23. Mai 2009

Der mißverstandene Liberale

Bekanntermaßen hat sich Kardinal Lehmann am 20. Mai in der FAZ zum Kulturpreis-Streit geäußert. "Liberal wollte ich immer sein" war der Text überschrieben, der nun auch auf der Website des Bistums Mainz nachgelesen werden kann.

Nachdem ich eher spekulativ-ironisch die "Vorgeschichte einer Aberkennung" erkundet hatte, las ich die Stellungnahme des Kardinals voll Interesse und will im Folgenden einige Anmerkungen dazu machen.

Der Artikel erschien - und das halte ich für signifikant - im Politikteil unter der Rubrik Zeitgeschehen, nicht im Feuilleton der FAZ, im Unterschied zu den vorhergehenden Texten der anderen Beteiligten Kermani und Steinacker und weiterer Kommentatoren. Auch anderswo wurde der Streit im Feuilleton geführt, in der NZZ oder der Süddeutschen etwa. Dieser etwas andere Ort des Kardinal-Artikels mag triviale Gründe haben: das vermutlich schon lange zerschnittene Tischtuch zwischen Lehmann hier und Bahners/Geyer dort oder die redaktionelle Zuordnung des Lehmann-Biographen und Kirchenredakteurs der FAZ, Daniel Deckers. Bezeichnend scheint er mir dennoch: Denn bei allem Verständnis, das Lehmann für die "gewisse dialektische Struktur" des Kermani-Essays, dessen "paradoxe Elemente" und "schriftstellerische Kunstfertigkeit" bekundet, spricht der Kardinal vor allem als Kirchenpolitiker: als Bischof auf politisch-gesellschaftlichem Terrain, als Bischof mit dem Zwang zur Rücksichtnahme auf innerkirchliche Empfindlichkeiten und (mögliche) Anfeindungen.

Da liegt schon ein Teil des Kulturpreis-Hundes begraben, denke ich: Hier die alten Kämpen des interreligiösen Dialogs, die für eine "Lebensleistung" geehrt werden sollen, dort der junge Schreiberling, der außer feuilletonistischer Berühmtheit nicht viel vorzuweisen hat. Der Kardinal deutet sein Unbehagen angesichts dieser Lösung durchaus an, durch lakonische Feststellungen: "Ohne Widerspruch" habe er Kermanis Nominierung "zur Kenntnis genommen", er besitze "einige Bücher von ihm" und habe ihn "vor gar nicht langer Zeit auch persönlich kennen" gelernt. Freude oder Zustimmung liest sich anders. Es steht zu vermuten, daß auch in Lehmanns Anschreiben an den Ministerpräsidenten wenig davon zu lesen war - und ganz grundlos wird es sicher nicht unveröffentlicht geblieben sein.

Dann kam im März Kermanis NZZ-Text und nun sah sich Lehmann gezwungen, von Roland Koch eine "weitere Klärung", "eine 'Lösung' des Dilemmas" zu verlangen, und zwar ohne "billige oder faule Kompromisse". Des Dilemmas, in dem er selbst sich sah, seines eigenen Dilemmas angesichts seiner Gegner und Feinde, die nur auf eine Gelegenheit warteten, ihn zu verhöhnen - so muß man es ja wohl verstehen -, aber auch angesichts seiner "Mitchristen", denen so viel Liberalität oder literarisches Differenzierungsvermögen, wie es hier nötig wäre, nicht zuzumuten ist. Meine Kurzfassung von Lehmanns Sicht der Dinge: "My adversaries made me do it" stimmt nach wie vor und ist lediglich zu ergänzen durch die Beifügung "I didn't do it for myself. I did it for others."

Im zweiten Teil seines Textes geht es um den Dialog und seine Bedingungen. Man kann die Passagen als die Allgemeinplätze lesen, die sie sind, oder auch als Teil der Lehmannschen "mission and vision", die er durchaus konsequent umgesetzt hat in seinem bischöflichen Wirken. Nur: So oder so wird nicht deutlich, wie Lehmanns liberalitas und sein Dialogverständnis ihn davon hätten abhalten müssen, Kermani als Ersatzpreisträger neben sich zu dulden. Die deutlichen Worte eines muslimischen Literaten hätte er schon noch innerhalb der "klärenden Grenzen eines jeden religiösen Dialogs" sehen können. Hier darf - meiner bescheidenen Meinung nach - weiter über die wahren Gründe spekuliert werden.

Doch nachdem ja "Kirchenpräsident Professor Dr. Peter Steinacker und ich" einen Aufschub und den "Versuch eines persönlichen Gespräches ... zunächst ohne Öffentlichkeit" vorgeschlagen haben, ist nicht alles verloren. Schon gar nicht kann sich Navid Kermani dem "Fortgang eines wahren Dialogs, den wir ja in der Ökumene seit Jahrzehnten praktizieren" verweigern. Und wenn doch, dann nur unter Verlust jeder weiteren Preiswürdigkeit. Die hinwiederum präsentiert sich bei Kardinal Lehmann auch weiterhin ganz deutlich und unübersehbar. Wenn er am 7. Juli die letzte der zehn Vorlesungen der Siftungsprofessur der Gutenberg-Universität Mainz hält, wird ganz Deutschland zuhören. "Notwendigkeit, Risiken und Kriterien für den interreligiösen Dialog heute und in Zukunft" sind das Thema - und wer, wenn nicht Kardinal Lehmann, könnte uns darüber aufklären?

(Wir unsererseits rätseln weiter, welches "Bischofsgewand" der Kardinal bei der Preisverleihung getragen hätte - oder noch tragen wird.)

3 Kommentare:

Lupambulus Berolinen. hat gesagt…
Dieser Kommentar wurde vom Autor entfernt.
Scipio hat gesagt…

Ich weiß es zu würdigen.

Anonym hat gesagt…

"Liberal wollte ich immer sein"? Mehr braucht man doch gar nicht über den Herrn zu wissen...