26. Mai 2004

Geh mir nicht aus dem Weg! - Über die Räume in der Kirche

Blog-Kollege Jochen Scherzer hat auf kath.net einen Kommentar zur Wiener "Jugendkirche" veröffentlicht, den ich sehr wertvoll finde.

Das, was er sagt, gilt ja analog auch von anderen pastoralen Räumen. Durch die allgemeine Mobilität pendeln viele Christen zwischen ihrer Territorialgemeinde und anderen Gemeinden mit attraktiverem Angebot oder besserem Priester. Das betrifft die progressiven wie die traditionell orientierten Katholiken, die Gewohnheits- wie die Überzeugungskatholiken. Auch ich brauche gelegentlich eine andere Atmosphäre, eine andere Predigt, andere Menschen um mich als in meiner Heimatgemeinde.

Kritisch daran ist für mich vor allem der folgende Aspekt: Wie in eine Familie, wird man auch in die Kirche "hineingeboren", ohne sich seine Geschwister und den Rest der Verwandtschaft aussuchen zu können. Natürlich entwickelt jede Familie, jede Pfarrei - wie jede andere Gruppe von Menschen, die länger zusammen sind - einen eigenen Stallgeruch, eine Art des Umgangs, ein eigenes oder wenigstens eigengefärbtes Wertesystem, eigene Tabus und Gebote. Im Fall der Kirchengemeinden gehört dieser Stallgeruch eben nicht zum geoffenbarten Glaubensgut, wird aber manchmal (fast) dafür gehalten und jedem Mitglied oder Neuling entsprechend aufgedrängt. Die Versuchung ist jetzt, sich wegen dieses Stallgeruchs und der anderen internen Regeln zurückzuziehen und sich der konkreten Gestalt von Kirche zu entziehen. Jeder, der dieser Versuchung nachgibt, hat mein volles Verständnis und es mag im Einzelfall auch sehr triftige Gründe geben - aber leicht rutscht man in ein Auswahlchristentum hinüber, das nicht mehr kirchlich ist. "Nicht Ihr habt mich erwählt", sagt der Herr. Wir sagen allzu gerne: "Das stimmt, o Herr, aber ich suche mir aus, an welchem Ort und mit welchen Gläubigen ich Dich verehre und Dir diene."

Können wir uns die Antwort Jesu vorstellen, wenn Petrus zu ihm gekommen wäre mit den Worten: "Herr, Du hast mich gerufen und ich bin Dir unendlich dankbar dafür - aber mit den beiden arroganten Donnersöhnen komme ich nicht zurecht. Ich brauche einen anderen pastoralen Raum, denn in mir wecken sie jedes Mal negative Gefühle und ich kann nicht beten, wenn sie daneben sitzen. Schau nur, wie sie sich anziehen und wie ungekämmt sie daherkommen. Dazu ist Johannes 20 Jahre jünger als ich, viel unbedarfter und unwissender. So einem Jungspund täte es gut, wenn er den Glauben woanders lernen könnte als ich."

Jesus hätte vielleicht gesagt: "Auch sie gehören zu mir - genau wie Du. Dieses Zugehören, das gerade Johannes einmal "in-mir-bleiben" nennen wird, ist wichtiger und wirklicher als Eure Unterschiede, die ich ja allzu gut kenne. Ja, ich werde ihm helfen, den Glauben so zu lernen, wie er es am besten versteht. Er wird seinen anderen pastoralen Raum bekommen. Aber, Petrus, mach dir nichts vor: Er wird kommen mit seinem Glauben und wird mit Dir und den anderen leben. Und ihr werdet ihn aufnehmen, und ihr werdet von ihm lernen, so wie er von dir. Dann erst ist eure Liebe vollkommen, wenn ihr euch nicht aus dem Weg geht. Wenn ihr euch begegnet, dann nehmt einander an, so wie ich euch angenommen habe - als Kinder meines Vaters und als meine Brüder, die ich am Kreuz erlöst habe."

Verschiedene pastorale Räume durchaus, Pfarrtourismus vielleicht auch noch, aber nur wenn alle(!) wissen, daß das alles innerhalb des einen Volk Gottes, des einen Leibes geschieht. Das wird sich immer daran zeigen, wie "Produkte" der verschiedenen pastoralen Räume, die Kirchgänger der verschiedenen Pfarrgemeinde zusammenkommen, übereinander sprechen, miteinander umgehen. Das zeigt sich auch in ihrem Glauben - wenn er nämlich offen ist für die jeden Stallgeruch unendlich überragende Fülle der Wahrheit Gottes.


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