2. September 2006

Fassaden

"Die Herzen wandeln sich leise. Und sie haben sich oft gewandelt, ehe wir es so recht merken. Und so kann es auch uns geschehen, und vielleicht ist es uns auch schon - ganz oder teilweise - geschhen, daß unser Herz verschüttet wurde, daß die letzte und innerste Kammer unseres Herzen, dort, wo wir eigentlich erst wir selber sind, zugeschüttet ist vom Schutt des Alltags, zugeschüttet ist vom Zweifel und von der Skepsis, zugeschüttet ist durch die Verzweiflung und die Verbitterung. Man ist dagegen nicht gesichert bloß dadurch, daß man weiterpraktiziert.

Denn auch dieses Christenleben kann - ach, es ist alles möglich - zur Fassade gehören, hinter der man vor der Welt und vor allem vor sich selbst die tödliche Krankheit versteckt, die Krankheit zum Tode, die Krankheit des geheimen Unglaubens, der Verzweiflung, die Gelähmtheit des inneren Menschen, der aus dem Gefängnis der Endlichkeit nicht mehr herauszukommen vermag in das Licht, in die Güte, in die eine, freie, grenzenlose, über allen Tod erhabene Wirklichkeit des lebendigen Gottes.

Man kann Christ sein, nicht weil man glaubt, sondern weil man für und vor sich selbst seinen Unglauben, der einen sonst zu sehr erschrecken würde, verstecken will. Ja, aus der Natur der Sache heraus ist das Christentum für das verlogene Herz des Menschen die beste Tarnung des Unglaubens vor sich selbst, die beste Fassade, die das verschüttete Herz verbirgt."
(Karl Rahner: Von der Not und dem Segen des Gebetes.- Freiburg: Herder, 1962, S. 15f.)

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