10. Juli 2008

Worte zur Urlaubslektüre

Neal Stephenson: Quicksilver: Der erste Band einer Trilogie, startet mit 1130 Seiten Text. Auch wenn am Ende der Plot nicht recht zu ahnen ist, war es unterhaltsam, dem Personal der Trilogie (Gauner, Karrieredamen, puritanische Naturphilosophen) durchs frühmoderne London, an die Höfe von Versailles und Den Haag und bei mehrfachen Durchquerungen des europäischen Festlandes zu folgen, den Herren Leibniz und Newton (neben Louis Quinze, Wilhelmus von Oranien und vielen anderen Prominenten) zu begegnen und sich dabei zu denken: "Ja, so könnte es gewesen sein, als Aufklärung, Wissenschaft, Moderne, all die großen menschenrettenden Abstrakta ihre Herrschaft begannen."

Ralf Rothmann: Rehe am Meer: Wer sagt, daß in Erzählungen etwas passieren muß? Es reicht, daß die Helden - und hier sind es allesamt Normalos wie wir - sehen. Rehe am Meer, badende Spatzen, eine Kuhle in der Matratze, Sandalen im Gras...

Friedrich Ani: Süden und das Geheimnis der Königin: Ani ist so etwas wie der Simenon unter den deutschen Krimi-Autoren, kleine, kompakte, lakonische Bändchen, mit einem Anhauch Wolf Haas, und immer wieder bringt er Religion oder sagen wir besser: das Fenster ins Transzendent-Andere ins Spiel. Auch sein Kommissar Tabor Süden ist ein Sucher: "Ich arbeite auf der Vermisstenstelle der Kripo und kann meinen eigenen Vater nicht finden." Schade nur, daß er dann doch ins Unplausible abrutscht - wenigstens aus katholischer Sicht: Kann man sich z.B. vorstellen, daß eine praktizierende, gläubige Katholikin große Schuld ohne Priester, ohne Beichte, ohne Messbesuch, ganz allein in einem dunklen Zimmer abbüßt, nur mit einer Bibel? Not exactly the Catholic way, scheint mir...

Und dann Nr. 4: Freddy Derwahl: Benedikt XVI. und Hans Küng - Geschichte einer Freundschaft: Der Ansatz, am Mit- und Gegeneinander dieser beiden Protagonisten die Geschichte der Catholica in der 2. Hälfte des 20. Jahrhunderts aufzurollen, ist gut gewählt, der Durchführung mangelhaft. Nicht nur gibt es überflüssige, schlecht lektorierte Wiederholungen, nicht nur fragt man sich häufig, wer gerade spricht: Derwahl, Ratzinger (wie ihn sich der Autor vorstellt) oder Küng (ebenfalls in Derwahls Interpretation)? Dazu kommen Zeitsprünge, fast wie bei Stephenson (s.o.) und - weil für theologische Laien geschrieben - der Versuch, große, hohe Theologie zu vermeiden. Dadurch wird der Streit um Küngs Lehrerlaubnis in den 70ern ziemlich unverständlich - es waren eben nicht nur Machtspielchen oder Eitelkeiten hier wie dort, um die es ging, sondern das Wesentliche des Christ- und Katholischseins stand zur Diskussion. Da, genau da klafft die Kluft, und genau deswegen ist eine Rehabilitation Küngs, eine restitution in integrum, bei unveränderter Bekenntnislage nicht auf dem Plan, trotz beiderseitigem guten Willen (auch wenn die Kardinäle Kasper und Lehmann das vor einigen Jahren so sahen). Das bedeutet ja nicht, daß die beiden ehemaligen Tübinger unversöhnt und im Streit leben, daß sie nicht bei anderen Themen am gleichen Strang ziehen können und sollen. Nur bedingt empfehlenswert, schade!

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