27. März 2003

Lebensevent Kind

»In einer Gesellschaft, in der es nicht mehr um den puren Konsum materieller Güter geht, wird der Akt des Kinderbekommens ein geplantes und designtes Lebensevent mit hohem Erlebniswert.« So zitierte meine Lokalzeitung heute Matthias Horx, Trendguru, Zukunftsforscher, Futurologe, Beschreiber wahrscheinlicher Geschichte. (Ein bißchen anders sagt er es in seinem Aritkel in der Welt.

Ein Event: ganz sicher. Erlebniswert: auf jeden Fall. Aber ganz sicher keine Fortsetzung des »puren Konsums materieller Güter« auf einer anderen Ebene, nicht einmal für die Wohlhabenden. Wer einmal eine Nacht mit einem kranken Kind verbracht hat - für den Anfang tut es ein ganz normaler Husten - oder wer verzweifelt seinen/ihren seit vier Stunden schreienden Säugling einfach fallen lassen möchte, der hat etwas erlebt. Aber sub contrario. Nicht wie eine Bergbesteigung, bei der der Schweiß und sogar noch der Muskelkater zum Event dazugehört, nicht wie andere Risiko-Sportarten, (die ich mangels Interesse und jugendlicher Spannkraft gar nicht erst kennen gelernt habe und) die ein möglichst intensives Selbst-Erleben bezwecken, ist das Kinderbekommen und -haben die Geschichte eines Überwältigtwerdens durch eine größere Wirklichkeit.

Eltern haben die Mittel, Anzahl und Geburtszeitpunkt ihrer Kinder zu planen; in Indien erstreckt sich die Planung auch auf deren Geschlecht, und die modernen Reproduktionstechniken - ein passendes Wort, so schön kompliziert und nüchtern - werden in absehbarer Zeit sicher auch die komplette genetische Ausstattung festlegen können. An dem eigentlichen Erlebnis des Kinderbekommens/habens ändert das nichts.

Das eigene Kind im Arm zu halten - hilflos, schutzbedürftig, vor einer unbekannten Zukunft - ist eine Erfahrung, deren Umstände und deren Echo nicht planbar, designbar ist. Vor diesem In-die-Pflicht-genommen-sein - vor der Geburt undeutlich und wachsend, mit der Geburt unwidersprechlich und dann über lange Jahre nicht abzulegen - dürften auch die meisten Autobiographiedesigner schmelzen und zu den simplen Geschöpfen werden, die sie sind: homo sapiens sapiens, männlich und weiblich. (Hans Jonas: »Das Neugeborene, dessen bloßes Atmen unwidersprechlich ein Soll an die Umwelt richtet, nämlich: sich seiner anzunehmen. Sieh hin und du weißt. Ich sage "unwidersprechlich", nicht "unwiderstehlich": denn natürlich läßt sich der Kraft dieses wie jede Soll widerstehen, sein Ruf kann auf Taubheit stoßen (obwohl mindestens im Falle der Mutter dies als Entartung angesehen wird) oder durch andere "Rufe" wie etwa vorgeschriebene Kindesaussetzung, Erstgeburtsopfer und dergleichen, ja schon durch den nackten Selbsterhaltungstrieb übertönt werden - an der Unwidersprechlichkeit des Anspruchs als solchen und seiner unmittelbaren Evidenz ändert dies nichts.«)

So möchte ich sagen: Designt mal schön. Es wird ja doch härter als ihr befürchten, und verzückender als ihr wünschen könnt. Ihr macht Euch keine Vorstellung von den Schmerzen und der Freude. Verstehen lässt sich's, wenn überhaupt, erst im nachhinein.

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