21. September 2003

Immer noch die alten Lieder

In der Tagespost kritisiert Michael Karger die Kritik von Norbert Scholl am Gotteslob.

"Hinzu kommt noch die Verurteilung derjenigen Lieder, die 'mangelnden Realitätssinn' und 'unverhohlenen Triumphalismus' zeigen, wie 'Das All durchtönt ein mächtger Ruf: `Christ A und O der Welten!´.' Bezeichnenderweise hat auch dieser Text einen neutestamentlichen Hintergrund ('Er, der auf dem Thron saß, sprach: ... Ich bin das Alpha und das Omega, der Anfang und das Ende' Offb 21, 5f), was Scholl aber nicht hindert seinen Ton noch zu verschärfen: 'Wer kann eigentlich derart bombastische und imperiale Wunschvorstellungen noch Ernst nehmen? Dazu muss man sich noch das Ambiente vorstellen, in dem diese Fanfarenstöße erklingen: ein Paar alte Männer und Frauen in einer halbleeren Kirche.'"

Genau das ist es, was ich an meiner Kirche liebe: Die Kirche ist meist mehr als halbleer, das Durchschnittsalter liegt bei 55 und von den unter 40-jährigen Getauften sind gerade mal 4 % anwesend. Der Pfarrer wählt die alten Lieder gewohnheitsmäßig aus, und alle quälen sich durch die Strophen. Nach einer Stunde ist das "heilige Geheimnis" vorbei. Amen.

Mir scheint aber gerade das die angemessene Gestalt zu sein, wie sich in Deutschland 2003 die Hoffnung wider alle Hoffnung verwirklicht - authentischer, scheint mir, als auf Katholikentagen, in pastoraltheologischen Hauptseminaren oder durch Bischofskonferenzen. Daß die Macher, die dominanten Intellektuellen, die wirbelnden Hauptamtlichen, die Kleriker hoffen, überzeugt mich nicht: Das ist ihr Job, entspricht ihrem Psycho-Typus, war zu erwarten. Aber daß die Alten, die Einfachen, die nicht-organisierten und nicht-mitredenden "Randständigen" hoffen, daß sie völlig bizarr die Triumphsongs singen, zeigt mir, daß die Hoffnung, das "Gottvertrauen" hartnäckiger ist als gedacht. Und daß nicht unsere Power oder positive Energie gefragt ist, sondern die freie Gnade und die "gekreuzigte Liebe" (ein Wort, das ich nicht leichtfertig hinschreibe, gewiß nicht).

Lassen wir Norbert Scholl weiterschreiben, wenn's ihm Spaß macht. Seine unvermeidliche Neubearbeitung der Bibel müssen wir uns ja nicht antun, wenn sie in ein paar Jahren erscheint. Wir wissen jetzt schon, was drin steht. Es ist die alte Bibel, die wir nicht gut genug kennen und die uns zu wenig interessiert. Dann würden wir auch verstehen, wie jemand "Wunderschön prächtige" dichten und singen kann - auch wenn es nicht unser Lieblingslied ist.

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