14. Juli 2003

Abendmahl als Großabfütterung und Null-Erlebnis

Beim "Christ in der Gegenwart" findet sich ein Gespräch zwischen Ulrich Beer und seiner Frau Roswitha Stemmer-Beer. Wie üblich, arbeite ich mich an einer Passage ab, mit der ich nicht übereinstimme:

"Ulrich Beer: Besonders schön erlebte ich die Abendmahlsfeiern in kleinen Kreisen, zum Abschluß von Tagungen, etwa in evangelischen Akademien, zum Beispiel Loccum oder Tutzing, ebenso in Studentengemeinden. An ökumenische Eucharistiefeiern erinnere ich mich ebenfalls. Was mich allerdings immer wieder und immer mehr stört, ist die anonyme, kollektive 'Großabfütterung' in Gottesdiensten, in denen einer den anderen nicht kennt, auch nicht kennenlernen will, wo man die Umstehenden aber mit dem Friedensgruß kurz kontaktieren soll. Das kommt mir künstlich und gewollt vor. Ich habe mich dadurch sogar schon von der Teilnahme am Abendmahl abhalten lassen. Überhaupt ist mir die regelmäßige Teilnahme nicht mehr so wichtig. Ich kann auch Gemeinschaft mit Gott in Christus so herbeisehnen, daß ich sie zu fühlen meine. Was hindert mich, mein eigenes Abendmahl zu feiern - auch mit eigenem Wein, getreu dem Auftrag: 'Solches tut, so oft ihr's trinket, zu meinem Gedächtnis'?

Roswitha Stemmer-Beer: Das kann ich verstehen und vollziehe es gern nach und mit. Aber ist ein solches Feiern dann nicht doch sehr irdisch und kein 'heiliges' Abendmahl mehr? Hast du dich dann nicht auch vom lutherischen ganz zum reformierten Verständnis des Abendmahls als Gedächtnismahl hinentwickelt?

Ulrich Beer: Die Unterschiede sind für mich nicht mehr so trennscharf bedeutsam. Und ist der 'Gedächtnisauftrag' nicht von Jesus selbst ausgesprochen? Ich meine, entscheidend ist doch, was es in mir bewirkt: Über das Gedächtnis die lebendige Verbindung mit Gott und den Menschen und die innere Stärkung des Glaubens. Dazu kommt die innere Verbindung mit der Christenheit, der unsichtbaren Kirche. Mit der sichtbaren, organisierten Kirche habe ich nicht nur gute Erfahrung."

Unkommentiert lasse ich die ökumenischen Eucharistien und UBs eigene Abendmähler und stürze mich nur auf zwei Aspekte, die ich gaaanz anders "erlebe":

Ich verstehe die Abneigung von UB gegen Großabfütterungen und anonyme Gottesdienste in anonymen Gemeinden etc.; die "Abendmähler" in einer Kuschel-, Freundes-, Familien- oder sonstwie vertrauten und homogenen Gruppe haben etwas für sich - absolut.

Nur: Der Einladende ist Jesus Christus - wie wir letzthin wieder gehört haben - und wer nicht zur Hochzeit kommt, weil außer ihm und seinen Lieben noch 250 oder tausend andere Gäste auftauchen, die er noch nicht kennt, der verhätschelt vielleicht doch seine schöne Seele. Oder im biblischen Bild: Es sind die Pharisäer, die als religiöse Gourmets gerne unter sich bleiben; bei den Zöllnern, hinten, vorne, im Seitenschiff, bei den namenlosen Spießbürgern und getauften Dummköpfen, den alten, nie emanzipierten Frauen und den Normalos im Sonntagsstaat, den Tuschlern und Schwätzern fühlt sich unser Herr wohl. Nicht weil er Zöllner per se liebt oder weil er Dummheit lieber mag als aufgeklärte Intellektualität (die oft genug wieder eine spezielle Form von Dummheit ist), sondern weil hier der Dank und die Überraschung ehrlicher sind. Weil ER das Törichte in der Welt erwählt hat. Weil hier neben dem "Dienstboten" (Phil 2, 7) Jesus die "Narren" (2 Koer 12, 12) und "Bastarde" (1 Kor 15, 8) sitzen.

Ich verstehe auch die Sehnsucht von UB nach einem Gottesdienst-Erlebnis. Der immergleiche Ritus, die Körpergerüche der Banknachbarn, alternde Organisten und beschränkte Priester vermiesen es auch mir oft genug.

Worauf kommt es mir denn an? "If I could just touch the hem of his garment", sehnt sich der Gospelsong - und jetzt, hier, berührt mich der Saum des Gewandes Christi; er hat mich "whole", heil und ganz gemacht, und ich habe nichts gespürt, gefühlt. Was ist daran so schlimm?

Es gibt den Glaubensalltag, und meine Feiertage datiert Gott. Ob ein Gottesdienst ein Erlebnis wird, liegt bei ihm. Es muß ja nicht gleich die "Dunkle Nacht" sein, in die ER uns hineinnimmt. Aber vielleicht schenkt er uns ja auch nur ein paar graue, vernebelte Tage, die meinen Glauben innerlich stärken und mich mit der sichtbar-unsichtbaren Kirche gleichermaßen verbinden. Wer bin ich, daß ich da Nein sagen dürfte?

Gerade die Psychologen müssten es besser wissen: Die Fixierung auf eine Erfahrung, die ich machen will, zwingt diese gerade nicht herbei, sondern führt eher zu Erwartungsangst, lähmt und erzwingt Fluchtverhalten. Eine Prise paradoxe Intention empfehle ich Ulrich Beer als Gegenmittel.

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