Der Papst wird demnächst "seine" Leute auf die Straße bringen und vermutlich mit seiner zurückhaltenden, ein wenig scheuen, fast verlegenen Art, in klaren, einladenden, ermutigenden Predigten und Ansprachen versuchen, seinen ehemaligen Landsleuten Jesus Christus, den Herrn der Kirche, den gekreuzigten Freund und auferstandenen Begleiter nahezubringen und die Prioritäten zurückzurücken. Ohne Umschweife, schätze ich, wird er die Wahrheit des Glaubens, seine Fülle, seine Mitte, seine Schönheit aussprechen - und wir werden sagen: "Na, es geht doch!"
Und vielleicht kommt die Botschaft auch dort an, wo viele eifrige, gut ausgebildete und engagierte Mitarbeiter das "Volk Gottes" fitmachen wollen für die Veränderungen der nächsten Jahrzehnte. Z.B. im Bistum Trier, das Bischof Reinhard Marx mit dem projekt 2020 innerlich und äußerlich grundlegend erneuern will.
Wie das in Deutschland so ist, gibt es dazu einen genauen Projektplan, jede Menge begleitende Veranstaltungen, Schulungen für alle Beteiligten, ein Pastoralschreiben und auch sonst jede Menge Worte. Das muß wohl so sein, wenn sich etwas verändern soll.
Ich glaube ja, daß sich in solchen Projekten (die es nicht nur in Trier gibt) die deutsche Kirche besonders typisch "selbstvollzieht" - wie man mit Karl Rahner und den Pastoraltheologen sagen könnte. Auch wissenschaftlich würde es sich deshalb lohnen, das vielfältige Material zu studieren und zu analysieren, was dort gesagt wird, wie es gesagt wird, wie sich die Gewichte verteilen - und was nicht gesagt wird. Und was uns das dann über die zugrunde liegende Theologie, über die Erwartungen an das "Volk Gottes" und seine einzuschlagende Richtung sagt.
Aber wir treiben hier keine Wissenschaft, sondern schreiben und lesen ein Weblog. Ein parteiischer Laie kommt also zum Wort und nimmt sich einen kurzen, aber nichts desto weniger typischen Text vor, eine Buchtipp im Impulsheft 1 vom September 2005, S. 15. Der Text besteht zu gut drei Vierteln aus dem Klappentext des empfohlenen Buches und einem Absatz, der es in den Trierer Kontext stellt. Das Buch selber kenne ich nicht, was auch für das, was ich sagen will, nicht nötig ist: Denn der Klappentext als literarische Gattung verrät ja schon einiges von dem, was Buchautor, Verlag und den empfehlenden Redation wichtig ist und was ihrer Meinung nach die Zielleserschaft interessieren könnte und sollte. Nun denn:
Andreas Unfried, Da murrte das VolkSo allgemein der Satz auch klingt, inzwischen gehört er zum Standardwissen jedes Katholiken: Es ändert sich was in den Gemeinden, wir sind schon mitten drin, die Kirchengemeinde der Zukunft wird jener der Vergangenheit nicht mehr sehr ähnlich sein. Priestermangel, Einnahmenrückgang, Kirchenschwinden, leere Gottesdienste, Verkümmern der volkskirchlichen Verwurzelung der Kirchengemeinde in der Gesellschaft - die ganze Palette eben.
Echter, 1999, ISBN 3-429-02082-4
Der Klappentext des Büchleins des Limburger
Priesters und Theologen Andreas Unfried formuliert:
"Die heutigen Kirchengemeinden stehen vor tiefgreifenden
Veränderungen.
Der Schwung der Nachkonzilszeit ist dahin,Die Jahre von 1965 bis, ja wann? bis zur Würzburger Synode? bis mit Johannes Paul II. "die winterliche Zeit der Kirche"(K. Rahner) einbrach? - sind sie nicht längst eine mythologische Bezugsgröße? Der heile Anfang, den es so nie gab? Die Erinnerung verklärt den Lärm der damaligen Bauarbeiten zum Wohlklang und nimmt nur noch die Begeisterung für das "Aufbruch" wahr und nicht die Kollateralschäden. Denn einerseits war der Aufbruch aus dem Ghetto längst schon vorkonziliar im Gang, anderseits drang durch die aufgerissenen Kirchenfenster nicht nur frische Luft, sondern auch jede Menge abgestandener und fremder Mißgerüche in die alten Mauern.
allerorten wird geklagt und gejammertSo selbstverständlich wie das "allerorten" da steht, ist es nicht. Die "Allerorte" befinden sich vor allem in Westeuropa - anderswo sind sie eher dünn gesät. Anderswo blüht die Kirche auf, oder hat nach postkonziliarem Aufbruch und nachfolgender Jammerphase neue Dynamik gewonnen. Nicht ohne Wachstumsschmerzen. Aber doch so, daß das Klagen und Jammern dort nicht im Vordergrund steht. Daß wir es mit einer deutschen, einer westeuropäischen Sondersituation zu tun haben, das war 1999, als der Klappentext wohl geschrieben wurde, schon so, wenn auch noch kaum wahrgenommen. Mittlerweile kommt dieses Faktum auch in Deutschland in den Blick. Langsam, ganz langsam, wie mir scheint. Der WJT 2005 war vielleicht die endgültige Kehrtwende: das TV zeigte uns eindeutig moderne, intelligente, dynamische, ja: hippe junge Katholiken, neben denen so manche Kirchenleute und so manche Zentralkomiteeler richtig alt aussehen.
– das Volk murrtJetzt fällt es endlich, das Wort, das WORT: "Volk", Kernbegriff konziliarer Erneuerung. Vier Zeilen mussten wir darauf warten. Das Volk Gottes darf nicht mehr swingen, die Fete ist vorbei - und jetzt murrt es. Verständliche Reaktion und Menschenrecht, mindestens in Deutschland. Wir kennen es aus den Betrieben und Firmen, die durchs Tränental gehen, wir kennen es von der Titelseite der BxxD-Zeitung: Veränderungen sind immer schlecht - wir wollen bleiben, wie wir sind.
Doch nun klingt das Thema an, wir erleben ein Stück biblischer Theologie für Nicht-Alttestamentler:
Auch das Volk Israel murrte. Nach seinem Aufbruch aus Ägypten fühlte es sich müde und schwach, die Führer schienen unfähig, man sah sich im Kreis drehen statt vorankommen.Eine Kurzfassung der Sinaijahre, die völlig ohne Bezug auf GOtt, ohne Bund, ohne Torah auskommt; die verschweigt, daß man auf Verheißung hin aufgebrochen war und schon am Roten Meer ein Vorzeichen der künftigen Verheißung erlebte; der Blick geht nach innen: auf die Gefühle, auf die Selbstwahrnehmung der 12 Stämme, und nach außen: auf die Anführer in ihrer vermeintlichen Unfähigkeit. Im Buch mag der Autor seine Sicht des Exodus bestimmt tiefer, theologischer darlegen - auf der Rückseite reicht es, wenn man ihn als etwas ausgedehnte und die Teilnehmer überfordernde Wanderung darstellt.
Indem Andreas Unfried den Weg Israels durch die Wüste und den Weg der Gemeinden heute aufeinander bezieht und sie wechselseitig beleuchtet, lädt er zu einer neuen Betrachtungsweise ein: im Weg Israels, einer sich konstituierenden Glaubens-Gemeinschaft, das Modell eines geistlichen Reifungsprozesses zu sehen und so für heutige Gemeinden, für die Entwicklung einer eigenen Gemeinde-Spiritualität fruchtbar zu machen.“"Sich konstituierende Glaubensgemeinschaft" - ist es das, was der Allmächtige - Gepriesen sei er! - mit den Israelis anstellte? Wer da wen konstituiert, bleibt im Unklaren - und es ist zu befürchten, daß das auch für den "Reifungsprozess" "heutiger Gemeinden" gilt. Sind es die theologischen und sonstigen Berater, sind es die Gemeinden, die da sich selber "konstituieren"? Ist es biblisch nicht eher so, daß die "Selbstkonstituierung" von Einzelnen, von Gruppen und Gemeinschaften eher nebenbei, fast unbeabsichtigt erfolgt - indem sich diese Einzelnen und Gemeinschaften aus dem Blick verlieren und auf etwas, nein: Einen ANderen schauen, indem sie sich erschüttern lassen von SEinem Ruf und SEinem Wort? Den Teufelskreis des Murrens und der Fixiertheit auf das eigene jetzige und zukünftige Geschick durchbrechen, oder weniger aktivistisch: vergessen, weil sie von diesem ANderen in Anspruch genommen sind?
Nach dem Klappentext nun der Trierer Impulsredakteur:
Die biblischen Betrachtungen und die Verknüpfung der Erfahrungen des Volkes Israel mit unserer heutigen Situation geben Impulse, das Ringen um die heutige Gestalt von Kirche und Gemeinden – dem Volk Gottes unterwegs – vor biblischen Hintergrund neu zu betrachten und im Fremden der biblischen Erzählungen das Nahe und Bekannte der eigenen Situation zu entdecken und neu zu sehen.Ist es zu viel, wenn ich gebranntes Nachkonzilskind hier wieder den selbstreflexiven Blick am Werk sehe, der überall nur in den Spiegel schaut und immer nur: sich und die eigene Malaise sieht? Oder sollte ich mich nicht viel schlichter über die Wiederentdeckung des Alten Testamentes freuen, das uns nach wie vor "fremd" ist und in Liturgie und Pastoral oft genug erspart bleibt? Warum nur fürchte ich dann schon wieder, daß diese Rezeption des AT nicht durch die Brille des Jesus von Nazareth, des verheißenen Messias Israels, erfolgt, sondern so, daß sie ohne IHn auskommt? Daß die Kirche, die hier die eigene Situation in ihren Erzählungen "neu sehen" soll, sich eher als Volk einer ausstehenden messianischen Verheißung denn als Neues Israel des gekreuzigten und auferweckten Jesus Christus wahr-nimmt?
Vielleicht sehe ich diese zwanzig Zeilen zu negativ, verkenne das ernsthafte Bemühen dahinter, habe eine Allergie gegen den pastoralen Neu-Sprech? Und doch scheinen sie mir so typisch für die flache Theologie und Spiritualität, die uns da seit Jahren von Pastoraltheologen verkauft wird - und die so wenig mit dem ganzen Reichtum des katholischen Glaubens zu tun hat.
Das ist es, warum es so viel Freude, ja: Spaß macht, einen Ratzinger- oder BXVI-Text zu lesen: weil von GOtt die Rede ist, weil er sich nicht verrenken muß, um die GOttesrede entschärft an den Mann zu bringen, sondern sie einladend und unverkürzt entfaltet. Weil er sich nicht um das murrende Volk kümmert und es zur Psychotherapie einlädt, sondern es mit der Einladung, der Herausforderung, dem Ruf konfrontiert. Weil es nicht ums Minimum geht, sondern um Heiligkeit als Geschenk, Einladung und Herausforderung.
2 Kommentare:
ohne das buch gelesen zu haben oder den autor zu kennen: ich vermute mal, dass der zitierte klappentext eben nicht allzuviel über das buch verrät - sondern nur etwas über ökonomische überlegungen, vermutete marktbedürfnisse u.ä.
man lese nur die einleitung in armin kreiners 'das wahre antlitz gottes', dem wurde sogar der titel vom verlag aufs auge gedrückt.
Eben.
Denn wäre es nur _ein_ Autor, wäre das ganze harmlos. Aber so sind es Verlagschefs, Programmverantwortliche, Lektoren, Leserschaft - und Weiterempfehler in den Ordinariaten...
Kommentar veröffentlichen