24. Oktober 2005

Weltfriede durch historisch-kritische Exegese?

"'Wir haben damals gelernt, den Text historisch-kritisch zu hinterfragen. Heute gilt das in manchen Kreisen als gefährlich', kritisierte Ebner den so genannten 'canonical approach'. Bei diesem Ansatz werden biblische Texte ausschließlich in ihrer heutigen Gestalt und in ihrer Anordnung innerhalb der Gesamtheit der biblischen Bücher untersucht. Das hat in Fällen wie dem alttestamentlichen Buch der Psalmen sicher seine Berechtigung. Für ein vollständiges Verständnis greift dieser Ansatz aber mit Sicherheit zu kurz', erklärte Heininger. Vielmehr fördere der kanonische Ansatz ein fundamentalistisches Verständnis der Bibel. 'Das Ergebnis sehen Sie bei George W. Bush.'" (POW)
Zwei historisch-kritische Exegeten stellen ihr gemeinsames Lehrbuch vor und nutzen die Gelegenheit zu einem kleinen Rundumschlag. Nun ist es natürlich verständlich, daß jeder die Sinnhaftigkeit seines Tuns verteidigt, aber das muß ja nicht auf Kosten anderer Ansätze gehen...

Ebner/Heininger kennen (als katholische Exegeten) zweifellos nicht nur das Dokument der Päpstlichen Bibelkommission "Die Interpretation der Bibel in der Kirche", sondern vielleicht sogar die Veröffentlichungen der Begründer der Kanonkritik, Brevard S. Childs und James A. Sanders, und einige Sekundärliteratur. Nun hindert sie das keineswegs, den kanonischen Ansatz verkürzt darzustellen. Zu Sanders z.B. sagt die Bibelkommission:

"James A. Sanders seinerseits schenkt seine Aufmerksamkeit mehr dem 'kanonischen Vorgang' – der progressiven Entwicklung der von der Glaubensgemeinschaft als normativ anerkannten Schriften – als der stabilisierten Endform des Textes. Die kritische Erforschung dieses Vorganges versucht herauszufinden, auf welche Weise die alten Traditionen in einem anderen Kontext neu gebraucht wurden, bevor sie ein Ganzes bildeten, das dauerhaft und anpassungsfähig zugleich ist, kohärent und verschiedenartige Elemente umfassend, ein Ganzes, aus dem die Glaubensgemeinschaft ihre Identität schöpfen kann. Bei diesem Prozeß wurden, und werden auch heute noch nach der Fixierung des Kanons, hermeneutische Methoden angewendet; sie gleichen oft der Art des Midrasch und dienen der Aktualisierung des biblischen Textes. Indem sie sich auf eine Interpretation berufen, die es sich zur Aufgabe macht, die Tradition zu aktualisieren, begünstigen sie eine fortwährende Interaktion zwischen der Gemeinschaft und ihren heiligen Schriften."
Sanders geht es nicht (nur) um die Endgestalt des Kanons, sondern um den Prozess, in dem der Kanon entsteht - um eine Frage also, zu der die historische Kritik nicht viel zu sagen hat, weil sie "out of scope" ist, weil es hier nicht mehr nur um die "Urgestalt" geht, sondern um deren Weg in die Bibel hinein.

Christoph Dohmen, Alttestamentler in Regensburg, zitiert in diesem Zusammenhang Martin Buber und schließt kurz und bündig:
"Von hierher ist auch ersichtlich, daß einer der häufigsten Kritikpunkte an diesem Ansatz der kanonischen Schriftauslegung, er sei ahistorisch oder gar fundamentalistisch, weil er bei der vorliegenden Endform des Bibeltextes einsetze, völlig fehlgeht." (Die Bibel und ihre Auslegung.- München, Beck, 1998, S. 91)
Noch deplazierter ist dann die Schlußfolgerung, die Ebner/Heininger ziehen: Kanonische Exegese endet bei George W. Bush und das wollen wir ja alle nicht, liebe Mitchristen!

1 Kommentar:

Scipio hat gesagt…

... und alle auch lächerlich.
Sehen wir uns also im Foto der drei Herren selbst da stehen und vollen Ernstes uns als wichtige Personen gebärden, die wissen, wo's lang geht und wie die Welt zu retten ist.