20. Juli 2003

Liturgische Blüten IV

Von Caroline Madsen stammt der Artikel "The Common Word: Recovering Liturgical Speech" in der Zeitschrift CrossCurrents, der einige sehr interessante Beobachtungen und Befunde zur Psychologie und Geschichte der liturgischen Sprache bringt.

Gerade gegenüber einem Trend (und zunehmend einer Praxis), der Liturgie als Ort sieht, an dem sich Gefühle ausdrücken (vgl. die dauernden Aufforderungen, Liturgie solle Freude ausstrahlen, die Menschen sollten dort auf einander zugehen und sich begegnen), stellt sie sehr realistisch fest:

"Liturgie beginnt bei einer der eher trostlosen Tatsachen menschlicher Erfahrung: Wir leben in Gruppen, aber sehr wenig von dem, was wir am meisten sagen müssen, kann in einer Gruppe gesagt werden. Zwischen den Leuten, die wir zu gut, und denen, die wir nicht gut genug kennen, können wir in einem öffentlichen liturgischen Rahmen nicht viel über oder unter die Oberfläche gehen - außer mit indirekten Methoden. Unsere Geheimnisse sind zu mächtig, oder zu zerbrechlich, für eine solche Enthüllung."

Liturgie löst dieses Problem durch ihre hoch formale Struktur, die "in Momenten der Verwundbarkeit die Teilnehmer gegen die Risiken einer Interaktion schützt. David Crystal, ein Linguist, der sich auf Intonation spezialisiert hat, bemerkt einmal, daß die Rezitation von geschriebener Liturgie in einem der Monotonie nahen Tonfall stattfindet. Mienenspiel, spontane Gesten, Heben und Senken der Stimme - sie alle verschwinden; Gebet, praktisch als die einzige unserer sprachlichen Ausdrucksweisen, ist emotiv, ohne expressiv zu sein. Die Trance-ähnliche Wiederholung emotional aufgeladener Sprache - gesprochen in der Gegenwart anderer, aber der wesentlichen Werkzeuge der Unterhaltung beraubt - erlaubt es einer intensiven Innerlichkeit, in einer äußerlichen Form aufzutauchen."

Madsen verfolgt die Geschichte der englischen Sprache in der (protestantischen bzw. anglikanischen) Liturgie, macht kurze Exkurse in die neurologischen Auswirkungen und Grundlagen liturgischen Sprechens und fordert eine Liturgie, die wie die traditionellen jüdischen und christlichen Liturgien, die erfahrenen Zerstörungen und Verluste erinnert. "Von allen Ironien des 20. Jahrhunderts ist nicht die geringste, daß im Jahrhundert Hitlers und Stalins, Freuds und Einsteins, im Jahrhundert der Schützengräben und der staatlichen finanzierten Gaskammern, der Atombombe, der chemischen Waffen und der globalen Erwärmung ausgerechnet die Liturgie optimistisch werden soll."

Optimistisch, das darf man ergänzen, nicht in der Erwartung von Gottes absoluter und eschatologischer Zukunft, sondern im Sinn einer oberflächlichen heilen Welt.

Ich denke, das gibt einen Vorgeschmack auf die knapp sieben Seiten, die sich für jeden lohnen, der sich für Liturgie interessiert (und wie unten: das Englische nicht scheut).

Keine Kommentare: