David Foster Wallace habe ich nicht gelesen, aber als ich gestern, nach seinem Suizid, die Elogen auf dieses Prachtexemplar eines zeitgenössischen Schriftstellers las, musste ich an Walker Percy denken, genauerhin an seine Theorie des Transzendenzorbits, den Wissenschaft und Kunst auf je ihre Weise dem in der postreligiösen technisierten Welt heimatlos gewordenen Selbst bieten - und an seine Beschreibung der Wiedereintrittsmöglichkeiten nach dieser Reise: So viel bleibt da nicht an einem trägen Mittwoch nachmittag, nachdem der neueste Roman abgeschlossen ist. Sagt er.
Im folgenden einige Abschnitte aus "Loch im Kosmos: Das letzte Hilf Dir Selbst Buch" (Basel: Sphinx, 1991, S. 131 - 133)
"Transzendenz durch Kunst. Ist der Wissenschaftler der Fürst des postreligiösen Zeitalters, Beherrscher und Souverän des Kosmos durch dessen Transzendenz, so ist der Künstler der leidende Diener des Zeitalters, der durch seine eigene Transzendenz und seine Benennung der Dilemmata des Selbst zum Retter und Erlöser nicht nur der anderen Künstler wird, sondern überhaupt aller anderen Leidenden. Wie der Wissenschaftler transzendiert er, indem er Zeichen gebraucht. Anders als der Wissenschaftler spricht er nicht bloß zu einer kleinen Gemeinschaft anderer Künstler, sondern zur Welt aller Menschen, die ihn verstehen.
Es ist kein Zufall, daß der Künstler (Dichter, Romancier, Maler, Dramatiker) in den letzten hundert Jahren etwa zum Anzeiger eines Dissenses von der modernen These, das Los des Menschen werde sich direkt proportional zum Fortschritt von Wissenschaft und Technik verbessern, geworden ist. Die Entfremdung des Künstlers erstaunt viele, sowohl die Wissenschaftler und Techniker, die glücklich und fleißig sind, als auch die Laien und Nutznießer, die in der Immanenz des Konsums glücklich sind. (...)
Der Unterschied zwischen Einstein und Kafka, beide Söhne aus mitteleuropäischen Mittelschichtsfamilien, die beide das Leben in der normalen Welt unerträglich trostlos fanden:
Einstein entkam der Welt durch die Wissenschaft, das heißt, indem er nicht nur die Welt, sondern den Kosmos selbst transzendierte.
Kafka entkam seinem Dilemma - gelegentlich - auch, aber nicht durch die Wissenschaft, sondern durch die Kunst, das heißt, indem er sah und benannte, was bis dahin unsagbar gewesen war: das Dilemma des Selbst in der modernen Welt.
Die Erlösungswirkung der Kunst kommt in der Neuzeit im besten Fall daher, daß sie den Triumph des autonomen Selbst feiert - wie in Beethovens Neunter Symphonie -, und im schlechtesten Fall daher, daß sie das Unsagbare benennt: die seltsamen und zwecklosen Bewegungen des Selbst, das sich selbst zu entkommen versucht. (...)
Das Selbst in seinem Dilemma wird sowohl beim Schöpfen als auch beim Empfangen eines Zeichens mitgerissen - eine Zeitlang.
Nach einer Weile stecken beide, der Künstler und das Selbst, das das Zeichen empfängt, wieder in der gleichen Klemme oder einer noch schlimmeren - weil beide von der Transzendenz und der Gemeinschaft gekostet haben.
Wenn Dichter oft Selbstmord begehen, dann nicht, weil ihre Gedichte schlecht wären, sondern weil sie gut sind. Wer hätte je davon gehört, daß ein schlechter Dichter Selbstmord verübte? Der Leser ist nur wenig besser dran. Die mitreißende Wirkung eines guten Gedichts hält zwanzig Minuten an, höchstens eine Stunde.
Anders als der Wissenschaftler hat der Künstler Wiedereintritt sprobleme, und zwar häufig und mit katastrophalen Folgen."
15. September 2008
Wiedereintrittsverweigerung: in memoriam D. F. Wallace
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