Respekt
Null Streitkultur unter den christlichen Bloggern Deutschlands konstatiert das Bodenpersonal. Durchaus was Wahres dran.
Aus meiner Perspektive zur Ergänzung: Selber komme ich kaum dazu, meine Mit-Blogozesanen tagtäglich konsequent zu lesen - klar, daß ich in der restlichen Zeit nur gelegentliche Blicke über den Grenzzaun werfe. Das mag man "ignorieren" nennen, wenn man will. Allerdings "ignoriere" ich dann vieles um mich und im Netz.
Was ich bei meinen Blicken über den Konfessionszaun sehe, beeindruckt mich allerdings sehr: eine Menge Begeisterung und Entschiedenheit, Unbefangenheit und Kreativität.
Das mündet in einen tiefen Respekt, wie er mir für so manches in der eigenen Katholischen Kirche Deutschlands und in den evangelischen Landeskirchen abgeht.
Sagte nicht einmal jemand, daß die eigentlichen innerchristlichen Gräben nicht mehr zwischen den Konfessionen verlaufen, sondern zwischen progressiv und konservativ (wobei man sehen müsste, wer eigentlich was ist...), zwischen etabliert und bewegt, zwischen religiöser PC und unkorrekter Traditionsverwurzelung bei gleichzeitiger Zukunftsorientierung? Auch das würde den "Waffenstillstand" in der christlichen Blogoszene erklären...
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2 Kommentare:
Ich empfinde viel diesen "Waffenstillstand" oder die fehlende Streitlust viel eher als eine "Athmosphäre des voneinander lernens", um es mal ganz pastoral auszudrücken. :o)
Die Fragen, die uns die veränderte Kultur und Gesellschaft stellt, können eben nur im gemeinsamen Suchen benatwortet werden und von der Seite würde ich meinen, dass es eine enorme theologische und philosophische Übereinstimmung von vielen Bloggern gibt. Ich denke allein die Wahl des Mediums - der Blogg - lässt auf eine gewisse kulturelle Homogenität schliessen.
adknjBeispiel für Streitkultur:
Joseph Kardinal Ratzinger:
Antwort an Erzbischof Damaskinos Papandreou
Joseph Cardinal Ratzinger
00120 Città del Vaticano
20. Februar 2001
Seiner Eminenz
Metropolit Damaskinos von der Schweiz
Centre Orthodoxe du Patriarcat Oecuménique
37, Chemin de Chambesy
CH-1292 Chambesy
Eminenz!
Lieber Bruder und Freund!
Viel Zeit ist vergangen, seit wir unvergessene Tage zusammen in der Toscana verbringen und dabei mancherlei besprechen durften, was uns gemeinsam in der Sorge um die Einheit der Kirche bewegt, in deren Dienst wir uns wissen. Als Frucht der Gespräche hast Du mir dann am 30. Oktober einen bewegenden Brief geschrieben, in dem Du all die Fragen konkret entfaltest, die wir dort nur kurz hatten berühren können. Dafür danke ich Dir sehr herzlich, denn Offenheit ist eine Grundbedingung des ökumenischen Gesprächs, und unsere brüderliche Nähe ist so groß und so tief verankert, daß wir ohne Scheu alles einander sagen können, was uns bewegt und beunruhigt. Leider konnte ich nicht gleich antworten, zum einen, weil ich die gestellten Fragen gründlich bedenken wollte, zum anderen aber weil mich zunächst noch die Gewitter in Atem hielten, die nach Dominus Jesus auf uns niedergingen. Dann folgte die Lawine der Weihnachtspost, aus der ich mich nur schwer herausarbeiten konnte. Inzwischen kam die traurige Nachricht von Deiner ernsten Erkrankung, die mich tief beunruhigt hat. Du weißt, daß ich in dieser Zeit ganz besonders für Dich gebetet habe, und nun höre ich zu meiner Freude, daß Du wieder auf dem Weg der Genesung bist. Ich brauche Dir nicht eigens zu sagen, daß ich weiter Deinen Weg mit meinem Beten begleite, damit der Herr Dir die volle Gesundheit zurückgibt. So scheint mir, daß jetzt der Augenblick da ist, in dem ich endlich versuchen muß, die Antwort auf Deinen Brief auf den Weg zu bringen.
Es hat mich sehr berührt, wie Du unseren gemeinsamen theologischen Weg geschildert hast, auf dem uns die drängende Notwendigkeit, zur Einheit zwischen Ost und West zu kommen, immer dramatischer bewußt geworden ist und zugleich theologische Lichter erschienen, die uns die Richtung zeigten, der wir zu folgen haben, um zu dem großen Ziel mit Gottes Hilfe zu gelangen. Nichts von alledem ist zurückgenommen; daß orthodoxe Kirche und katholische Kirche zueinander gehören und daß keine der Lehrfragen, die uns zu trennen scheinen, unlösbar ist, ist mir im Gegenteil immer noch deutlicher bewußt geworden. Du stellst in diesem Zusammenhang die Frage, ob es eine Kontinuität zwischen dem Professor Joseph Ratzinger und dem Präfekten der Glaubenskongregation gibt; wie sich meine von Dir zitierten theologischen Aussagen zu verschiedenen Texten der Glaubenskongregation verhalten, die für Dich Fragen aufwerfen. Ich möchte dazu sagen: Der Professor und der Präfekt sind dieselbe Person, aber beide Begriffe benennen Funktionen, denen unterschiedliche Aufgaben entsprechen. Es gibt also in diesem Sinn einen Unterschied, aber keinen Widerspruch. Der Professor (der ich ja immer noch bin) müht sich um Erkenntnis und stellt in seinen Büchern und Vorträgen dar, was er glaubt gefunden zu haben und nun sowohl dem Disput der Theologen wie dem Urteil der Kirche unterstellt. Er versucht, in der Verantwortung vor der Wahrheit des Glaubens und im Bewußtsein seiner Grenzen zu Erkenntnissen zu erlangen, die auf dem Weg des Glaubens und auf dem Weg der Einheit weiterhelfen. Was er schreibt oder sagt, kommt aus seinem persönlichen Denk- und Glaubensweg heraus und ordnet ihn in den gemeinsamen Weg der Kirche ein. Der Präfekt hingegen hat nicht seine persönlichen Auffassungen darzulegen. Er muß sie im Gegenteil ganz zurücktreten lassen, um dem gemeinsamen Wort der Kirche Raum zu geben. Er schreibt nicht, wie es der Professor tut, Texte aus seinem eigenen Suchen und Finden heraus, sondern er muß dafür Sorge tragen, daß die Organe der lehrenden Kirche in großer Verantwortung ihre Arbeit tun, so daß am Ende ein Text von allem bloß Privaten gereinigt ist und wirklich gemeinsames Wort der Kirche wird.
Den Anlaß, überhaupt ein Dokument zu verfassen, bieten Fragen, die aus der Kirche kommen, Wahrnehmungen, die von vielen Seiten her sich vertiefen und die Notwendigkeit eines klärenden Wortes erkennen lassen. Vielfaltige Kontakte mit den Brüdern im Bischofsamt gehören zum Weg der Reifung, dazu die klassischen Organe: Kommissionen, die Consulta (regelmäßige Versammlung der ständigen Berater der Kongregation), schließlich die Arbeit der »Kongregation« im eigentlichen Sinn, die ja ein Kollegialorgan aus einer Anzahl von Bischöfen darstellt, die zum Teil in Rom in den verschiedenen Kurienbehörden arbeiten, zum Teil Diözesanbischöfe in der weiten Welt sind. Die Kongregation kennt die etwa alle eineinhalb Jahre tagende Vollversammlung, der nur die großen Vorhaben unterbreitet werden können (wie Dominus Jesus) und die etwas alle 14 Tage zusammentretende Versammlung, an der die römischen Mitglieder und normalerweise einige Mitglieder aus den naheliegenden europäischen Staaten teilnehmen. Zugleich wird der Papst regelmäßig über den Fortgang der Dinge informiert. Während der Papst als oberster Hirte der Kirche zu den Gläubigen möglichst direkt zu sprechen versucht und daher so etwas wie eine »pastorale« Sprache wählt, ist der Auftrag der Kongregation enger: Sie soll an kritischen Punkten Markierungen setzen, zeigen, wo der Raum der theologischen Debatte beginnt, die sie nicht behindern darf und wo der Glaube selbst im Spiel steht, der die Grundlage aller Theologie bildet.
So reift in langem Ringen (manche Dokumente brauchen zehn Jahre, kaum eines weniger als zwei Jahre) ein Text, in dem niemand seine Privatmeinung niederlegen kann, in dem vielmehr möglichst rein das gemeinsame Maß des Glaubens hervortreten soll. Dokumente der Kongregation sind nicht unfehlbar, aber sie sind doch mehr als theologische Diskussionsbeiträge - Wegweisungen, die zum gläubigen Gewissen der Hirten und Lehrer sprechen wollen. So ist klar, daß die Kongregationstexte keine Texte des Professors Ratzinger sein können und dürfen, der im Dienst eines ihn übergreifenden Ganzen steht und dabei mit dem Bewußtsein seiner Verantwortung die Rolle des Moderators wahrzunehmen versucht. Auch wenn die Texte von ihrem Charakter her anders sind, als ich persönlich sie schreiben könnte und dürfte, ist klar, daß ich nichts als Präfekt vertrete, was ich nicht auch persönlich als Weisung sowohl für mich selbst wie als Wort an die Kirche und für die Kirche vertreten kann.
Bevor ich nun zu den von Dir gestellten inhaltlichen Fragen komme, möchte ich noch zwei Punkte aus Deinen einleitenden Überlegungen unterstreichen, die mir wichtig scheinen. Das eine ist die Gesundung des Gedächtnisses. In der Begegnung mit den Bischöfen, die »ad limina apostolorum« kommen, erlebe ich immer wieder, wieviel da noch zu tun ist, wie tief die Verwundungen der Jahrhunderte ins Gedächtnis der Kirchen eingesunken sind und das Miteinander nicht selten vergiften. Ich war immer schon der Meinung und bin es nun noch mehr, daß zwischen Orthodoxie und katholischer Kirche viel weniger Lehrfragen stehen als Verwundungen des Gedächtnisses, die uns einander entfremden: Die Macht der geschichtlichen Verwirrnisse scheint stärker als das Licht des Glaubens, das sie in Vergebung umwandeln sollte. Gerade auf diesem Hintergrund möchte ich auch Deine Formel nochmal unterstreichen, daß wir eigentlich nicht fragen sollten »Dürfen wir miteinander kommunizieren?«, sondern »Dürfen wir einander die Kommunion verweigern?« Gottlob sind wir ja in diesem Punkt miteinander ein Stück weitergekommen. Die beiden Gesetzbücher der katholischen Kirche und ihr Ökumenisches Direktorium zeigen auf, daß unter bestimmten Bedingungen Kommunionzulassung zwischen Ost und West möglich oder sogar geboten ist. Vor dem Abschluß steht eine Vereinbarung zwischen der »assyrischen« und der »chaldäischen« Kirche über gegenseitige Kommunionzulassung in der weiten Diaspora, in der häufig nur eine der beiden Seiten über einen Priester verfügt. Der Fall war besonderer Studien bedürftig, weil die bei den Assyrern am meisten gebrauchte Anaphora von Addai und Mari keinen Einsetzungsbericht enthält. Aber diese Schwierigkeiten konnten überwunden werden, und so gibt es ganz allgemein trotz vieler Probleme immer wieder kleine Ermutigungen, die uns hoffen lassen.
Damit komme ich endlich zu Deinen Fragen und beginne mit dem »Haupthindernis« für die vollkommene Wiederherstellung der Einheit, dem Jurisdiktionsprimat des Papstes, wo Du die Problematik der Formel »iurisdictio in omnes ecclesias« besonders herausstellst. Ich würde bei dieser zweifellos sehr dornigen Problematik, die wir gewiß in unserem Briefwechsel nicht lösen können, zwei Aspekte unterscheiden. Zum einen gibt es, wie mir scheint, vor allem ein Sprachproblem. Der Begriff einer gesamtkirchlichen Jurisdiktion, überhaupt die Rechtssprache des zweiten Jahrtausends ist dem Osten fremd und wird mit Beunruhigung wahrgenommen. Ich glaube, es ist richtig und auch möglich, die wesentlichen und vor allem störenden Begriffe auf ihre Grundlagen in der Vätertheologie zurückzufuhren und sie von daher nicht nur besser verständlich zu machen, sondern natürlich auch Impulse für eine dem Denken der Väter gemäßere Verwendung zu finden.
Du erinnerst an die unvergeßliche Ansprache von Patriarch Athenagoras I. beim Besuch von Paul VI. im Phanar, wo der Patriarch auf den Papst aus der Väterzeit die Titel »Erster an Ehre« und »Vorsitzender in der Liebe« anwandte. Ich glaube, daß man von da aus »gesamtkirchliehe Jurisdiktion« richtig definieren könnte: Die »Ehre« des Ersten ist ja nicht im Sinne weltlicher protokollarischer Ehren zu verstehen, sondern Ehre in der Kirche ist der Dienst, der Gehorsam gegenüber Christus. Und wiederum ist Agape nicht ein unverbindliches Gefühl, noch weniger eine soziale Organisation, sondern letzten Endes ein eucharistischer Begriff, der als solcher mit der Kreuzestheologie verbunden ist, denn vom Kreuz her kommt die Eucharistie, das Kreuz ist der äußerste Ausdruck der Liebe Gottes zu uns in Jesus Christus. Wenn die Kirche im Tiefsten mit der Eucharistie zusammenfallt, so liegt im Vorsitz der Agape eine Verantwortung für die Einheit, die innerkirchliche Bedeutung hat, aber zugleich Verantwortung für die »Unterscheidung des Christlichen« der weltlichen Gesellschaft gegenüber ist und daher immer martyrologischen Charakter tragen wird. Du weißt, daß ich vor einiger Zeit (beim Streit um die Frauenordination) den Dienst des Papstes als Dienst des Gehorsams zu deuten, ihn als Garanten des Gehorsams zu interpretieren versucht habe: Der Papst ist kein absoluter Monarch, dessen Wille Gesetz ist, sondern ganz im Gegenteil – er muß immer versuchen, der Eigenwilligkeit zu widerstehen und die Kirche ins Maß des Gehorsams rufen, darum aber selbst der Erstgehorchende sein. In einer Zeit, in der die säkularen Versuchungen der Theologie in allen Bereichen wachsen, scheint mir eine solche gemeinsame Verantwortung für den Gehorsam der Kirche der Überlieferung gegenüber von hoher Bedeutung zu sein; ihre Christusgemäßheit wird gerade dadurch bestätigt werden, daß sie als Zeugnis des Leidens für und mit Christus gegenüber den Versuchungen des Ungehorsams und der Eigenmächtigkeit in der Welt steht.
Eine patristische Interpretation des Primats wird im übrigen vom Vaticanum I selbst gefordert, wenn es sagt, die beständige Praxis der Kirche stehe für die dort verkündete Lehre sowie die ökumenischen Konzilien, besonders jene, in denen der Osten mit dem Westen in der Einheit von Glaube und Liebe zusammen waren; das Vaticanum I zitiert dabei das vierte Konzil von Konstantinopel (DS 3065f). Der zweite Punkt, den ich hier nennen möchte, betrifft den Unterschied zwischen Theorie und Praxis oder vielleicht besser: die faktische Spannweite des Dogmas. Der Papst hat in seiner Enzyklika Ut unum sint darauf hingewiesen und bittet um Vorschläge für eine erneuerte Primatspraxis. Lehrreich ist hier wie immer die Geschichte. Rudolf Schieffer, Präsident der Monumenta Germaniae historica, schreibt in diesem Zusammenhang einmal, »daß an der Schwelle vom ersten zum zweiten kirchengeschichtlichen Jahrtausend ein qualitativer Sprung nicht in der primatialen Theorie, sondern eher im Umgang mit ihr gestanden hat.« (Natur und Ziel primatialer Interventionen des Bischofs von Rom im ersten Jahrtausend, in: Il Primato del Successore di Pietro. Città del Vaticano 1998, S. 348 s.).
Du erlaubst mir, noch eine mehr persönliche Reflexion anzufügen: Der Primat – Paul VI. selbst hat es gesagt – ist in gewisser Hinsicht »Haupthindernis« für die Wiederherstellung der vollen Gemeinschaft. Aber er ist zugleich eine Hauptmöglichkeit dafür, weil ohne ihn auch die katholische Kirche längst in National- und Rituskirchen zerfallen wäre, die das ökumenische Gelände vollends unübersichtlich machen würden, und weil er verbindliche Schritte zur Einheit ermöglicht. Du hast selbst in einem wichtigen Beitrag kürzlich darauf hingewiesen, daß es für die Zukunft der Orthodoxie von entscheidender Bedeutung sein wird, angemessene Lösungen für das Problem der Autokephalie zu finden, damit innere Einheit und gemeinsame Handlungsfähigkeit der Orthodoxie nicht verloren gehen bzw. wieder hergestellt werden. Ich glaube, daß gerade die Problematik der Autokephalie auf die Notwendigkeit eines Organs der Einheit verweist, das freilich in der richtigen Balance mit der Eigenverantwortung der Ortskirchen stehen muß: Kirche kann und darf nicht Monarchie des Papstes sein, sondern hat ihre Fixpunkte in der Communio der Bischöfe, in der es einen Dienst ihrer Einheit untereinander gibt – einen Dienst also, der die Verantwortung der Bischöfe nicht aufhebt, sondern ihr zugeordnet ist. Ich glaube, je realistischer wir von den konkreten Gegebenheiten der Geschichte und der Gegenwart her und andererseits von der theologischen Tiefe und Weite der Lehrtexte aus miteinander reden, desto mehr werden wir uns Antworten annähern, die uns Einheit ermöglichen.
Ich komme nun zur Frage 1 Deines Briefes, der Problematik des Wortes von der »Verwundung« der Teilkirchen aufgrund ihrer Trennung vom Nachfolger Petri, wovon Communionis notio spricht; derselbe Text sagt aber ausdrücklich, daß natürlich durch die Trennung auch die römisch-katholische Kirche verwundet ist, weil sie die Einheit in der Geschichte nicht voll darstellen kann. Wenn wir auf die Realität der Kirche und der Kirchen hinschauen – wer könnte bezweifeln, daß sie alle – auf je unterschiedliche Weise – verwundet sind? Mir kommt vor, daß die Theologie vor den Brüchen der Neuzeit viel realistischer war in der Beschreibung ihrer geschichtlichen Not. Ich erinnere nur als Beispiel an das Horologium Sapientiae des Heinrich von Seuse (erste Hälfte des 14. Jahrhunderts), der die Kirche in einer Vision als eine Stadt beschreibt, in der Teile durch Feinde zerstört, andere durch Nachlässigkeit der Bewohner zusammengebrochen sind. »In der Stadt traten Tiere auf – Meeresungeheuer mit menschlicher Gestalt, von denen der um Hilfe bittende Pilger mit Verachtung zurückgewiesen wurde« (A. M. Haas, in: Wer ist die Kirche? Symposion zum 10. Todestag von Hans Urs von Balthasar. Johannes Verlag 1999, S. 7). Ja, die Trennung ist eine Wunde, und wir sollten sie einander im Geist der Buße eingestehen und um Heilung bitten, um Heilung ringen.
Damit komme ich zum Disput um die Verwendung des Terminus Schwesterkirchen. Der entsprechende Brief der Glaubenskongregation stellt – wie Du weißt – ausdrücklich fest, daß Teilkirchen, auch über die Trennung hin, einander Schwesterkirchen sein können und sind, etwa Konstantinopel und Rom, Rom und Antiochien, Antiochien und Konstantinopel usw. Er hält es allerdings nicht für angemessen, die orthodoxe Kirche im ganzen und die römisch-katholische Kirche im ganzen als »unsere zwei Kirchen« und als zwei Schwesterkirchen zu bezeichnen. Warum? Es geht darum, den Plural »die Kirchen« und den Singular »die Kirche« in das richtige Verhältnis miteinander zu bringen. Wir bekennen uns im gemeinsamen Credo der Kirche dazu, daß es letztlich nur eine Kirche Christi gibt, die freilich konkret in vielen Teilkirchen existiert, welche aber eben doch Teilkirchen der einen Kirche sind. Denn Christus hat nur eine Braut, nur einen Leib - mit vielen Organen, aber eben in einem einzigen Leib. Wenn wir aber von orthodoxer Kirche und katholischer Kirche als zwei Schwesterkirchen sprechen würden, so stellen wir einen Plural auf, über dem kein Singular mehr erscheint. Auf der letzten Ebene des Kirchenbegriffs würde ein Dualismus bleiben und die eine Kirche so zu einem Phantom, zu einer Utopie werden, während ihr doch gerade das Leibsein wesentlich ist.
Daß man im vierten Kapitel von Dominus Jesus das große Glaubensbekenntnis der armenischen Kirche zitiert hat, bedeutet selbstverständlich kein Abgehen vom nicaeno-konstantinopolitanischen Glaubensbekenntnis, das unser gemeinsames, verbindliches Credo ist und bleibt. Die Abweichung zwischen beiden im Artikel über die Kirche ist ja auch gering; im armenischen Glaubensbekenntnis fehlt das Wort heilig, dafür steht über das Nicaenum hinaus das Wort ???? [moné], das aber doch nur das ??? [mía] unterstreicht und nichts hinzufügt. Mir war diese Zitation, offen gestanden, gar nicht aufgefallen, und der Text würde auch ohne sie in der Sache nichts verlieren. Man hat diese Überlieferungsvariante offenbar nur aufgenommen, um eben die Einzigkeit der Kirche zu unterstreichen, die in sich schon aus der Schrift und dem gemeinsamen Credo eindeutig folgt. Bedenkenswert finde ich in diesem Zusammenhang den Vorschlag von H. Legrand in dem Brief an Dich vom 6. Oktober, den Du mir freundlicherweise zugänglich gemacht hast. Legrand bezieht sich zunächst darauf, daß der griechische Delegierte in Baltimore es entschieden abgelehnt habe, die katholische Kirche als Schwesterkirche der orthodoxen Kirche anzusehen und fragt von da aus, ob es nicht der orthodoxen Kirche möglich sei, zwar nicht die katholische Kirche als solche als Schwesterkirche anzuerkennen, aber die katholischen (Teil-)Kirchen als Schwestern der orthodoxen Ortskirchen. Das ist ein Versuch einer terminologischen Lösung, der von beiden Seiten bedacht werden sollte und vielleicht den Ausweg zeigen könnte, wie ein Dualismus im Kirchenverständnis vermieden und doch die gemeinsame Geschwisterlichkeit aller orthodoxen und katholischen Kirchen untereinander sprachlich angemessen ausgedrückt werden könnte. Ich glaube nicht, daß das Breve Anno ineunte die Terminologie von unseren zwei Kirchen als Schwesterkirchen kanonisieren wollte. Es geht ja unmittelbar von der Begegnung zwischen Rom und Konstantinopel aus, um freilich von da aus auf den ganzen Bereich der katholischen und orthodoxen Ortskirchen auszugreifen, mit einer terminologischen Antizipation, die der Vertiefung in weiteren Gesprächen offen steht (zu Punkt a bis f Deines Briefes).
Bleiben wir noch bei den terminologischen Fragen. Wenn ich recht verstehe, hast Du auch Bedenken gegenüber dem Begriff Teilkirche. Das II. Vaticanum wechselt ohne klare Festlegung zwischen den Termini Orts- und Teilkirchen; Henri de Lubac hat gezeigt, daß der Begriff Teilkirche den Vorzug verdiene, und das ist dann von der Theologie wie vom Lehramt weithin aufgegriffen worden. Aber über diese Terminologie kann man auch weiterhin diskutieren.
Da ist dann als anderes Problem der Begriff der Mutterkirche. Ich denke, es sei wichtig, hier wieder die zwei Ebenen des Kirchenbegriffs zu unterscheiden. Da. ist zunächst die Ebene des rechtmäßigen Plurals - der Kirchen in der Kirche. Auf dieser Ebene ist die Kirche von Rom Mutterkirche von Kirchen in Italien, aber natürlich nicht die Mutterkirche aller anderen. Jerusalem ist Mutterkirche vieler Kirchen, Antiochien, Konstantinopel sind Mutterkirchen. Diese »Mutterschaft« kann aber nur die Abbildung für die eigentliche Mutter-Kirche sein – das obere Jerusalem, von dem Paulus spricht (Gal 4,26), von dem die Väter in bewegenden Worten reden. Ich darf an die wunderbare Textsammlung von Hugo Rahner erinnern: Mater Ecclesia (1944).
Wie ich aus einer Anzahl von Veröffentlichungen katholischer Theologen sehe, wird auch das Wort Universalkirche häufig falsch ausgelegt. Daß Communionis Notio von der ontologischen und temporalen Vorgängigkeit der Universalkirche vor den Teilkirchen spricht, wird als Votum für den römischen Zentralismus gedeutet. Das ist natürlich völliger Unsinn. Denn die Ortskirche von Rom ist eine Ortskirche, die nach unserer Überzeugung mit einer besonderen Verantwortung für die ganze Kirche betraut, aber nicht selbst die universale Kirche ist. Die Präzedenz der Universalkirche vor den Teilkirchen zu behaupten, ist kein Votum für eine bestimmte Form von Kompetenzverteilungen in der Kirche, kein Votum dafür, daß die Ortskirche von Rom möglichst viel an Vorrechten an sich ziehen müsse: Mit einer solchen Auslegung ist die Frageebene völlig verkannt. Wer immer nur gleich nach Machtverteilung fragt, geht am Mysterium der Kirche schlichtweg vorbei. Nein, es geht um etwas streng Theologisches und nicht um juristische oder kirchenpolitische Fragen: darum, daß der Gottesgedanke der einen Braut des Sohnes mit ihrer eschatologischen Bestimmung zum ewigen Hochzeitsmahl der erste und eigentliche Gottesgedanke ist, um den es in Sachen Kirche geht, während die reale Verwirklichung der Kirche in Ortskirchen eine zweite Ebene beschreibt, die danach kommt und die immer der ersten zugeordnet bleibt. Ich denke, daß es darüber eigentlich keinen Streit geben kann.
Schließlich kommt zuletzt noch die dornige Frage des »subsistit in«, die irgendwie natürlich allen bisherigen Fragepunkten zugrunde liegt. Um verständlich zu machen, was gemeint ist, finde ich den Text einer panorthodoxen Stellungnahme sehr hilfreich, den Du unter Abschnitt (f) Deines Briefes zitiert hast. Ich möchte ihn, weil er mir so wichtig scheint, hier mit Deinem vorausgesetzten Einverständnis noch einmal wiedergeben: »Im Bewußtsein der Wichtigkeit der gegenwärtigen Struktur des Christentums erkennt unsere heilige orthodoxe Kirche, obwohl sie die eine, heilige, katholische und apostolische Kirche ist, nicht nur die ontologische Existenz (dieser Kirchengemeinschaften) an, sondern glaubt auch fest, daß alle diese Beziehungen zu ihnen auf einer möglichst raschen objektiven Erhellung des ekklesiologischen Problems und der Gesamtheit ihrer Lehre beruhen müssen.« Ich wäre sehr dankbar, wenn ich einmal den gesamten Text dieser Stellungnahme kennenlernen dürfte, die mir für das Weitergehen unseres Dialogs von hoher Bedeutung zu sein scheint. Der Text drückt in etwas anderer, aber doch verwandter Terminologie genau die ekklesiologische Paradoxie aus, die auch Dominus Jesus zu formulieren versucht. Er sagt einerseits ganz klar, daß die orthodoxe Kirche »die eine, heilige, katholische und apostolische Kirche ist«; er gibt so dem theologischen Singular von Kirche einen ganz konkreten, leibhaftigen Ort. Aber er fügt doch die Anerkennung der ontologischen Existenz dieser Kirchengemeinschaften hinzu und formuliert von daher die Aufgabe einer Erhellung des ekklesiologischen Problems und der Gesamtheit der Lehre.
Dominus Jesus hat im Anschluß an Lumen gentium 8 das »Ist« durch das »Subsistit in« ersetzt, um sozusagen schon die ontologische Brücke zu der Existenz anderer Kirchengemeinschaften zu bauen und damit einen Schritt zur »Erhellung des ekklesiologischen Problems« zu tun, die von Eurem Text gefordert wird. Zweifellos ist durch diesen Schritt die Paradoxie nicht aufgelöst, sondern eher noch dramatischer geworden. Das Paradox von göttlicher Treue und menschlicher Untreue (»Wenn wir untreu sind, so bleibt er doch treu«: 2 Tim 2,13!) aufzulösen, ist uns nicht gegeben, vielmehr ist uns aufgegeben, darunter zu leiden und so in unserem Maß zu seiner Überwindung beizutragen: Es ist letzten Endes ein Problem der Existenz, nicht der Begriffe. Ich verstehe Dominus Jesus so, daß es die Gleichgültigkeit, mit der alle Kirchen als gleich gültig angesehen werden und so die Gültigkeit des Glaubens selbst in der Skepsis verschwindet, wieder in waches Leiden umwandeln und damit den wahren ökumenischen Eifer neu entfachen wollte. Wo alles gleich gültig ist, wird alles auch gleichgültig. Der Text hat Schmerzen hervorgerufen, und darauf reagiert der Mensch zunächst mit Protest, um so nachdrücklicher, je weniger er durch den Glauben gestört sein will. Wenn der erste störende Schmerz sich in Leidenwollen für die Einheit umwandelt, wird der Text anfangen, seinen wahren Dienst zu tun.
Lieber Bruder und Freund, wir beide leiden darunter, daß wir nicht miteinander Eucharistie feiern dürfen, und gerade das eint uns. Daß Du in diesem gemeinsamen Leiden und der darin verborgenen Freude der Hoffnung auf eine tiefere Einheit mir immer nahe geblieben bist, ist der große Freundschaftsdienst vieler Jahrzehnte, für den ich Dir heute einmal ganz ausdrücklich danken möchte. Ich hoffe, Du siehst aus diesen Zeilen - wie unzulänglich sie auch in vielem sind -, daß diese gleiche Leidenschaft, in der wir uns vor mehr als vierzig Jahren gefunden haben, in mir lebendig geblieben ist. Ich hoffe, daß dieses Wissen Dir in Deinem jetzigen Leiden hilft und daß Du bald wieder ganz zum Dienst in der einen Kirche Gottes zur Verfügung stehen kannst.
In diesem Sinn grüße ich Dich in großer Dankbarkeit und in tiefer Verbundenheit
Dein Bruder und Freund
+ Joseph Cardinal Ratzinger
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