"Wenn Katholiken sterben, bekommen sie üblicherweise ein Kreuz oder einen Rosenkranz zwischen die starren Finger gelegt. Sie treten ja nicht mit leeren Händen vor ihren Schöpfer und Gott, sondern als durch das Kreuz Jesu Erlöste und in der Gemeinschaft der Heiligen Aufgehobene und Auferstehende.So wollte ich meinen Review des Kallscheuer-Buches beginnen, der nach diesem hoffnungsvollen Beginn allerdings für Wochen liegen blieb. Dafür gab es gute, externe Gründe - dieser Blog hier war ja in den letzten Wochen insgesamt etwas ruhiger -, aber meinem selbstprüfenden Blick scheint eine gewisse Ratlosigkeit angesichts der rechten Antwort auf die Frage "Was für ein Buch ist das?" durchaus mitverursachend. Ich scheine nicht der einzige zu sein, denn laut Verlag haben sich bisher nur DLF und Passauer Neue Presse geäußert; auch der Perlentaucher listet keine der großen fünf oder sechs deutschen Zeitungen.
Im Zug der Charmeoffensive des Katholizismus gibt es nun auch eine Austattung für die letzte Reise 'gottesfürchtiger Heiden', insbesondere für die Subspecies des 'katholisierenden Feuilletons' und seiner Sympathisanten. Es handelt sich hierbei um das im März 2006 erschienene Buch von Otto Kallscheuer 'Die Wissenschaft vom Lieben Gott - eine Theologie für Recht- und Andersgläubige, Agnostiker und Atheisten'.
Da für die Angehörigen zumeist die Ästhetik im Vordergrund steht, kommt es in leicht oszillierendem schwarzen Leinen und einem traditionellen roten Lesebändchen daher, mit mattglänzendem, säurefreien 80 g-Papier und dezenten, dunkelroten Gliederungselementen. Wer sich noch nicht an die Offenbarung GOttes in der Bibel glauben traut, kann mit diesem Bibel-Doppelgänger Eindruck machen, ohne sich beim Richter der Herzen einzuschleimen.
Doch Spaß beiseite: Was ist das für ein Buch, dem Vernehmen nach das letzte, das Hans-Magnus Enzensberger selber in der "Anderen Bibliothek" herausgab?"
Um die ersten Fragen geht es in diesem Buch, und es sind die üblichen, die uralten, die nach GOtt, Welt und Wirklichkeit, nach Glaube, Offenbarung, Wort und Schrift, nach A-, Mono-, Multi- und Pantheismus. Kallscheuer, der in seiner katholischen Jugendzeit plötzlich feststellte, daß er das Interesse an GOtt verloren hat, um später umso nachhaltiger von ihm wieder aufgescheucht zu werden, fragt und antwortet in einem langen Selbstgespräch: Nicht so, als ob der glauben-wollende Otto dem agnostischen Kallscheuer gegenüberträte, sondern so, wie es wohl in jedem von uns sich abspielt: Der Fragende und Antwortende in uns - sie haben keine festen Profile, sie wechseln die Standpunkte im Spiel des "Ja, aber" und des "Und doch". Sie befragen sich gegenseitig und kommen an kein Ende.
Hier liegt für mich die Crux des Buches: Der Dialog, oder besser: Multilog geht über 450 Seiten hinweg, mit Exkursen in die Kosmologie und Evolutionstheorie, mit jeder Menge Philosophie und Philosophen, mit alten Bekannten und neuen Päpsten. Irgendwann begann ich mich zu fragen, wo im Gedankengang Kallscheuer und ich gerade stünden, und die Sehnsucht nach einer anderen literarischen Form brandete auf, die nach einer Summa, ähnlich jener des Aquinaten.
Vielleicht hätte Kallscheuer mit einer konventionelleren Anlage seines Buches sich und uns einen größeren Gefallen getan, uns, die wir ihm ins lange umkämpfte, heute oft genug vergessene Gebiet der "alten Leitwissenschaft" Europas folgen wollen.
1 Kommentar:
Pantheismus und Pandeismus, Monismus und Dualismus: alles dies sind in Wirklichkeit nur verschiedene Formen des Gottschauens, verschiedene Beleuchtungsarten des Grundbegriffes, nämlich des Höchsten, von dem aus die verschiedenen Strahlungen in die Menschenseele sich hineinsenken und hier ein Spiegelbild projizieren, dessen Wahrnehmung die charakteriologische Eigenart des Einzelindividuums, die durch zeitliches, familiäres und soziologisches Milieu bedingte Auffassungsgabe vermittelt.
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