22. März 2004

Nachgedanken zur "Passion Christi"- I

"Nach all den Verrissen, nun mal ehrlich: wer kann es sich erlauben, einen Film nicht gesehen zu haben, vor dem einhellig durch die katholische Bischofskonferenz, der EKD und dem Zentralrat der Juden in Deutschland gewarnt wird?" - damit hat Catholicism Wow absolut recht. Wenn dann noch ein Kino im näheren Umkreis den Besuchern eine Ausweiskontrolle ankündigt und gutbürgerliche Christen aus dem Familienkreis fragen, wie ich denn in diesen Film gehen könne, wo doch gerade heute in der Zeitung zwei Theologen usw. usf. - dann ist "Die Passion Christi" ein absolutes Muß für den White Male Conservative Catholic, der dieses Blog schreibt.

Gestern abend, zur Prime Time saß ich also in unserem lokalen Multiplex-Tempel; der Saal war zu gut 50 % gefüllt - vor allem mit jungen Leuten zwischen 18 und 25 beiderlei Geschlechts, viele Pärchen und kleine Gruppen, mit Cola, Popcorn und Nachos gut versorgt, keine typischen Kirchgänger und Bibelleser (beides cum grano salis). Die Stimmung war etwas ruhiger als sonst und wurde nach der Werbung, die uns leider nicht erspart blieb, ganz still. So weit ich sehen konnte, hielten alle bis zum Ende durch. Viele blieben über den Abspann hin sitzen. Von starken Gefühlen war nichts zu sehen oder zu hören, dafür gab es nachdenkliche Gesichter und leise Gespräche.

Ich habe selber für mich kein Fazit der "Passion" gefunden - es sind nur Bausteine, die ich im Folgenden aufschreibe:
  • Das vierte Gottesknechtlied (Jes 52, 13 - 53, 12) ist einer der zentralen Schlüssel, unter denen Gibson seinen Film verstanden haben will. Nicht nur das Motto "Doch er wurde durchbohrt wegen unserer Verbrechen, wegen unserer Sünden zermalmt. Zu unserem Heil lag die Strafe auf ihm, durch seine Wunden sind wir geheilt" (53, 5), auch Sätze wie "Viele haben sich über ihn entsetzt, so entstellt sah er aus, nicht mehr wie ein Mensch, seine Gestalt war nicht mehr die eines Menschen" (52) oder "Nachdem er so vieles ertrug, erblickt er das Licht." (53, 11) finden ihre filmische Darstellung.
  • Wer mit dem Johannesevangelium, seiner Zuverlässigkeit als historische Quelle und seiner Theologie, Probleme hat, der wird auch weite Teile der "Passion" ablehnen. Denn das Warum der Passion und des Todes Jesu sieht Gibson in der dort gedeuteten Selbsthingabe Jesu für seine "Freunde" und seinem "Selbstverständnis" als "der Weg, die Wahrheit und das Leben" (Jo 14, 6). Ebenso betont Gibson die Souveränität Jesu, die Freiheit, mit der Er Sein Leiden annimmt als den Willen des Vaters - ebenfalls ein johanneisches Thema.
  • Wie sieht es denn aus mit dem "Es ist, wie es war", mit dem Anspruch auf eine vollständige Rekonstruktion des Passionsgeschehen? Wenn Joaquin Navarro-Valls von einer "cineastischen Transskription" spricht, steckt im Adjektiv die Einschränkung: Wir haben es hier mit einem Kunstwerk (manche nennen es "Machwerk", ich weiß) zu tun, und die schließen andere Interpretationen und Darstellungen nicht aus. Auch nach Mel Gibson wird es vermutlich noch viele andere filmische und künstlerische Werke geben, die das Leben und den Tod Jesu mit ihren je eigenen Mitteln zu verstehen suchen.
  • Gibson scheint nun undifferenziert aus den vier Evangelien, aus der katholischen Volksfrömmigkeit und Legende und aus Quellen wie den Schriften Anna Katharina Emmerichs zu schöpfen, ohne Hinweis auf ihre unterschiedliche historische Zuverlässigkeit und theologische Wertigkeit. Er folgt eben nicht streng dem johanneischen Ablauf oder einer synoptischen Perspektive. Der Kreuzabnahme durch Josef von Arimathäa folgt das alte Pieta und der Blick auf eher barocke Zusammenstellung der "Passionswerkzeuge", der "arma Christi". Ich frage mich aber, ob er nicht ganz bewußt genau das darstellt, was jeder von uns ungewollt und quasi-automatisch tut, wenn er die Passion Christi schildern soll: Die Einzelbericht zusammenfügen in eine "best of"-Variante. Nur Exegeten schaffen es wohl, fein-säuberlich jeweils zum matthäischen, markinischen, lukanischen oder johanneischen Jesus zu beten - je nach Anlass oder Lesejahr. Wir andern begegnen dem Einen, dessen Bild in uns aus allen möglichen Elementen sich zu einer - vielleicht - konsistenten "Gestalt" zusammensetzt. "Praestet fides supplementum sensuum defectui" - Der Glaube kommt dem Fehlen sinnlicher Wahrnehmung ergänzend zu Hilfe und füllt die Lücken mit seiner Vorstellungskraft, ein altes Verfahren in der Passionsbetrachtung.
  • Das Schlimmste am Film ist die Musik.
  • Wie schlimm ist die gezeigte Gewalt? Ich kenne kaum Filme aus der Brutalo-Schublade, weder die guten noch die schlechten, und bin auch sonst kein großer Kinogeher oder Filmexperte. Ich habe keine Ahnung, wie "schrottig", slayer- oder splattermäßig - so einer der oben erwähnten Theologen in unserer Lokalzeitung - "The Passion" im Vergleich ist. Es gab nur wenige Momente, wo ich dachte: "Jetzt ist es zu viel. Warum hat er an dieser Stelle nicht aufgehört". Dafür gab es aber einen Moment, wo es mich durchzuckte und ich mir eingestehen musste: "So brutal wie diese Römer - das könnte ich auch sein." Ich selber wurde mir offenbar als jemand, der nicht nur durch Feigheit und Taktieren, nicht nur Hetze und Verleumdung, sondern von schlichter Gewalttätigkeit gepackt, einen Menschen quälen und töten könnte. Eine Sekunde lang war mir klar, daß ich mich weiden könnte am Leiden anderer. Wie sagt Johannes über Jesus: "er wusste, was im Menschen ist". (Jo 2, 25)

(to be continued)

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