20. Februar 2005

Wenn überhaupt je, dann so

Annie Dillard, Der freie Fall der Spottdrossel, S. 10:

"Ich hatte mal einen Kater, eine alte Kämpfernatur, der oft mitten in der Nacht durch das offene Fenster neben meinem Bett sprang und auf meiner Brust landete. Ich wurde halb wach. Er steckte mir seinen Schädel unter die Nase und schnurrte und stank nach Urin und Blut. In manchen Nächten knetete er mir mit seinen Vorderpfoten kräftig die nackte Brust und streckte sich dabei, als ob er sich die Klauen schärfen oder eine Mutter melken wollte. Und manchmal wachte ich morgens im Hellen auf und sah, daß mein Körper über und über mit blutigen Pfotenspuren bedeckt war; ich sah aus wie mit Rosen bemalt.

Es war heiß, so heiß, daß der Spiegel sich warm anfühlte. Benommen wusch ich mich vor dem Spiegel, und mein verdrehter Sommerschlaf hing noch an mir wie Seetang. Was für ein Blut war das, und was für Rosen? Es hätte die Rose der Vereinigung sein können, das Blut des Mordes, oder die Rose der nackten Schönheit und das Blut einer unsagbaren Opferung oder Geburt. Das Zeichen an meinem Körper hätte ein Erkennungszeichen sein können oder ein Schandfleck, der Schlüssel zum Himmelreich oder das Kainszeichen. Ich war mir nie sicher. Ich war mir nie sicher, während ich mich wusch und das Blut verlief, blaß wurde und schließlich verschwand, ob ich mich gereinigt oder das Blutzeichen des Passahfestes ausgelöscht hatte. Wir erwachen, wenn wir überhaupt je erwachen, umgeben von Geheimnis, Todesraunen, Schönheit, Gewalt ... 'Als ob wir einfach hier unten hingesetzt wären', sagte neulich eine Frau zu mir, 'und kein Mensch weiß warum.'"

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