25. Juni 2003

Die falsche Alternative

Susan Sontag, designierte Friedenspreisträgerin 2003, Poetik-Dozentur-Dozentin und baldige Doctrix h.c der Tübinger Universität, hat sich laut dpa und verschiedenen Tageszeitungen zur kulturellen Kluft zwischen USA und Europa geäußert.

"Besonders in zwei Bereichen gebe es tief greifende kulturelle Unterschiede, sagte Sontag. So seien in Europa viele Menschen sehr weltlich eingestellt. «Die Vereinigten Staaten dagegen sind ein Land voll von religiösem Irrsinn», sagte die Autorin. Dass staatliches Handeln mit religiösen Worten gerechtfertigt werde, sei weithin akzeptiert. Ein zweiter Unterschied bestehe in der Einstellung zur Gewalt. «In den Vereinigten Staaten glauben viele, dass jeder Mensch das Recht hat, Waffen zu besitzen. Zumindest wird das den Menschen so vermittelt», sagte Sontag. Das sei in Europa anders."

U.S.-Bashing aus dem Mund intellektueller Amerikanerinnen ist natürlich politisch korrekt. Aber der erste Gegensatz, den sie (oder die dpa) uns da kurz und prägnant präsentiert, stimmt so leider doch nicht. Es gibt in den U.S. of A., soweit ich sehen kann, nicht nur und nicht einmal überwiegend religiösen Irrsinn - außer man sieht Religion prinzipiell als Irrsinn an. Eine Vorstellung, die mehr europäisch als amerikanisch ist und die vielleicht die subtile Message des Berichts darstellt.

Die Feststellung von Susan Sontag scheint mir eher auf ein unterschiedliches Verständnis von Religionsfreiheit hinzudeuten: Wir Europäer sehen darin vor allem die Freiheit, ohne Religion zu leben. Für Amerikaner besteht sie daran, daß jeder in seiner Religion und Konfession leben soll und darf. Entsprechend haben europäische Christen eher einen Habitus der Dauerzerknirschung angenommen, der sich für irgendwelche religiös fundierten Zumutungen erst einmal entschuldigt - statt ihre Religion genauso frisch, fromm, fröhlich, frei zu leben wie die Nicht-Religiösen - gesegnet seien sie! - die ihre.

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