22. Februar 2011

In der Kirche leben (4)

Was Henri de Lubac in diesem ganzen Kapitel seines Buches als Agenda vorstellt, ist letztlich ein kleines Kunststück: Alle Einseitigkeiten gilt es zu vermeiden, oder besser solche, die unorganisch werden, die die Balance stören, die verhärten und verengen, die den Blick auf die ganze Wirklichkeit der Kirche und ihres Glaubens verstellen. Verlieben darf man sich freilich, das soll man sogar. Darf sich über Freunde Gottes freuen, die einem besonders nahe stehen und nahe gehen. Und darf sich von ihnen in die Mitte, in das "innerste Geheimnis" führen lassen. Von wo aus dann die große Überlieferung und Geschichte und - so darf man wohl sagen - auch die große und lebendig-bunte Gegenwart der Kirche in aller Vielfalt, in aller gnadengeschenkten Farbigkeit sichtbar wird. Das gilt es zu tun, oder nach GOttes Willen zu erleiden. Schreiben davon, bloggen zumal, wird nicht genügen.

"Ohne sich blindzustellen für die evidenten geschichtlichen Unterschiede - denn ob man es eingesteht oder nicht: vieles von dem, was den bleibenden Kern umlagert, wechselt nach Zeiten und Orten - ist es sein tieferes Anliegen, die Kontinuität herauszustellen, denn diese erscheint ihm realer. Ohne aus seinem Gesichtskreis etwas zu verbannen, was die Kirche billigt, wird er seine persönlichen Vorlieben haben, Wahlverwandtschaften fühlen und hegen, die Gott gewiß nicht umsonst gewollt hat; trotzdem wird er gewissen Hauptzeiten und exemplarischen Ereignissen vermehrte Aufmerksamkeit schenken: der Ära der ersten Blutzeugen, dem Aufbruch des mönchischen Lebens, den wichtigen Stufen in der Ausformung des Dogmas, dem Wirken der großen Heiligen und Kirchenlehrer, den Blüten geistlicher Erneuerung..., er wird auch gerne, wenigstens in den Hauptzügen, die Geschichte der Missionen sich vergegenwärtigen. Die alten Traditionen des christlichen Ostens wird er nicht vernachlässigen, als die 'erste Schicht', den ehrwürdigen Stamm, der uns alle trägt. Und wenn er selber Gelehrter ist, wird er die Methoden seines Faches - mit mehr oder weniger Glück - anwenden, und dabei nicht vergessen, daß die katholische Überlieferung sich in ihrem innersten Geheimnis auch einer erschöpfenden 'Bestandesaufnahme' nicht preisgibt; wird sie doch nur dem ganz verständlich, der sich in ihrer eigenen Achse hält und, weil er aus dem Glauben der Kirche liebt, von innen her betrachten kann." (Die Kirche.- Einsiedeln: Johannes, 1968, S. 222-223)

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