31. Oktober 2010

Zum Reformationstag: Idealkirche

Haben wir nicht alle die Ecclesia semper reformanda satt? Sind wir nicht alle irgendwie und stets und stetig auf der Suche nach der Ecclesia reformata, der re-formierten, der neugestalteten, der generalüberholten, der endlich nach GOttes ewigem Ratschluß und nach Jesu Christi Modell betenden und dienenden, streitenden und lehrenden Kirche, der Kirche der iusti et non iam peccatores? Und zwar gleich, ob wir uns in der Catholica oder in einer der von Petrus getrennten Kirchen des Ostens und Westens befinden?

Nach Luther und seinen Mitreformatoren hörte die Suche nicht auf, sondern fing überhaupt erst an. Was eigentlich logisch ist: Wenn die ererbten Strukturen erst einmal in Frage gestellt werden, dann stehen die neuen von vornherein unter Verdacht und zur Disposition...

Einer meiner liebsten Bluegrass-Schlager geht auf eine Baptistenhymne des späten 19. Jahrhunderts zurück und ist ein schönes Stück volkstümlicher Ekklesiologie - in my humble opinion mindestens. Natürlich mit ein paar (entscheidenden) missing pieces, aber man muß ja nicht immer alles sagen, oder? Hier ist der Text, mit meinen Anmerkungen (die, wie gewohnt, cum grano salis und ohne Unfehlbarkeitsanspruch zu lesen sind):

1. Well, wife, I've found the model church,
(Gleich zu Beginn: Kirche ist nichts Privates, nichts, was man für sich behält.)
And worshipp'd there today:
(Wer die Kirche gefunden hat: was bleibt dem übrig, als mitzumachen? Kirche ist ein Tunwort. Und: Kirche ist Worship, Anbetung. Zuerst jedenfalls. In ihrem Grundakt.)
It made me think of good old times,
Before my hair was gray,

(Die guten alten Zeiten... Keine Reform ohne Orientierung am Ursprung. Glücklich aber auch, wer sich auf seine Erinnerung berufen kann, wer, bevor er die menschlich-allzu-menschliche Kirche wahrnahm, eine Ahnung von Kirche als Geschenk, als Gnadenort, als Ort der GEgenwart bekam.)
The meeting house was finer built,
Than they were years ago,

(Durchaus: Es gibt einen Fortschritt in dem, was wir von Kirche wissen und ahnen können. Auf den Schultern der Riesen sehen auch die Zwerge mehr und weiter. Aber:)
But then I found when I went in,
It was not built for show.

(Man muß schon hineingehen, hinter die Tünche schauen...)

2. The sexton did not set me down,
Away back by the door:

(Klar sind wir die Rede satt von der Kirche, die offen sein soll für alle, die jeden willkommen heißen soll. Zu oft war und ist das eine Ausrede: Wer willkommen heißt: darf der vom anderen, und sei es im Namen des HErrn, etwas verlangen? Und sei es ein Leben aus der Dankbarkeit? Und wer vom anderen nichts verlangt: Muß der denn etwas von sich verlangen? Muß, darf, soll er nicht so bleiben, daß er sich von den neuen möglichst nicht unterscheidet? Wir wollen ja schließlich kein schlechtes Gewissen erzeugen, nicht wahr?
Und doch: Wenn jeder von GOtt ins Leben geliebt und von jeher beim Namen gerufen ist: Dann darf es auch in der Kirche keine Anonymität, keine Namenlosigkeit. Auch keine Gleichgültigkeit. Tut es uns denn noch weh, daß die Bänke leer sind? Schmerzt es uns, daß die Leute, mit denen wir Tabellen bearbeiten, Ski fahren, Tischtennis spielen, nicht mit uns und vor uns die Kommunion empfangen? Haben wir uns mit einem leeren Himmel abgefunden, mit freien Plätzen beim Ewigen Gastmahl?)

He knew that I was old and deaf,
And saw that I was poor,

(Die Armen. Die Armen des HErrn. Dazu sage ich nichts. Lest lieber Bloy und Bernanos dazu.)
He must have been a christian man,
He led me boldly thro'
The long aisle of that crowded church,
To find a pleasant pew.

(Wir denken an den Herrn Pharisäer und den Herrn Zöllner. An die ersten, die die letzten, und die letzten, die die ersten sein werden. Die Armen, die Blinden und Tauben werden geführt, wohin sie nicht wollen. Auch in die erste Bank.)

3. I wish you'd heard the singing, wife,
(Und wieder wie in der ersten Zeile: Wie könnten wir schweigen? Wie denn nicht einladen?)
It had the old-time ring:
(Traditionelle Liturgie, könnte man meinen. Und: Nicht die Abwechslung zählt, nicht die Spontaneität und Kreativität aus der aktuellen Stimmung heraus.)
The Preacher said with trumpet voice,
Let all the people sing,

(Aktive Partizipation, nennt man das wohl heutzutage und nach dem Konzil. Alternativ auch: Priestertum aller Gläubigen.)
"Old Coronation" was the tune,
(Und wer sich den Text von "Old Coronation" anschaut, der weiß schon, was die nächste Zeile sagen wird:)
The music upward roll'd,
(Die Richtung christlichen Betens und Singens, die Richtung christlicher Liturgie ist: zu GOtt hin. Sie greift vor und aus und hinauf. Nicht die Gemeinde schaut sich an, sondern schaut "in die gleiche Richtung" (bekanntermaßen Saint-Exupery, gerne auf Postkarten zitiert, aber stimmig auch hier.).)
Till I tho't I heard the angelchoir
Strike all the harps of gold

(Idealfall: Die Engel singen hören. Ganzheitlich, mit Leib und Seele, mit Körper und Geist, im Hier und Jetzt das Immer und Überall, das A + O wahrnehmen.)

4. My deafness seemed to melt away,
(Heilung auf christlich. War es vielleicht damals auch so, im Judenland der Zeitenwende, bei jenem Mann der Schmerzen, der die Sprache kannte, mit der Tote wieder lebendig wurden (B. Dylan)?)
My spirit caught the fire:
(Feuer fangen. Wie an Pfingsten.)
I joined my feeble, trembling voice,
With that melodious choir:

(Ob Du singen kannst oder nicht: Dabei sein ist alles. In Ecclesia nihil nisi salus.)
And sang, as in my youthful days,
"Let angel's prostrate fall:
Bring forth the royal diadem,
And crown him Lord of all."

(Auf Theologendeutsch: Der eschatologische Charakter christlichen Beten und Singens. Und kirchlicher Liturgie.)

5. I tell you, wife, it did me good
To sing that hymn once more.

(Nicht hingehen, damit es einem gut geht oder "weil es mir gut tut". Aber sich freuen, wenn es gut tut.)
I felt like some wrecked mariner
Who gets a glimpse of shore.

(Auf hoher, stürmischer See sind wir immer noch, Eschatologie hin, Beglückung her. Aber nun mit einer Sehnsucht, weil wir die Küste kennen.)
I almost want to lay aside
This weather-beaten form,

(Paulus, reiner Paulus.)
And anchor in the blessed port,
Forever from the storm.

(Ach, daß ich es schon erreicht hätte...)

6. "Twas not a flowery semon, wife,
(Nicht blumig. Kein Anwärter auf den wirtschaftsfinanzierten "Predigtpreis".)
But simple gospel truth:
(Die. Einfache. Wahrheit. Des Evangeliums.)
It fitted humble men like me:
(Die Demütigen wollen nicht mehr als das Wort, das aus GOttes Mund kommt.)
It suited hopeful youth,
(Der alte Herr - redet er über sich? Über hoffnungsvolle Jugend?)
To win immortal souls to Christ,
The earnest preacher tried:
He talked not of himself, or creed,
But Jesus crucified.

(Nicht von sich, nicht vom Dogma wird gepredigt - sondern vom Gekreuzigten Jesus. Man könnte meinen, Papst Ratzinger wäre dort auf der Kanzel gestanden, in der baptistischen Modellkirche...)

7. Dear wife, the toil will soon be o'er
The victory soon be won,
The shining land is just ahead,
Our race is nearly run,

(Zuversicht. Hoffnung. Vertrauen. Gegründet sein im Glauben.)
We're nearing Canaan's "Happy Shore"
(Kirche aus Juden und Heiden. Oder höre ich hier zu viel?)
Our home so bright and fair:
Thank God, we'll never sin again:

(Wie gesagt: iustus non iam peccator. Aus GOttes Gnade werden wir sein: Gerechtgemachte, die nicht mehr sündigen und deren Flecken abgewaschen sind.)
There'll be no sorrow there:
There'll be no sorrow there:
In heaven above where all is love

(Die Liebe hat das letzte Wort. Nein, falsch: LIEBE ist das letzte Wort. - Aber noch sind wir nicht so weit. Noch hoffen wir, daß wenigstens die Sorgen ihr Ende finden:)
There'll be no sorrow there.

Und hier, klar, muß jetzt jeder klicken, um zu sehen, wie das Lied von der "Model Church" klingt. Life:

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