Crossing Jordan im Einerkajak
Anfang der Woche nahm ich an einer "evangelischen Beerdigung" teil, in der mir das katholische Verständnis der Gemeinschaft der Heiligen und Geheiligten in der Kirche richtig klar wurde - sozusagen exemplarisch. Nein, ich schließe von dieser einen Beerdigung nicht auf das Kirchenverständnis und die Kirchenerfahrung der evangelischen Kirche, sondern nutze die Erfahrung dieser einen Stunde nur, um mir das eigene klarer zu machen. Und nutze es, um klar zu machen, daß die Heiligen für Katholiken mehr sind als Vorbilder, als Musterexemplare.
In der Aussegnungshalle (die gut katholisch, drastisch-leiblich in meinem Heimatort "Leichenhalle" heißt) wartete gemeinsam mit dem Leichnam im Sarg die Trauergemeinde der entfernten Verwandten, Freunde und Bekannten schon zeitig auf den Beginn der Feier. Sie wartete still, besinnlich, schweigend. Die engere Familie kam pünktlich an, gefolgt vom Pastor im schwarzen Talar und Beffchen. Immer noch Schweigen und Stille. Der Pastor trat ans Mikro, betete einen Psalm, trug Paulus vor und hielt eine Ansprache mit sehr biblischem Inhalt. Nach einem Musikstück - der Verstorbene spielte in einer Jazzband - zog die Trauergemeinde hinter Sarg, Pastor und Familie zum Grab. Dort weitere besinnliche Worte und das Vater Unser, gebetet vom Pastor. Zum Schluß Einladung zum Tränenbrot, Beileidsbekundungen, getragenes Gespräch.
Dagegen sind katholische Beerdigungen wahre soziale Veranstaltungen - mindestens so wie ich sie kenne: Das fängt vor der Beerdigung an, bei der der Rosenkranz gebetet wird - nicht verlegene, manchmal peinliche, unnatürliche Stille, sondern durchaus energisches, gemurmeltes, halb bewußtes Anrufen der Muttergottes und Nachgehen der Heilandsleiden im schmerzhaften Rosenkranz, gemeinsame Einstimmung in eine gemeinsame Handlung. (Auch Schwätzen wird geduldet und praktiziert, aber holla: immer schön im Rahmen.) Zur festgesetzten Zeit findet sich der Pfarrer ein, idealerweise mit Ministranten - schon wieder ein Team, das hier auftritt -, Tragekruzifix und Weihrauch. Ein Lied, gemeinsame Gebete, das zugerufene Amen als Antwort auf die priesterlichen Gebete - sogar das sprach der Pastor am Dienstag ganz allein - und dann die Übergabe des Verstorbenen aus der Gemeinschaft des Dorfes und der Mitchristen an jene anderen Mitchristen und Bürger der ewigen civitas:
"Zum Paradiese mögen Engel dich geleiten,Da, wo der verstorbene evangelische Christ allein im Einerkajak den Jordan überquert, sitzt sein katholischer Freund eher in der überfüllten Fähre bei Freunden, die die Reise schon einmal gemacht haben, und taucht am anderen Ufer in das Gewimmel der Heiligen Stadt ein. Macht sich auf den Weg zum Reinigungsort, in moderner theologischer Sprache ausgedrückt: zur Begegnung mit seinem Herrn, der in einem Richter und Erlöser ist, in dessen liebend-klarem Blick unser gebrochenes und zerbrochenes Leben seine Gestalt findet, nicht ohne verwandelnden Schmerz zwar, aber was ist der schon vor der HErrlichkeit des DReiEInen?
bei deiner Ankunft die Martyrer dich begrüßen
und dich führen in die
heilige Stadt Jerusalem.
Chöre der Engel mögen dich empfangen,
und mit Lazarus, dem einst so armen,
soll ewige Ruhe dich erfreuen.
In paradisum deducant te Angeli
in tuo adventu suscipiant te Martyres,
et perducant te
in civitatem sanctam Jerusalem.
Chorus Angelorum te suscipiat
et cum Lazaro quondam paupere
aeternam habeas requiem."
Den Abschiedsschmerz der Angehörigen lindert das alles nicht, aber er findet seinen Platz - im Idealfall jedenfalls - in jener sichtbar-unsichtbaren Gemeinschaft der Glaubenden, Getauften, Geheiligten. Mindestens in meiner Pfarrei gilt das letzte, gemeinsame Vaterunser am Grab den "demjenigen aus unserer Mitte, der als nächstes von Gott heimgerufen wird" ... Im Vorgriff wird die Gemeinde fürbittend aktiv für den nächsten, den sie verabschieden wird.
Um von hier aus zur Frage der rechten Beziehung zu den Heiligen - denn darum ging es ja in Matthias' Feststellung - zurückzukehren: Kann sich in dieser katholischen Vision des Kosmos jemand vorstellen, daß es an Bord der Fähre still, unkommunikativ zugeht? Das tut es vielleicht nur dann, wenn man die Mitfahrer - Engel, Propheten, Martyrer - schon vorher lediglich als unnahbare und sich uns nicht nahende Musterexemplare betrachtet hat und nicht auch als: fürsorgliche Freundinnen, Väter im Glauben, Wegbahner, Mütter des Trostes, mit ihnen wenigstens einschlußweise einen vertrauten Umgang gepflegt hat als Glieder am gleichen Leib. Wenn man eben nicht bereits einen gelegentlichen Blick in die Heilige Stadt und die sich dort ereignende Communio nicht nur mit GOtt, sondern auch der Erlösten untereinander werfen konnte.
2 Kommentare:
Sehr geil (auch wenn meine erlebten Beerdigungen katholischerseits eher den von dir geschilderten evangelischen glichen).
GottseiDank fäht ja auch der Evangele mit der Fähre, auch wenn er vorher vergeblich den Einerkajak sucht (super Bild!).
(Übrigens habe ich ja bald eine neue blogadresse, ich weise nur schon mal vorsorglich darauf hin, daß dann die links nicht mehr funzen)
Unsere lieben Mitbrüder suchen nach dem eigenen Profil - was bei ihrer Schwammigkeit ziemlich schwierig ist. (Ohne Häme)
Hier ein Interview mit EKD-Vorsitzendem Huber, 24.12.2005:
Wir blicken zurück auf ein Jahr mit Papstbegräbnis, Papstkür, einem rauschenden Weltjugendtag in Köln und einem Evangelischen Kirchentag in Hannover. Haben diese Großereignisse auch auf die Christen in Berlin-Brandenburg abgestrahlt?
Huber: Wir dürfen vor allem dasjenige Ereignis nicht vergessen, das uns am allernächsten war: Die Einweihung der Dresdner Frauenkirche am 30. Oktober. Ein Ereignis, dass allein am Fernseher mehr Zuschauer hatte als der Abschluss des Weltjugendtages. So erlebnisreich der Weltjugendtag war, war er doch ein Ereignis, das vergeht. Die Frauenkirche zieht Tag für Tag tausende von Menschen an und steht für die Zukunft evangelischer Kirche. Wenn das Vorhaben, in unserer Region eine Kirche wiederzuerrichten, so viele Kräfte mobilisiert, dann ist das für sich genommen schon ein beeindruckendes Zeichen. Auch im Empfinden der Menschen ist deutlich, dass hier nicht ein Konzertsaal oder ein Museum, sondern eine Kirche gebaut worden ist.
"Events" als Transportmittel für den Glauben? Haben Sie deshalb vorgeschlagen, die Spiele der Fußball-WM auch in Kirchen zu übertragen?
Huber: Mehrere hundert Gemeinden haben sich bereits dazu entschlossen, von den Möglichkeiten des "public-viewing" Gebrauch zu machen - allerdings nicht in den Kirchengebäuden. Gedacht ist an Gemeinderäume, die dafür geeignet sind. Niemand muss fürchten, dass die Leinwand über dem Altar hängt. Die Fußball-WM wird viele Menschen anziehen. Sie werden darüber diskutieren, werden Spaß haben - das kann auch in unseren Kirchengemeinden stattfinden. Warum sollen wir die Leute nicht dort abholen, wo sie sich befinden? Warum sollen wir nicht ihre Interessen ernst nehmen und die Fragen, die sie stellen, beantworten?
Wurmt es Sie kein bisschen, wie leicht es der katholischen Kirche mit Pomp und bunten Gewändern gelingt, Großveranstaltungen zu ins
Prächtige Gewänder, Bischofsstäbe, gewaltige Prozessionen - braucht die Evangelische Kirche einen "Spiritualitätsbeauftragten" um solcher Bilderkraft etwas entgegenzusetzen?
Huber: Jede Kirche bringt ihre Stärken in das gemeinsame Zeugnis der Christenheit ein. Die römisch-katholische Kirche hat viele Kardinäle - die wird die Evangelische Kirche nie aufbringen. Die Evangelische Kirche wird dagegen nicht nur von Männern repräsentiert - das bringt allein schon so viel Farbe der Persönlichkeiten in den Protestantismus, dass wir keine Konkurrenz auf der Ebene der Gewänder aufmachen müssen.
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