15. Februar 2005

Der Offene Brief von Michael Triegel an Bischof Friedhelm Hofmann

Zur Dokumentation:

"Sehr geehrter Herr Bischof Dr. Hofmann,

vor nunmehr vier Monaten erfuhr ich, dass auf Ihre Veranlassung mein Bild »Auferstehung« im Würzburger Museum am Dom abgehängt wurde nach Protesten von Menschen, die Pornografie (also eine »vergröberte Darstellung sexueller Handlungen«) vermuteten. Meine erste Reaktion schwankte zwischen kopfschüttelnder Belustigung und Verärgerung; vor allem aber waren es Unverständnis und Betrübnis darüber, dass eine meiner Arbeiten ihres Zweckes beraubt wurde: zum Nachdenken und zum Gespräch über Inhalte einzuladen. Leider wurde auch mit mir selbst der Dialog nicht gesucht, zu dem es nicht zuletzt am 28. Januar während eines Künstlergesprächs im Museum am Dom Gelegenheit gegeben hätte. Mit den zahlreichen Besuchern gab es einen so guten und interessanten Austausch, und ich bedaure - bei aller Freude über Zustimmung und Bewunderung -, dass die Gegner meiner Arbeit nicht auch die Möglichkeit genutzt haben, ihre Position vorzubringen. Lassen Sie mich kurz meine Intentionen schildern.

Die Moderne des 20. Jahrhunderts veranlasste uns zu glauben; dass zeitgenössische Kunst vor allem erst einmal provozieren will; keine Geschmacklosigkeit wurde ausgelassen - Künstlerfäkalien in Dosen, besudelte Matratzen als teure Weiheobjekte in Museen. Mir liegt es fern, auf diese Weise provozieren zu wollen. Vielleicht liegt ja die Provokation meines Gesamtwerkes darin, aus der Selbstreflexivität eines Kunstbetriebs und -marktes auszubrechen durch eine angestrebte handwerkliche Meisterschaft und den Glauben an die ungebrochene Wirkmacht der Mythen, Archetypen, der Inhalte und Ikonographien der Kunst und des Geisteslebens langer abendländischer Geschichte, diese untersuchend, befragend, paraphrasierend oder affirmierend.

Und so glaube ich, die Nacktheit meines auferstehenden Christus inhaltlich begründen zu können, steht sie doch nicht zuletzt in einer langen Tradition, denken Sie an Michelangelos Auferstehenden in Santa Maria sopra Minerva zu Rom, seine Grablegung in London, seine Kreuzigung in Florenz und viele andere Beispiele. Gläubige Christen schrieben mir, dass sie- vor dem Bild wieder verstanden hätten, was das Wort bedeutet »wahr Mensch und wahrer Gott«. Darum genau ging es mir zu zeigen, dass Er nicht als Astralleib, sondern im Fleische auferstanden ist, als Mensch, als Mann. Christus erlöst uns als zweiter Adam vom Falle, durch den die Sünde und als deren Zeichen die Scham in die Welt kam, doch: »... von einer Sünde weiß Er nichts«. Hieße es nicht, diesen Umstand zu leugnen, wenn Er sich selbst noch schämte; und verzeihen Sie die Polemik: Sollte sich Gott in der Schöpfung geirrt haben, als Er den Menschen nackt und bloß schuf?

Doch auch ein anderer Aspekt ist mir wichtig. In unserer Zeit und Gesellschaft dient Nacktheit m einer sexuellen Konnotation als permanent anzutreffendes Reizmittel -»sex seIls«. Dagegen ist die Kirche zurecht. Jede Seife, jedes Auto und jedes Lebensmittel werden durch Ietztlich erotische Stimulanzien beworben; um die Produkte besser zu verkaufen. Das scheinen wir soweit verinnerlicht zu haben, dass wir vergessen haben, dass Nacktheit und Schönheit in der Kunst Symbole für das Wahre und Gute sein können. Für die Griechen war die »Kalokagathie« anzustrebendes Ideal, für die christlichen Künstler der Renaissance, die Humanisten, die Klassiker war die in Rede stehende Gleichsetzung selbstverständlich.

Die intentio auctoris (was sagt der Autor) und die intentio operis (was sagt das Werk unabhängig vom Autor) zielen in meinem Falle nur in diese Richtung: Schönheit und Nacktheit stehen für die Wahrheit und das Gute. Es steht nicht in meiner Macht, auf alle Lesarten aller möglichen Betrachter, auf die intentio lectoris einzugehen. Um es an einem krassen Beispiel zuzuspitzen: das nackte Christuskind auf einem Bilde Raffaels wird von einer Mutter anders betrachtet als von einem zu verabscheuenden Pädophilen.

In den IK-Nachrichten musste ich von »augenfällig homoerotischen Assoziationen« lesen. Das ist mir selbst neu und dürfte meine Frau und unsere Tochter sehr wundem. Auf welcher Ebene wird hier eigentlich argumentiert? Die entkleidete Dionysosgestalt auf dem Bild steht für das durch Christi Auferstehung überwundene Heidentum, gebraucht doch der Heiland die Osterfahne geradezu als Lanze gegen die Symbolgestalt triebhaften Rausches, die die frohe Botschaft ganz einfach verschläft. Die Wahrheit aber triumphiert. Diese Symbolik entlehnte ich der Ikonografie des späten 15. Jahrhunderts, der »Auferstehung« Bellinis, wo ein Grabwächter nackt ist und schläft und der im Stich des 16. Jahrhunderts nach diesem Bild mit einem Weinlaubkranz ausgestattet wurde, um diesen Aspekt noch stärker hervorzuheben.

Ich sehe selbst, dass es Mühe bedarf, Bilder zu lesen, doch diese Mühe möchte ich als Maler, der ich sie ebenfalls hatte, auch vom Betrachter erwarten, gibt es doch immerhin die Möglichkeit, das mir Unbekannte und Unverständliche zu erfahren durch sekundäre Lektüre oder: durch das Gespräch.

Ich gebe die Hoffnung nicht auf, dass sich die so aufgeregte Stimmung etwas beruhigt und dass es vielleicht sogar möglich wird, den Anstoß, den meine »Auferstehung« gegeben hat, zu nutzen, um auch über Fragen des Glaubens nachzudenken. Verbote sorgen doch nur für Verhärtungen, Suchende werden allein gelassen, Gräben zementiert, wo es gälte, Brücken zu bauen.

Es grüßt Sie freundlich, Michael Triegel"

2 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

Ein Beitrag, der mich neugierig macht. Aber jetzt wäre ich sehr daran interessiert das Gemälde auch selbst beurteilen zu können. Kann es per internet eingesehen werden?

Scipio hat gesagt…

Siehe nächstes Posting - das Bild auf dem Umschlag ist entweder das in Frage stehende, oder ein sehr ähnliches.