23. Januar 2011

Liturgische Anmerkungen mit Handke als Auslöser

Im Heft der "Communio" vom November/Dezember 2010 bin ich auf ein Zitat Peter Handkes gestoßen; es stammt aus einem aktuellen Interview, das Ulrich Greiner von der "ZEIT" im November mit ihm führte.

Die Passage in ihrem Kontext lautet:

"ZEIT: Sind Sie ein religiöser Autor?

Handke: Die Frage beantworte ich nicht.

ZEIT: Das Religiöse taucht bei Ihnen immer wieder auf, wenn auch nicht direkt.

Handke: Man kann es nur streifen. Wenn jemand nur sagt, er sei religiös, geht mir das auf die Nerven. Wenn er nicht erzählt, was das ist. Das Erzählen ist das Entscheidende. Wenn ich an der heiligen Messe teilnehme, ist das für mich ein Reinigungsmoment sondergleichen. Wenn ich die Worte der Heiligen Schrift höre, die Lesung, die Apostelbriefe, die Evangelien, die Wandlung miterlebe, die Kommunion und den Segen am Schluss »Gehet hin in Frieden!«, dann denke ich, dass ich an den Gottesdienst glaube. Ich weiß nicht, ob ich an Gott glaube, aber an den Gottesdienst glaube ich. Die Eucharistie ist für mich spannender, die Tränen, die Freude, die man dabei empfindet, sind wahrhaftiger als die offizielle Religion. Ich weiß, ich habe, wenn ich das sage, eine Schattenlinie übersprungen, aber dazu stehe ich.

ZEIT: Bevorzugen Sie die alte oder die neue Liturgie?

Handke: Ich habe da keine Ideologie. Das Geheimnis des Glaubens, wie es nach der Wandlung heißt, kann man auch erleben, wenn der Priester einem zugewendet ist. Ich kann schon verstehen, wenn es einigen leidtut, dass die Unnahbarkeit des Vermittlers verschwunden ist. Das ist ein Paradox: der unnahbare Vermittler. Aber er bleibt ja auch unnahbar, wenn er sich der Gemeinde zuwendet.

ZEIT: Solange man spürt, dass er in diesem Augenblick eine andere Person ist.

Handke: Das ist wichtig. Wenn er anfängt, familiär zu werden, verlässt mich die Offenbarung. Der heilige Augenblick verschwindet. Martin Mosebach hat einen schönen Aufsatz über die Ikonen geschrieben, wo er zeigt, wie es den Malermönchen darauf ankam, das Heilige zu bewahren, die Reinheit des Gesichts. Ein Gesicht zu erleben kann für mich die Rettung sein, daraufhin schreibe ich. Das ist auch eine Offenbarung. Das Entscheidende ist für mich das Gesicht des anderen."


Nein, es geht mir hier nicht um die Frage der Zelebrationsrichtung, nicht um alt gegen neu, auch nicht um die Person Handkes, seinen Glauben oder seine politischen Positionen.

Ich weiß nicht, ob ich Handke verstehe, wenn er sagt, das "Erzählen" sei das "Entscheidende". Aber das eine verstehe ich, und ich denke, ich verstehe es mit ihm: Daß Liturgie, daß Gottesdienst etwas ist, das nicht je jetzt produziert wird, das als vorgegeben existiert, als Geschehen, in dem sich ein anderes, gleichzeitig historisch und anderzeitlich Geschehen(d)es ereignet - und daß das eigentlich schon reicht. Mehr als reicht. Daß die Tränen und die Freude, das Sehen und Gesehensein direkt in die Wirklichkeit des HErrn hineinführen.

Daß dieses Geschehen unerschöpflich ist: Weil es eben die Taten des HErrn erzählt, vergegenwärtigt, ihnen als Bild und als Mittel dient.

Und was mich genau deswegen schmerzt, mehr schmerzt als ärgert, auch wenn der Ärger mindestens im Blog sichtbarer ist: Daß das anscheinend so wenig verstanden und "praktiziert" wird. Wenn ich mir das Menschengemachte in unseren Gottesdiensten so anschaue: die "Einleitung", die Predigt, die Fürbitten, irgendwelche Überleitungen und meditative Gedanken nach der Kommunion - sie alle werden meistens so vorgetragen, als ob sie etwas hinzufügten und mit einem Mehrwert ankämen. Aber einmal springen sie schon einmal sprachlich, ästhetisch viel zu kurz, so daß es oft einfach beschämend ist. (Und nein, meistens sind es eben auch nicht solche, die spontan aus dem Inneren kommen, sodaß man ihnen eine gewisse Unfertigkeit zugute halten könnte.)

Und "inhaltlich"? In vielen Fällen sind es Allgemeinplätze, gutmeinende Moralitäten, ausgewalzte Bilder, die dem Ungeheuren, Überraschenden, Spannenden, dem Schlichten, dem WORT und seinem Paschamysterium (und der Tiefe unseres eigenen Erlebens und unserer eigenen Geschichte) nicht einmal nahe kommen. Geschweige denn etwas aus der Fülle des Geschehens zum Leuchten brächten.

Man könnte fast sagen: Das alles sind die Lettner und Ikonostasen der postkonziliaren Zeit, die den Blick verstellen. So weit her ist es mit dem versum Populo nicht. Wir sehen und hören jetzt alles. Nichts ist mehr im Geflüster und im Halbdunkel verblieben, nichts vor unseren Blicken geschützt. Und doch baut sich die Soundbarriere auf, und dazu manchmal eine des Gehampels oder eines des "Jeder darf mal ran, ob groß, ob klein". Wir sehen und hören, aber wir schauen und vernehmen nicht.

3 Kommentare:

Der Herr Alipius hat gesagt…

Super-Kommentar! Danke!

Sponsa Agni hat gesagt…

Echt wow! Merci! :-)

Anonym hat gesagt…

Dem kann ich mich nur anschließen, sehr schöner Beitrag.

(Und frei nach Mosebach: Es gibt Katholiken die behaupten(scherzhaft) es ginge eher ohne Bibel als ohne Liturgie)