11. April 2010

Väterlesung

Kirchenvater Bonhoeffer über eine bestimmte Art von Undankbarkeit, als geistliche Lesung für den Tag genommen aus "Gemeinsames Leben" (28. Aufl.- Gütersloh: Gütersloher Verlagshaus, 2006, S. 25f):

"Es geht in der christlichen Gemeinschaft mit dem Danken, wie sonst im christlichen Leben. Nur wer für das Geringe dankt, empfängt auch das Große. Wir hindern Gott, uns die großen geistlichen Gaben, die er für uns bereit hat, zu schenken, weil wir für die täglichen Gaben nicht danken. Wir meinen, wir dürften uns mit dem kleinen Maß uns geschenkter geistlicher Erkenntnis, Erfahrung, Liebe nicht zufrieden geben und hätten immer nur begehrlich nach den großen Gaben auszuschauen. Wir beklagen uns dann darüber, daß es uns an der großen Gewißheit, an dem starken Glauben, an der reichen Erfahrung fehle, die Gott doch andern Christen geschenkt habe, wir halten diese Beschwerden für fromm. Wir beten um die großen Dinge und vergessen, für die täglichen, kleinen (und doch wahrhaftig nicht kleinen!) Gaben zu danken. Wie kann Gott dem Großes anvertrauen, der das Geringe nicht dankbar aus seiner Hand nehmen will? Danken wir nicht täglich für die christliche Gemeinschaft, in die wir gestellt sind, auch dort, wo keine große Erfahrung, kein spürbarer Reichtum, sondern wo viel Schwäche, Kleinglauben, Schwierigkeit ist, beklagen wir uns vielmehr bei Gott immer nur darüber, daß alles noch so armselig, so gering ist, so gar nicht dem entspricht, was wir erwartet haben, so hindern wir Gott, unsere Gemeinschaft wachsen zu lassen nach dem Maß und Reichtum, der in Jesus Christus für uns alle bereit liegt. Das gilt in besonderer Weise auch für die oft gehörte Klage von Pastoren und eifrigen Gemeindegliedern über ihre Gemeinden. Ein Pastor soll nicht über seine Gemeinde klagen, schon gar nicht vor Menschen, aber auch nicht vor Gott; nicht dazu ist ihm eine Gemeinde anvertraut, daß er vor Gott und Menschen zu ihrem Verkläger werde. Wer an einer christlichen Gemeinschaft, in die er gestellt ist, irre wird und Anklage gegen sie erhebt, der prüfe sich zuerst, ob es nicht eben nur sein Wunschbild ist, das ihm hier von Gott zerschlagen werden soll, und findet er es so, dann danke er Gott, der ihn in diese Not geführt hat. Findet er es aber anders, dann hüte er sich doch, jemals zum Verkläger der Gemeinde Gottes zu werden; sondern er klage viel mehr sich selbst seines Unglaubens an, der bitte Gott um Erkenntnis seines eigenen Versagens und seiner besonderen Sünde, der bete darum, daß nicht schuldig werde an seinen Brüdern, der tue in der Erkenntnis eigener Schuld Fürbitte für seine Brüder, der tue, was ihm aufgetragen ist und danke Gott.

Es ist mit der christlichen Gemeinschaft wie mit der Heiligung der Christen. Sie ist ein Geschenk Gottes, auf das wir keinen Anspruch haben. Wie es um unsere Gemeinschaft, wie es um unsere Heiligung wirklich bestellt ist, das weiß allein Gott. Was uns schwach und gering erscheint, das kann bei Gott groß und herrlich sein. Wie der Christ sich nicht dauernd den Puls seines geistlichen Lebens fühlen soll, so ist uns auch die christliche Gemeinschaft von Gott nicht dazu geschenkt, daß wir fortgesetzt ihre Temperatur messen. Je dankbarer wir täglich empfangen, was uns gegeben ist, desto gewisser und gleichmäßiger wird die Gemeinschaft von Tag zu Tag zunehmen und wachsen nach Gottes Wohlgefallen.

Christliche Bruderschaft ist nicht ein Ideal, das wir zu verwirklichen hätten, sondern es ist eine von Gott in Christus geschaffene Wirklichkeit, an der wir teilhaben dürfen. Je klarer wir den Grund und die Kraft und die Verheißung aller unserer Gemeinschaft allein an Jesus Christus erkennen lernen, desto ruhiger lernen wir auch über unsere Gemeinschaft denken und für sie beten und hoffen."

(Das Schöne, das wirklich Schöne an solchen Passagen ist, daß keiner sie ungestraft instrumentalisieren kann - weil sie sich an ausnahmslos alle wenden, die sich als der Gemeinde oder einer der Gemeinden zugehörig sehen. Jeder liest und versteht sie also nur richtig, wenn er sie auf sich bezieht. Und zwar jeweils jetzt und hier.)

1 Kommentar:

Maria Magdalena hat gesagt…

Ganz schön harte Anforderung. Danke für den Text.