18. April 2010

"Dormeshelgen"

Zwischen zwei imposanten Zwillingsrobinien, kurz bevor die offene Flur in den Wald übergeht, steht ein Bildstock. Noch haben die beiden Bäume nicht ausgeschlagen und scheinen abgestorben, wie so oft in den letzten Jahren. Was das mutwillig an einen der Bäume gelegte Feuer vor Jahren nicht fertig gebracht hat, das bewirkt die Zeit nun an beiden.

Neben mir fallen kleine Äste zu Boden. Ein Eichelhäher flattert in der Krone, zerrt an den Zweigen, Totes bricht ab, und was der Vogel mit dem Schnabel nicht halten kann, liegt unter dem Baum im Gras.

Der Bildstock selber ist schmucklos und ohne Inschrift. Vor 20, 30 Jahren wurde das alte Helgen durch eines aus Kunststein ersetzt. In der Aussparung des Aufsatzes steht seit ein paar Jahren eine Notre Dame de Lourdes, 30 cm hoch und in bemaltem Gips. Ein schwarzes Gitter schützt sie vor schnellem Diebstahl und impulsivem Vandalismus. Im kleinen Blumenbeet eine Friedhofslampe der Marke 08/15, darin ein 24-Stunden-Brenner mit dem großen Aufkleber "Theresia".

Feten sollen dort in der Dämmerung statt finden, heißt es im Dorf. Wenn es stimmt, sind davon nur ein paar Kronkorken geblieben. Ein aufgeschnittener Kinderball ist das größte Stück Abfall.

Im frühen Sonnenschein und unter einem marianisch blauen Himmel, am zweiten Sonntag nach Ostern im Jahr des Herrn 2010, sind die Allegorien kaum abzuwehren:

Rechts und links vom Bild jener Frau, die geschenkt wurde, das "unverdorbene Konzept" GOttes vom Menschen zu realisieren, scheinen die beiden uralten Bäume entsprungen. Ist es die gespaltene Kirche, die sie darstellen, ist es das Duo von Institution und Charisma oder jenes von Amt und Heiligkeit? Die Zeit scheint abgelaufen. Die Hülle steht noch und wird Jahrzehnte halten, doch das Leben scheint aus ihr gewichen; nur wer genau hinsieht, entdeckt ein paar kleine Knospen.

Der sonst alarmistische Eichelhäher ist beschäftigt, mit starkem Schnabel kleine Stückchen Totholz abzubrechen. Er tut seine Pflicht, ihn kümmert nicht der Baum, sondern das Fortbestehen der Art und das gemeinsame Nest mit der Häherin. Allein war er, und da endet seine Allegorie. Denn im wirklichen Leben fallen die eifrigen, auf ihren Lebensunterhalt bedachten Journalisten eher wie eine Schar von Staren ein, knicken und biegen, bis etwas bricht und fällt. Den Baum hat das Totholz nicht gekümmert. Holen sich die Stürme nicht eh, was der Eichelhäher vergaß oder nicht brechen konnte?

Natürlich, der Baum ist nicht tot. Er nimmt sich nur Zeit, und im Sommer wird er wieder seinen Schatten spenden, wenn die Sonne auf die Wiesenlandschaft herunterbrennt. Mir hat nie jemand von einer Zeit erzählt, in der er nicht da war, und er wird die jetzt Lebenden überdauern, machen wir uns nichts vor.

"N.D. de Lourdes" steht auf dem Sockel unter den Füßen Mariens, es könnte genauso gut "Maria von Nazareth", "Mater Ter Admirabilis" oder "Queen of Rio d'Oro" heißen. Maria hat viele Namen und sie wird noch viele bekommen, überall, wo sie sich inkultiert. Auf das Weiß-Blau der "Immaculada Councepciou" folgt irgendwann wieder glasierter Ton oder ein dauerhaftes Holz. Was tut's? Sie hat sich den Bewohnern, frommen wie weniger frommen, ins Herz geschlichen. Es wird sich immer einer finden, der ihr eine Kerze aufstellt.

Am Bildstock ist gut feiern: Kaffee und Kuchen gibt es einmal im Jahr nach der Maiandacht oder Bergmesse. Wohl öfters trifft sich dort eine Gruppe junger Leute zum Schwätzen und Schoppen, aus dem Auto dröhnt dann auch mal ein Baß in die Dämmerung. Kein Korken - "Sie haben keinen Wein mehr", heißt es schon bei Johannes -, nur zwei Kronkorken des lokalen Schlappeseppel-Bieres und drei mit Clausthaler-Aufschrift. Dahin geht es mit der katholischen Feierkultur...

Und der bunte Kinderball, zerschnitten, voll Staub und Dreck? - Manchen, die mißbraucht wurden, wurde die Kirche und der in ihr GEgenwärtige zu Zuflucht und Burg, zu Heimat und Heim, andere traf dort, genau dort, ihr Unglück. Perversion der Zuwendung GOttes zum Menschen.

In fünf Minute befindet sich, wer schnell geht, wieder im Wohngebiet. Bergab führt der Weg, und ohne es zu wollen, kommt mir das Regina Caeli auf die Lippen, wie es von dem Unerwarteten erzählt, der aufersteht und lebt, wie er gesagt hatte. Mit einem Echo des Hallelujah gehe ich an den Türen vorbei, hinter denen sich die Komödien und Tragödien des ganz normalen Sonntags zu entwickeln beginnen.

4 Kommentare:

Altenbochumer hat gesagt…

Es mag ein Geschenk sein, an einem Sonntag morgens beim Frühstück Mosebach und abends Dich lesen zu können. Danke!

Scipio hat gesagt…

Vielen vielen Dank - das hat mich sehr gefreut!

Scipio hat gesagt…

Ach ja: Und ein Bild vom Bildstock und den Bäumen gibt es demnächst auch noch

lylan hat gesagt…

Ja, bitte.