O aber (um es wieder mal mit Rilke anzufangen), O aber also diese Koinzidenzen!
Auf Percy-L wird momentan über Walker Percys "Kinogeher" diskutiert und deshalb nahm ich gestern das Bibliothek Suhrkamp-Bändchen wieder in die Hand und blätterte die besten Stellen an. Und heute schon flattert mir von Amazon ein Mail in die Box, das mir - da ich "Bücher von Hans Küng gekauft oder bewertet haben" soll, woran ich mich allerdings nicht mehr erinnere - versichert, es freue mich "sicher, dass 'Was ich glaube' jetzt erhältlich ist".
Klar freut es mich. Ich freue mich über jeden Theologen, der auch im hohen Alter seine sechs oder sieben Sinne noch beisammen hat und erfolgreiche Bücher schreibt. Der Hoffnungen nicht enttäuscht und Erwartungen erfüllt. Mir freilich dürfte Küngs Buch - und dafür reichen mir die vier Zeilen der Kurzbeschreibung auf amazon.de - etwas zu zeitgeistschnittig sein, etwas zu nahe an dem, was ich am Tag zuvor - O Koinzidenz, Tochter von Kairos und Zufall! - bei Walker Percy persifliert fand:
"Umfächelt und umhegt vom Sturm gehe ich zu Bett, geborgen wie eine Larve im Kokon, warm eingehüllt in christliche Freundlichkeit. Vom Sessel zum Bett und vom TV zum Radio, für ein kleines Schlummerprogramm. Ich folge dem Ritual der Gewohnheit wie ein Mönch, vergnüge mich an den alltäglichsten Wiederholungen und höre jede Nacht um zehn 'Woran ich glaube'. In dieser Sendung geben Hunderte der besten Geister dieses Landes, nachdenkliche und intelligente Leute, ihr Credo bekannt. Die zwei-, dreihundert, die ich bis jetzt gehört habe, waren ausnahmslos bewundernswert. Ich bezweifle, ob irgendein andres Land oder eine andre Zeit je so nachdenkliche und hochgeistige Menschen hervorgebracht hat (...)
Müßte ich all diese Leute mit einem gemeinsamen Merkmal kennzeichnen, so wäre das ihre Nettigkeit. Ihr Leben ist ein Triumph der Nettigkeit. Sie haben die wärmsten, großzügigsten Empfindungen und mögen jedermann. Und was sie selber angeht: auch der ärgste Griesgram muß sie mögen.
Die Hauptperson des heutigen Abends ist ein Dramatiker, der diese besondere Qualität auch in seine Stücke einbringt. Er fängt an:
'Ich glaube an die Menschen. Ich glaube an die Toleranz und an die Verständigung. Ich glaube an die Einzigartigkeit und an die Würde des Individuums -'
Jeder bei 'Woran ich glaube' glaubt an die Einzigartigkeit und Würde des Individuums. Aber es fällt auf, daß die Bekenner selber weit entfernt von Einzigartigkeit sind; daß sie in Wahrheit einander gleichen wie Erbsen in der Schote.
'Ich glaube an die Musik. Ich glaube an ein Kinderlächeln. Ich glaube an die Liebe. Ich glaube auch an den Haß.'
Wahr: ich bin einigen dieser Gläubigen im Haus meiner Tante begegnet, Humanisten und Psychologinnen. In 'Woran ich glaube' mögen sie jeden. Aber wenn es um diesen oder jenen geht, dann hassen sie ihn gewöhnlich auf den Tod.
'Woran ich glaube' hat mir nicht immer gefallen. Während ich bei meiner Tante wohnte, wurde ich davon in diabolische Zustände versetzt. Aber statt wie sonst einen Brief an eine Zeitung zu schreiben, besprach ich ein Band und ließ es Mr. Edward R. Murrow zukommen. 'Folgend die Glaubenswahrheiten von John Bickerson Bolling, Moviegoer, wohnhaft in New Orleans': so fing es an. Und so hörte es auf: 'Ich glaube an einen guten Tritt in den Hintern. Das ist es, woran ich glaube.' Ich habe diese Überreaktion freilich bald bedauert und war erleichtert, als das Band zurückgeschickt wurde. Seitdem bin ich ein treuer Hörer von 'Woran ich glaube'.
'Ich glaube an die Freiheit, an die Heiligkeit des Individuums, an die menschliche Brüderlichkeit -' (so schließt der Dramatiker).
'Ich glaube ans Glauben. Das ist es woran ich glaube.'
All die Zittrigkeit beim Gedanken an Sharon ist weg. Ich schalte das Radio aus und liege da, mit einem süßen Klingeln im Leib, einem Klingeln für Sharon und alle Mit-Menschen." (Walker Percy: Der Kinogeher. Frankfurt: Suhrkamp, 1986, S. 108 ff.)
15. Oktober 2010
Das Credo nachdenklicher Geister
Abonnieren
Kommentare zum Post (Atom)
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen