31. Mai 2006

Ein Platz für Verliebte

Petra hat auf Lumen de lumine sich und uns einige Fragen gestellt, speziell zu ihrem eigenen Weg und allgemeiner zum rechten Verhältnis der "neuen" Bewegungen (oder "Neuen Geistlichen Gemeinschaften", die ich im folgenden als NGG abkürzen werde) zur Ortskirche, vor allem in Gestalt der Pfarrgemeinden.

Ich werde keine erschöpfende Antwort darauf versuchen, aber vielleicht kann ich ein paar Bedenken zerstreuen oder wenigstens einen größeren Kontext liefern.

An den Anfang will ich eine Passage von Lauren F. Winner stellen:

"Es ist nun schon sieben Jahre her, seit ich vom Judentum zum Christentum konvertiert bin, aber ich befinde mich immer noch in jenem seligen Zustand einer Frischvermählten, in dem man sein Glück kaum glauben kann und weiß, dass dieser Mensch (in diesem Fall Jesus), den man gewählt hat), der beste Mensch auf dem ganzen Globus ist und man ihn um absolut nichts mehr hergeben würde - nicht um allen Tee Chinas noch einen Lottogewinn oder eine große Villa auf dem Land." (Sabbat im Café, S. 8)

Ich bin mir ziemlich sicher, daß Petra diesen Zustand sehr gut nachempfinden kann oder ihn gar einigermaßen regelmäßig erlebt. Ich bin mir aber auch ziemlich sicher, daß in meiner eigenen Pfarrgemeinde, auch unter den praktizierenden und den aktiven, nur wenige diesen Zustand nach ihrem 18. Lebensjahr erfahren haben. Das ist erst einmal keine Kritik, sondern einfach eine Feststellung. Wo Konvertiten den Glauben als Geschenk erleben, ist er für die Kindergetauften und Immer-schon-Katholiken eher eine Last, die man sich nach Möglichkeit erleichtert, oder ein Zimmer im Vaterhaus, das man sich, wenn man schon nicht ausziehen will oder kann, nach eigenem Gusto einrichtet.

In der europäischen Volkskirche ist für die Erfahrung Lauren Winners und ihrer Gefährten in der Regel kein Platz vorgesehen. Im Gegenteil, Glaubensbegeisterung ist zwar einmal ganz nett für die Dauer eines Gottesdienstes oder gar einer Gemeindemission, eines Weltjugendtages, eines Katholikentages oder eines Papstbesuches. Im Pfarreialltag stört sie dagegen oft, weil sie aufscheucht - übrigens nicht nur die Mitchristen, sondern auch die Haupt- und Nebenamtlichen und gar: den Pfarrer. (Letzterer Fall ist für Christen, "die etwas erfahren haben" (K. Rahner) besonders deprimierend - sie sind bereit, jedes geistliche Wort von einem Gottgesandten, einem mit der Weihegnade versehenen Priester entgegenzunehmen. Und dann kommt - nichts. Nichts.)

Und doch gibt es Orte, wo sich diese Erfahrung festhalten oder auch erst machen lässt. Orte, Gemeinschaften, die sich eben nicht vollständig in der geographischen Struktur auflösen lassen und die immer wieder querstehen dazu. Orte, Gemeinschaften, Einzelne mit einem ganz besonderen, spezialisierten Charisma - "Gottes Primzahlen" nannte Hans Urs von Balthasar die großen Heiligen einmal mit ihren nicht weiter aufzulösenden Sendungen, die sie ihren Gründungen, ihren Orden, Gemeinschaften, Bewegungen vermachen und die dort mit einer gewissen, berechtigten Einseitigkeit gehütet werden. Wer sonst soll denn den Geist des Franziskus rein halten, wenn nicht die Franziskaner? Wer die Sendung des Ignatius, wenn nicht die Jesuiten? Wer den Auftrag der Chiara Lubich oder des Luigi Giussani, wenn nicht Focolare und Comunione e Liberazione?

Von einer "organischen Einseitigkeit" sprach P. Kentenich, der Gründer der Schönstatt-Bewegung - eine Einseitigkeit, die das eigene Charisma in seiner ganzen Radikalität lebt und es doch immer im Zusammenhang mit dem Katholischen-Ganzen sieht. Dabei gibt es durchaus Phasen in der Geschichte der verschiedenen NGG, Phasen, die sich mit jeder neuen Generation so oder ähnlich wiederholen können: Da mag anfangs ein Erforschen des eigenen Charismas stehen, ein Durchleben, eine Übersetzung in die verschiedenen Lebensbereiche der einzelnen; da gibt es oft genug auch eine Skepsis bei der "offiziellen Kirche" - zur Scheidung der Geister ist sie ja da -, die immer wieder auch mit der Verbannung einer jungen Bewegung in ein innerkirchliches Getto einherging; mit der Anerkennung man dann auch eine Ausweitung des Horizonts kommen: die junge Bewegung oder Gemeinschaft nimmt wahr, was um sie herum geschieht, sie wirkt in die Breite, wird anziehend für weitere Kreise; sie wird dann auch ihre Organisationsform überdenken, mit der sie einerseits die Flamme des eigenen Charismas am Brennen hält und andererseits dieses Charisma zum Nutzen des ganzen Leibes Christi einsetzt und einbringt.

Verschiedenene NGG - wie zuvor die großen Ordensgründer und ihre Gemeinschaften - sind da verschiedene Wege gegangen: Schönstatt z.B. kennt Gemeinschaften, die auf einer pfarreilichen und diözesanen Basis organisiert sind und Gemeinschaften, die als Säkularinstitute inzwischen päpstlichen Rechtes sind.

Aber auch eine solche im Vergleich zu anderen NGGs recht ausgereifte, "hybride" Organisationsform hebt die grundsätzliche Spannung zwischen Ortskirche und eigener Gemeinschaft nicht auf: eine Spannung, die genauso gut und oft zu Konflikten führt wie sie vor Ort fruchtbar wird für das "Alltagskirchliche".

Daß NGGs bzw. ihre Mitglieder vor Ort ihre geistliche Heimat für das Größte überhaupt halten, sollte man ihnen zugestehen: Sie sind wie Kinder, die ihre Eltern für die besten Eltern der Welt halten - und wer kann sagen, daß sie damit nicht auch recht hätten? Ich kenne sehr viele Fälle, wo Priester, die zu einer NGG gehören, besonders offen waren und sind, für andere Charismen: Ihre Brille erlaubt es ihnen, nicht nur ihr eigenes Charisma wahrzunehmen und alles übrige verschwimmen zu lassen, sondern im Gegenteil: die ganze Differenziertheit des Geisteswehens zu entdecken und es beim Wurzelfassen zu fördern.

Ich habe auch selber Fälle erlebt, hautnah übrigens, wo Mitglieder einer NGG, die nichts anderes wollten als in der eigenen Pfarrei mitzuarbeiten, ins Getto oder ins Exil geschickt wurden. Eine Gettomentalität ist dann fast unvermeidlich - obwohl sie sich eben nicht verfestigen muß: ich habe auch erlebt, wie eine NGG mit aller Macht und ganz bewußt, manchmal fast verzweifelt versucht hat, diese Mentalität bei sich zu verändern. It ain't easy.

Das alles hilft Petra sicher nicht bei ihrer Entscheidung - GOtt spricht aber zum Glück auch durch die Verhältnisse vor Ort und in ihrem Herz, so daß wir uns um sie zum Glück keine Sorgen zu machen brauchen.

Das soll erst einmal reichen.

Nur zum Schluß noch ein Hinweis auf das Treffen der Neuen Geistlichen Gemeinschaften mit dem Papst - in Rom, demnächst, an Pfingsten (wann sonst?)

2 Kommentare:

Petra hat gesagt…

Lieber Scipio,

vielen Dank für das Posting. Du drückst damit viel aus, was ich auch erlebt habe bzw. empfinde. Und mein eigenes Posting war wohl auch missverständlich, weil es so erschien, als würde ich alle movimenti pauschal verurteilen und als "Ghetto" bezeichnen.

Das ist überhaupt nicht der Fall. Ehrlich gesagt dachte ich auch nicht wirklich an die klassischen movimenti (Focolare, CeL, Schönstatt, usw.), als vielmehr an eine Art Mentalität, die bei manchen "Rechtgläubigen" vorherrscht, insbesondere bei traditionalistischer ausgerichteten.

Der unmittelbare Anlass war wohl ein Gespräch mit einigen so (traditionalistisch) inklinierten Herrschaften, was mir, bei all dem Positiven, was es dort gab, doch ziemlich das Gefühl gab, hier gebe es eine große Gefahr, sich selbst als den "heiligen Rest" zu konstituieren und völlig absichtlich den Bezug zu anderen zu verlieren.

Das ist das, was ich für die Seele gefährlich halte. Das tue ich jedoch überhaupt nicht, wenn movimenti (oder auch einfach nur Freundeskreise, Gebetsgruppen, etc. - für mich gehört die Blogozese auch sehr stark dazu!) einen mit der Freude erfüllen, unter Gleichgesinnten, gleich Begeisterten zu sein. Das sehe ich keineswegs als Gefahr, im Gegenteil: als "Futter" für die Seele, als Umfeld, in dem man "ganz man selbst" sein kann, aus der man Kraft schöpfen kann.

Was ich allerdings schade finde bzw. fände, ist - und das habe ich in meinem Beitrag auch etwas angesprochen -, wenn diese Freude, die sich im Kreis der Freunde bzw. im movimento "nährt", nicht auch hinausgetragen wird, etwa in die Pfarren oder in Umfelder, die kirchlich geprägt sind, aber wo viele Leute nur mehr wenig Bezug zur Kirche, zum dreifaltigen Gott und zu Jesus Christus haben (z. B. im freiwilligen caritativen Bereich in meinem Fall).

Gerade meine Begegnung mit den alten Damen von der Legio brachte es mir wieder zu Bewusstsein: es gibt doch einen ganzen Haufen begeisterter junger Leute in der Kirche - nur wissen diese lieben alten Damen nichts von ihnen, weil diese im pfarrlichen Alltag nicht vorkommen. Denn die meisten jungen Menschen, wenn sie sich einmal bekehrt haben oder wenn sie einfach nur rechtgläubig sind, fliehen ja geradezu die Pfarren und gehen in movimenti, in Gebetsgruppen, (hier in Ö) zu Jugend für das Leben oder sonstwohin.

So dünnen die Pfarren immer mehr aus, der Glaube wird nicht weitergegeben, oder nur in einer völlig uninteressanten, ausgelutschten Form (gerade neulich erlebt bei der hiesigen Pfarrfirmung). Und jene, denen die Kirche noch was bedeutet (vor allem die Alten), sehen nur, wie alles den Bach runtergeht, wie die Pfarre immer mehrt veraltet.

Ich denke mir: muss das sein? Natürlich hat man allein oder selbst in kleiner Gruppe einen schweren Stand, vor allem weil die Pfarrstrukturen hierzulande auch irrsinnig träge sind, wo ein paar Leute drin sitzen, die sich ihre Pfründe erwirtschaftet haben, und die überhaupt nicht wollen, dass sie etwas ändert - darüber hast Du ja selbst geschrieben.

Nur: wird sich denn je was ändern, wenn wir nicht etwas dafür tun? Wenn wir nur jammern und klagen über die Zustände in den Pfarren, und uns von ihnen völlig fernhalten? (Ich meine jetzt aber nicht Dich oder Leute aus den movimenti pauschal, sondern viele Leute die ich kennengelernt habe - viele von ihnen durchaus konziliante, keineswegs "fanatische" übrigens.)

Viele "Neokonservative" (das Wort ist saublöd, aber jetzt fällt mir kein besseres ein) scheinen ja die Pfarren bereits völlig abgeschrieben zu haben (mit Ausnahme einiger Paradeobjekte wie St Rochus in Wien), und sehen das Heil der Kirche ausschließlich außerhalb von ihnen - als wären nicht immer noch über 90 Prozent der Kirchenmitglieder in ihren Pfarren verortet.

Ich sehe Bewegungen und Ähnliches zwar auch sehr wohl als besondere Quelle eines Neuanfangs für die Kirche. Nur muss diese Quelle auch eben das trockene Land bewässern - das ist ja ihre Aufgabe! Die Franziskaner oder die Dominikaner schafften ja die Erneuerung der Kirche schließlich auch nicht dadurch, dass sie auf einem Haufen saßen, sondern dass sie zu den Menschen gingen. Warum sollte es heute anders sein?

Scipio hat gesagt…

Vorhin fielen mir noch ein paar Aspekte ein, die ich noch nachtragen wollte - und jetzt hast Du es schon getan.

Gratias!