20. April 2008

Zum Mißbrauchsskandal in der US-Kirche

"Wenn nicht alles täuscht, hat Benedikt XVI. mit seinen Aussagen und zumal mit seinem Verhalten während des Amerika-Besuches die Wende zu jener "Null Toleranz"-Politik gegenüber sexuellem Missbrauch vollzogen, die schon Johannes Paul II. verkündet hatte, die durchzusetzen er aber zu schwach oder auch unwillens war", so Matthias Rüb in der FAZ.

Nicht daß ich ein Experte wäre oder daß sich der Mißbrauchsskandal in einem oder zwei Blog-Einträgen abhandeln ließe, aber ein paar Anmerkungen zu diesem Satz möchte ich schon machen.


  • Was genau ist "Null Toleranz", "Zero Tolerance" in diesem Zusammenhang? Genau das war und ist ja umstritten: Soll ein Priester aus der Pfarrei entfernt werden, jugendfern eingesetzt werden, aus dem Priesteramt ausgeschlossen werden? Nach einem Vergehen, nach wiederholten Vergehen? Auch wenn das Vergehen strafrechtlich und kirchenrechtlich verjährt ist? Reichen Anschuldigungen oder müssen die Anschuldigungen auch bewiesen werden können?
  • Die "Null Toleranz", die die US-Bischöfe nach ihrem Dallas Meeting im Juni 2002 praktiziert haben bzw. praktizieren wollten (mehr hier), wurde durch das Streben nach "Transparenz" ergänzt. Listen von Priestern wurden veröffentlicht, die des sexuellen Mißbrauchs beschuldigt wurden - in manchen Fällen war den Beschuldigungen nachgegangen worden, in andern nicht, in wieder andern konnte gar nicht mehr nachgegangen werden - mit der Folge, daß Priester und Ordensleute am Pranger standen, die sich - weil tot oder inzwischen in hohem Alter - nicht mehr wehren konnten.
  • Mit der notwendigen und unvermeidlichen Fixierung auf den "sexuellen Mißbrauch Minderjähriger" geriet innerkirchlich die Feststellung aus dem Blick, daß - mit Father Richard J. Neuhaus - "the very real problem is not whether the other person was sixteen or eighteen".
  • Und um mit Father Neuhaus (März 2008-Ausgabe von First Things) fortzufahren: "It has not escaped the notice of many observers that zero ­tolerance has not been applied in like manner to ­bishops who were complicit, or more than complicit, in the sexual abuse of minors. Never mind similar ­patterns of cover-up and corruption in religious orders or the lavender priests, both religious and diocesan, for whom the chief lesson learned from the sex-abuse ­crisis is to make sure their sexual partners are of legal age." ("Der Aufmerksamkeit vieler Beobachter ist es nicht entgangen, daß Nulltoleranz nicht gleicher Weise auf jene Bischöfe angewandt wurde, die sich am sexuellen Mißbrauch Minderjähriger mitschuldig oder mehr als mitschuldig machten. Nicht zu erwähnen ähnliche Muster von Vertuschung und Korruption in religiösen Gemeinschaften oder die schwulen Priester in Orden und Diözesen, für die die Hauptlektion aus dem Mißbrauchsskandal war sicher zu gehen, daß ihre Sexualpartner volljährig sind.")

Die Zahlen, die der John Jay Report 2002 zusammengetragen hat, sind erschreckend. Die (zugegebenermaßen obskure) Website Priests of Darkness hat folgendes extrahiert:

  • "US clerics accused of abuse from 1950-2002: 4,392.
  • About 4% of the 109,694 serving during those 52 years.
  • Individuals making accusations: 10,667.
  • Victims' ages: 5.8% under 7; 16% ages 8-10; 50.9% ages 11-14; 27.3% ages 15-17.
  • Victims' gender: 81% male, 19% female
  • Duration of abuse: Among victims, 38.4% said all incidents occurred within one year; 21.8% said one to two years; 28%, two to four years; 11.8% longer.
  • Victims per priest: 55.7% with one victim; 26.9% with two or three; 13.9% with four to nine; 3.5% with 10 or more (these 149 priests caused 27% of allegations).
  • Abuse locations: 40.9% at priest's residence; 16.3% in church; 42.8% elsewhere.
  • Known cost to dioceses and religious orders: $572,507,094 (does not include the $85 million Boston settlement and other expenses after research was concluded). (...)
  • It should be noted that 30% of all accusations were not investigated as they were deemed unsubstantiated or because the accused priest is dead." (Daß aus den 4.392 im Report berichteten Fällen 2008 5.000 geworden sind, ist nachzuvollziehen - aber auch die sind dann wohl zu einem signifikanten Teil nicht untersucht...)

Klar wird jedenfalls, daß es nicht nur und nicht vor allem um Pädophilie geht, wie sie z.B. die Wikipedia definiert, sondern um homosexuellen Sex mit männlichen Jugendlichen. Das nicht um zu verharmlosen, sondern um klarzumachen, wo das Problem liegt.

1 Kommentar:

Diego hat gesagt…

aufmerksamen Beobachtern sollte auch nicht entgangen sein, dass das angesprochene Problem bei weitem kein inner-amerikanisches ist.....leider; und ich denke, nicht nur dem Hl. Vater ist dies voll bewuß; ich hoffe auch in unseren Breiten kommt es zu einer tiefgreifenden metanoia im Umgang mit dieser Krebsgeschwulst in unserer Kirche, wie es jetzt von einem der Opfer des Mißbrauchs dem Papst gegenüber offen bezeichnet wurde