14. März 2005

ich.sechs nichtvorträge

"Ich wurde willkommen geheißen, wie kein Sohn irgendeines Königs nebst Königin jemals willkommen geheißen wurde. Das war mein freudiges Schicksal und mein größtes Glück. Wenn ich auch nur eine Andeutung dieses grenzenlosen Segens an Sie weitergeben könnte, würde dies mein Vorhandensein hier und jetzt rechtfertigen."

Hier und jetzt - das waren sechs Vorträge, die Edward Estlin Cummings als Charles Eliot Norton Lectures 1952/3 in Harvard hielt und die nun erstmals in deutscher Sprache, von Lars Vollert übersetzt, bei Langewiesche-Brandt erschienen sind. Ein "aesthetic striptease" (Cummings) ist bei solcher Art Veranstaltungen nicht ganz ungewöhnlich, und Cummings gibt eine Paradevorstellung: Er enthüllt sich, seine Eltern, sein Erwachen in die Welt, seine Sicht der Welt - zeigt viel von sich, aber er ist jederzeit souverän in dem, was er durchblicken, durchblitzen lässt. Und welche Überraschung! Er sieht aus, wie wir es von seinen Gedichten her vermuteten: ein Liebhaber nicht der Menschheit, sondern der Menschen, verliebt in das "you", in die Frauen, in die Natur, in den Frühling, gläubig vertrauend auf die Augen der Liebe und auf die Sehkraft des Herzens. Ein "ich", wie es im Buche des Individualismus des 20. Jahrhunderts steht: kreativ, neugeboren, wie selbstverständlich seine Heimat im Zentrum der Welt nehmend.

Die Lektüre ist trotz der komfortablen englisch-deutschen Parallelübersetzung nicht einfach und braucht ihre Zeit, aber mir hat sie riesiges Vergnügen bereitet. Denn zusätzlich gibt es Neuübersetzungen wunderbarer Cummings-Verse, die in den Auswahlbänden "like a perhaps hand" und "Poems" nicht enthalten waren. Lars Vollert ist dabei - wieder einmal - eine Übertragung gelungen, die den Cummingschen Tonfall konsistent und mit kleinstmöglichen Verlusten ins Deutsche überträgt. Was will man mehr?

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