7. Mai 2005

Die Evolution kennt keine Märtyrer

Theodor Frey hat letzthin in seinem Blog eine jüngere Reaktion des Vatikans auf Pierre Teilhard de Chardin SJ referiert und zitiert und in seinem "Zweitblog" Benedikt XVI. die verschiedenen Bezugnahmen Joseph Ratzingers auf Teilhard aus der "Einführung in das Christentum" (1968) zusammengestellt.

1998 äußerte sich Joseph Ratzinger noch einmal zu Teilhard - weniger ausführlicher, aber diesmal in einem kritischen Kontext. Den Rahmen bildet sein Referat mit dem Titel "Das Ende der Zeit" anläßlich des Gesprächs mit Johann Baptist Metz.

Vier Lösungstypen für die Frage, wie sich Ewigkeit und Zeit zueinander verhalten, und - damit verbunden, doch nicht identisch - für die Frage nach dem Anfang und dem Ende der Zeit stellt Ratzinger vor: den aristotelischen-thomanischen, den naturwissenschaftlichen, den Typ des Fortschrittsglaubens, der dem naturwissenschaftlichen nahe steht und den klassisch-theologischen.

Der Glaube an den Fortschritt sieht die Zeit mit dem Erreichen eines Zustandes der wie immer gearteten Vollkommenheit an ihr Ziel kommen, "das keine weitere geschichtliche Entwicklung mehr sinnvoll erscheinen läßt."

"Dann aber," so der Kardinal weiter, "erhebt sich die Frage: Was ist das denn eigentlich für eine Zeit? Und welche Freiheit ist es, die nicht mehr zu Fall kommt, sondern von Generation zu Generation im Erreichten stehenbleibt? Unweigerlich steigt da auch die Frage auf, die Adorno deutlich gestellt hat: Was für eine Versöhnung ist das, die nur den Zukünftigen gilt? Wie steht es mit uns? Wie mit den Opfern der Ungerechtigkeit die ganze Geschichte hindurch?

Diese Fragen gelten auch gegenüber der christlichen Variante des Fortschrittsglaubens, die Teilhard de Chardin entwickelt hat. Er hat den Kosmos als einen Prozeß des Aufstiegs, als einen Weg der Vereinigungen beschrieben. Vom ganz Einfachen führe dieser Weg zu immer größeren und komplexeren Einheiten, in denen Vielfalt nicht aufgehoben, aber in eine wachsende Synthese hinein verschmolzen werde, hin zur Noosphäre, in der der Geist und sein Verstehen das Ganze umgreifen, alles zu einer Art von lebendigem Organismus verschmilzt. Vom Epheser- und Kolosserbrief her betrachtet Teilhard Christus als jene zur Noosphäre treibende Energie, die schließlich alles in ihrer Fülle einbegreift.

Dieser beeindruckenden Vision, in der die Eucharistie als Antizipation der Verwandlung der Materie und ihrer Vergöttlichung, als Richtungspfeil der kosmischen Bewegung erscheint, stellen sich freilich alle Fragen entgegen, die allgemein an die Fortschrittsidee zu richten sind. Für Teilhard sind die grausamen Aspekte der Evolution und so schließlich auch alle Grausamkeiten der Geschichte unvermeidbare Unfälle im Prozeß des Aufstiegs zur endgültigen Synthese. Das Experiment, in dem sozusagen die Natur ihren Weg sucht, kommt nun einmal nicht
ohne Fehlschläge aus, die schließlich der unausweichliche Preis des Aufstiegs wären. So erscheint schließlich der Mensch in seinem Leiden als Experimentiermaterial der Evolution; die Ungerechtigkeiten der Welt als Unfälle, die man auf einem solchen Weg in Kauf nehmen muß. Der Mensch wird dem kosmischen Prozeß untergeordnet ..."
Mit einer Anekdote aus den autobiographischen Aufzeichnungen Josef Piepers zeigt Ratzinger die Konsequenz dieser Auffassung für das christliche Verständnis der Hoffnung:

Pieper hatte 1951 in Paris über die "Hoffnung der Märtyrer" gesprochen - und Teilhard war unter den Zuhörern. Piepers "These war, von Hoffnung solle man lieber gar nicht reden, 'wenn es keine Hoffnung gebe für den, der sich um der Wahrheit und der Gerechtigkeit willen totschlagen läßt und sich jedenfalls - eingesperrt, allein gelassen, verächtlich gemacht und vor allem verstummt - in einer »hoffnungslosen« Lage befindet.'"

Einen Brief, den Teilhard nach dem Vortrag, "aus dem Augenblick heraus", schrieb, lernte Pieper erst Jahre später kennen. Wo Pieper in seinem Vortrag gemeint hatte, "es stehe nirgends geschrieben, 'daß die Menschengeschichte, innerzeitlich betrachtet, einfachhin mit dem Sieg der Vernunft oder der Gerechtigkeit zu Ende gehen werde", nennt "Teilhard ... diesen Frageansatz 'defätistisch'". "Entscheidend sei doch etwas völlig anderes, 'nämlich die Zukunftskraft der »biokosmisch« auf ihr evolutives Potential hin angesehen noch »jungen« Menschheit. Pieper kritisiert in seinen Erinnerungen diese Vermengung von Evolution und Geschichte: Von Blutzeugnis - so bemerkt er dazu - kann sinnvollerweise nur 'im Feld der Geschichte die Rede sein, während die Evolution keine Märtyrer kennt'." (zitiert nach: T. R. Peters; C. Urban (Hg.): Ende der Zeit? Die Provokation der Rede von Gott.- Mainz: Grünewald, 1999. Der Vortrag von Joseph Kardinal Ratzinger befindet sich auf den Seiten 13-31.)

1 Kommentar:

Anonym hat gesagt…

Herzlichen Dank für die wertvollen Hinweise, denen ich weiter nachgehen werde.

Dass Teilhard 1951 in Paris einen Vortrag von Josef Pieper besuchte und in einem Brief darauf reagierte und sich daraus auch noch eine Diskussion entspannte, ist für mich sehr spannend. Diese beiden Denker zu vergleichen wäre sicher erhellend.

Ich habe versucht auf meinen Internet Seiten zu "Teilhard de Chardin" das Thema aufzugreifen um - anhand seiner Schrift "Die Menschheit retten" - mehr Klarheit zu gewinnen.

Hier der Verweis, nochmals herzlichen Dank dafür und die Bitte zu entschulden, dass ich erst jetzt reagiere:

http://www.theodor-frey.de/teilhardgrundprinzipien.htm#Geschichte%20und%20Zukunft