Sören Kittel und Thomas Vitzthum in der Welt auf der Seite der Erniedrigten und Beleidigten, vor allem aber auf der Seite der von der Kirche Genervten.
Auf der Tour durch den katholischen Gemischtwarenladen machen sie aber auch keine Gefangenen, würde ich sagen. Falsche Alternativen, einfache Welt- und Kirchenbilder.
Dabei geht es hinter Pullermännern, Gebärmaschinen, bunten Kirchenfenstern und Null-Toleranz um grundlegende Fragen. Kittel/Vitzthum scheinen das nicht zu sehen, und mit ihnen machen offensichtlich andere Öffentlichkeitsarbeiter auf halbem Weg schlapp: Benedikt in allen Ehren, aber wir wollen doch nicht die liberale und libertinäre Gesellschaft des Anything goes in Frage stellen, oder? Den Bischöfen scheint es momentan nicht zu gelingen, diese Fragen deutlich zu stellen. (Den einen, weil sie zu nicht-mehr-ernst-zu-nehmenden Reizfiguren geworden sind, den anderen, weil sie als Welche-von-uns auf Gottschalks Couch für die gesellschaftliche Befriedung vereinnahmt werden oder ganz auf Tauchstation gegangen sind.)
26. Oktober 2007
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4 Kommentare:
Welche grundlegenden Fragen denn?
So schön knackig formuliert wie "liberale und libertinäre Gesellschaft"?
Ich meine das nicht provokant, ich will nur wissen, was deiner Meinung nach das gesellschaftliche Gegenmodell zu "liberale und libertinäre Gesellschaft" ist.
Sehr gute Frage.
Ich denke, es geht tatsächlich um _gesellschaftliche_ Fragen (und nicht um Fragen der Rechtsordnung), denn da fallen die Entscheidungen, denen das Recht und die Politik hinterherhinkt.
Die Alternative sehe ich in einer Gesellschaft, die Tugenden (nicht nur soziale, sondern auch solche des privaten und familiären Raumes) auch öffentlich-gesellschftlich hochzuschätzt, die einen öffentlichen Raum von Ehrfurcht, von Schamgefühl, von Zurückhaltung, von Nicht-alles-zeigen-wollen und Nicht-alles-sehen-und-wissen-wollen herstellen kann, und das geht von Pullermännchen-Theatern über Privatsender zu BXXD und Illustrierten bis zum alltäglichen Verhalten am Stammtisch und bei der Dessousparty, und die nicht, indem sie jedem alles erlaubt, de facto die einen, die lauten, die frechen ermuntert und die andern einschüchtert und in die altmodisch-muffige Ecke stellt. Die auch bereit ist, Rechte einzufordern, z.B. das Recht auf Leben, und zwar von sich selbst, indem sie nicht den kurzen, schmerzlosen Way out wählt: Stichtage verschieben, obligatorische, ergebnisoffene Beratung einführen, ... Die sich selber an die Werte bindet, die sie propagiert, und nicht alles gleich damit relativiert, daß - natürlich - jeder mit gleichem Recht auf Respekt tun und lassen darf, was er will... Es gibt Dinge, die eine liberale Gesellschaft zwar erlauben muß und sollte, also dulden muß und soll, aber nicht loben und nicht dazu ermutigen sollte. Dazu aber bräuchte es wahrscheinlich eine Selbstzensur (und die läuft auf eine andere Art von Political Correctness hinaus).
Nicht sehr befriedigend und auch nur ein schneller Versuch. Ich weiß nicht, wie realistisch das ist. Wahrscheinlich kaum, aber das ist ja auch nicht der Punkt für Christen, weil es nicht auf den Erfolg ankommt, sondern aufs Zeugnis geben.
Ja, ein sehr schwieriges Thema. Ich stehe ratlos davor.
Die so viel gescholtene liberale Gesellschaft ist eine große Errungenschaft. Dass man eben z. B. schwul leben darf, ohne deshalb um sein Leben fürchten zu müssen. Dass man nicht an einen bestimmten Gott glauben muss.
Du hast recht: Recht und Politik hinken der Gesellschaft hinterher.
Aber es gilt eben auch: Eine gesellschaftliche Mehrheit prägt die Gesellschaft und über Wahlen auch Staats- und Rechtsordnung.
Also: Was würde es bedeuten, wenn die Mehrheit der Menschen eine streng (ich nenne das mal so) katholische Gesellschaft wollte? Wollen Leute wie Mixa und Meisner eine andere Gesellschaft, letztlich also einen anderen Staat? Was passiert mit Menschen, die nicht in ihr Weltbild passen? Die ein Leben führen wollen, das letztendlich „ins Verderben führt“, wie es neulich Mixa über Homosexuelle gesagt hat? Können Menschen in der katholischen Idealgesellschaft nicht-katholisch leben, wie man in der liberalen Gesellschaft katholisch leben kann?
Jetzt habe ich meine Sorgen in viele Fragen gepackt. Und genau diese Fragen sind, denke ich, der Grund, warum viele Menschen so heftig auf diese Bischöfe reagieren. Dahinter steckt die Sorge, die eigene Freiheit zu verlieren. Es muss ja keine staatliche Repression sein, es reicht ja schon eine gesellschaftliche Ächtung, Schwierigkeiten im Beruf usw.
Das ist meine Ratlosigkeit: einerseits mein Ideal, dass jeder so leben soll, wie er mag, andererseits gewisse Vorstellungen von dem, was schlecht ist: Sterbehilfe („zufällig“ parallel zu den Diskussionen um die Kosten der medizinischen Versorgung geführt), Experimente mit menschlichen Embryonen, Optimierungsfantasien mancher Genforscher, Abtreibung (obwohl ich, andererseits, die bestehende Regelung nicht ändern will), Abtreibung wegen vermuteter genetischer Defekte. Darin bin ich oft katholischer als manch katholischer Freund (im Sinne von: Mitglied der katholischen Kirche). Wahrscheinlich stört mich Dessouswerbung zum Weihnachtsfest (wie sie jetzt überall in den Hamburger Bahnstationen zu sehen ist) auch mehr als manchen Katholiken.
Gerade beim Thema Abtreibung könnte die katholische Kirche doch vorangehen: Beratung anbieten, keinen Schein ausstellen, alle Möglichkeiten aufzeigen, das Kind am Leben zu lassen. Oder gibt es das? Da bin ich überfragt.
Was bleibt? - Abstimmung mit den Füßen. Keine Produkte kaufen, die aufdringlich mit Sex beworben werden zum Beispiel.
So, wenigstens endlich eine Antwort geschrieben, aber auch nicht viel schlauer geworden über meinem Zwiespalt.
Andreas,noch ein paar Bemerkungen dazu:
Da kann ich zustimmen. Der Tugendstaat als Terrorstaat - ich denke, die Furcht ist nicht unbegründet, auch wenn die Wahrscheinlichkeit nicht hoch ist heutzutage.
Auf der anderen Seite, wie Du sagst: Wo zieht man die Grenze? Wie weit sollen wir ungestraft gehen dürfen - sowohl gesetzlich wie sozial-gesellschaftlich?
Guck mal z.B. wegen der Schwangerenberatung: http://www.netzwerkleben.de . Ähnliche Initiativen dürfte es in den meisten anderen Diözesen auch geben. Wie viel Schwung, Energie, auch Unterstützung durch die "Basis" dabei ist, ist eine andere Frage.
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