufgabe sein, sondern eine massive Erweiterung. Wer das als Sentimentalität begreift, der benutzt auch Worte wie "Gutmensch".

Petra hat gesagt…

Dann schon lieber der vom Papst in "Jesus von Nazareth" ausführlich zitierte Rabbi Neusner. Der versteht das Jüdische in Jesus viel besser als solche Häretiker wie Halbfas: "'Was hat er weggelassen?' 'Nichts.' 'Was hat er dann hinzugefügt?' 'Sich selbst.'"

Übrigens: Warum ist es eigentlich immer so, dass Leute, die auf der "Jesus war Jude=Jesus hat sich nicht als der Sohn Gottes gesehen"-Schiene herumreiten, dermaßen wenig Ahnung vom Judentum (dem damaligen wie auch dem heutigen) haben??? Von der Messias-Erwartung, von der jüdischen Tempelliturgie, vom Neuen der Verkündigung Jesu?

Bolz hat vollkommen recht: wenn man all das weglässt, was das Christentum ausmacht, dann kommt schlussendlich nur eine religiös verbrämte soziale Ader heraus.

Nikodemus hat gesagt…

Schon länger verläuft der Gedanke von einer Ablösung von der Christologie hin zur Zentrierung auf die "Theologie" (im Grunde der Versuch hinter das Trinitätsdogma zurück zu kommen) und von dort dann schließlich auch noch hinter diese zu einer Art interreligiösen Gottheit, über die man sowieso nichts weiß, und die sich mal oder so offenbart. Zu diesen Leuten gehört auch Halbfas, der vor einiger Zeit mal äußerte Mission könnte heute ja nur noch bedeuten als Moslems besser Moslems und aus Buddhisten bessere Buddhisten zu machen...

Scipio hat gesagt…

@ Onkel Toby:

Es wäre eine Erweiterung, wenn wir verstehen würden, was eben Jesus Christus (incl. Menschwerdung, Kreuz und Auferstehung) für den Menschen und die Menschheit bedeuten. Es gibt einen christlichen Humanismus - und Johannes Paul II. war einer seiner größten Vertreter. Oder mit dem Konzil (Gaudium et Spes 22):
"Tatsächlich klärt sich nur im Geheimnis des fleischgewordenen Wortes das Geheimnis des Menschen wahrhaft auf. Denn Adam, der erste Mensch, war das Vorausbild des zukünftigen, nämlich Christi des Herrn. Christus, der neue Adam, macht eben in der Offenbarung des Geheimnisses des Vaters und seiner Liebe dem Menschen den Menschen selbst voll kund und erschließt ihm seine höchste Berufung."
Es gibt kein Entweder-Oder, wie es Halbfas glauben mag und glauben macht.

Genauso wenig wie es "Liebe Gottes" gibt außerhalb, ohne Jesus Christus. Jesus ist genau diese Liebe, und es ist - mindestens innerhalb des "orthodoxen" Christentums - nicht möglich, von Jesus abzusehen, wenn wir von Gottes Liebe sprechen.

"Dieser Gott war immer schon Liebe, nicht erst seit Jesus." Das ist dann richtig, wenn es sich auf den Drei-Einen Gott "vor" der Menschwerdung Jesu bezieht. Aber ich fürchte, so meint Halbfas das nicht und er will, wie kj sagt, wirklich vor das Trinitätsdogma zurück. Das ist eigentlich seine Privatsache, aber da ja Heerscharen von Geweihten und Hauptamtlichen Christen an seinen Lippen hängen, muß uns die leider doch kümmern.

Wenn wir Jesus nur als sehr gelungene Illustration eines gar noch von unserem Verstehenshorizont bestimmten Menschseins verstehen, dann unterscheidet uns von unseren ungläubigen Mitmenschen, die der Religion des letzten Menschen anhängen, nicht mehr viel, nur unser Bedürfnis nach einem traditionskompatiblen Vorbild. "Wir können leider nicht so abstrakt denken. Wir brauchen ein bißchen was zum Anfassen, ein paar gute Geschichten, ein Gesicht."

Petra hat gesagt…

"Dieser Gott war immer schon Liebe, nicht erst seit Jesus." Das ist dann richtig, wenn es sich auf den Drei-Einen Gott "vor" der Menschwerdung Jesu bezieht. Aber ich fürchte, so meint Halbfas das nicht und er will, wie kj sagt, wirklich vor das Trinitätsdogma zurück.

Das Problem ist ja - was Leute wie Halbfas vollkommen ausblenden -, dass Gott ja überhaupt nur dann und dadurch als "Liebe" erkennbar ist, dass Er sich in Jesus Christus offenbart hat. (Und zwar wirklich Er sich.)

Man denke nur an die Aufklärer des 18. Jh.s, die zuerst den christlichen Gott alles "Mythologischen" entkleideten - und schlussendlich dann, angesichts der Leiden der Welt, auch Seine Liebe und Barmherzigkeit fallen lassen mussten. Die Liebe Gottes ist eben nicht verständlich ohne das Kreuz.