5. Mai 2007

Hoffen auf die Dichter

Die "Welt" bringt die Statements von vier Schriftstellern bei einer Veranstaltung der Mainzer Akademie der Wissenschaften zur Frage, ob es wieder eine religiöse Literatur geben könne.

- Karl-Heinz Ott: Tausend Möglichkeiten
- Barbara Honigmann: Dichter ringen mit Gott
- Silke Scheuermann: Reiz der Aussparungen
- Dirk von Petersdorff: Der eigene Glauben ist origineller.

Von letztem sei ein frommer Wunsch incl. Hintergrund zitiert:
In dem Film „American Beauty“ gibt es eine Szene, in der eine Tüte gezeigt wird, die vom Wind auf und ab getrieben wird, und diese Tüte steht für die Schönheit und die Geheimnisse des Lebens. Die Tüte ist eine Offenbarung, und so ist es mit der religiösen Dichtung der Moderne: Sie wird immer origineller, immer eigenwilliger, immer seltsamer. Ich muss zugeben, dass mich hier eine gewisse Müdigkeit befällt, ein gewisses „Ach ja“, eine Sehnsucht nach Objektivität: eben nach Liedern, die man auch singen kann.

Aber solche Lieder gibt es nicht. Die Gattung des Kirchenliedes hat in den letzten Jahrzehnten, um es vorsichtig zu sagen, keine Blüte erlebt. Um es unvorsichtig zu sagen: Jeder denkende Mensch muss in den Boden versinken, wenn er im Gottesdienst Verse singen muss wie: „Vertraut den neuen Wegen, / auf die der Herr uns weist, / weil Leben heißt: sich regen, / weil Leben wandern heißt.“ Das ist nicht nur grammatisch höchst bedenklich, das ist auch inhaltlich einigermaßen unspezifisch, denn dass Leben sich regen heißt, könnte auch im Songbook der Evolutionsbiologen stehen.

Wie gut wäre es gewesen, wenn die katholische und evangelische Kirche vor einigen Jahren Hans Magnus Enzensberger, Peter Rühmkorf und Robert Gernhardt zu einem einjährigen Konklave überredet hätte, meinetwegen auch mit sanftem Zwang. In dieser Zeit hätten sie in einem Kloster zwölf Kirchenlieder schreiben müssen, theologisch korrekt, mit den Wassern der Tradition gewaschen und lyrisch auf der Höhe der Zeit. Dann hätten wir jetzt etwas, was uns fehlt, sangbare, direkte, Klarheit und Einfachheit nicht scheuende Gedichte, die von Wahrheit sprechen. Vielleicht entstehen solche Gedichte im kommenden Jahrhundert. Das wäre mein frommer Wunsch.

1 Kommentar:

Anonym hat gesagt…

Wenn wir (oder besser die Dichter) vielleicht so in der Art von Tevje dem Milchmann anfangen würden, auf poetische Art und Weise mit Gott zu streiten, zu argumentieren, an ihm zu verzweifeln und damit gleichzeitig anfangen würden, ihn ernst zu nehmen, im gleichen Zug, in dem wir das tun, ihn zu loben und zu preisen, hätten wir vielleicht eine neue Art von religiöser Literatur (deshalb führt Honigmann ja auch zu Recht einen jiddischen Text an, da ist das Tradition).
Das könnte ich mir sehr gut vorstellen.
(Ich meine jetzt rein von der Poetik her)